Meditation: Was sind Mudras?

Matthias Mala1schreibt: „Der Begriff ´Mudra` stammt aus dem Sanskrit und bedeutet so viel wie ´Siegel`. Mit dieser Bezeichnung wurden nicht nur die tatsächlichen Siegel belegt, die einst Zeichen der Macht waren, sondern auch rituelle Gesten, durch die die herrschenden Priester und Fürsten ihren Willen kundtaten und für jedermann ersichtlich besiegelten. Mudras sind also Handhaltungen, die zum Teil aus Gesten abgeleitet als auch eigens zu bestimmten Zwecken geschöpft wurden. Im heutigen Verständnis begegnen uns Mudras auf dreierlei Art: Einmal als choreografierte Gesten des asiatischen Tanztheaters von Indien über Thailand bis hin nach Indonesien. Ein anderes Mal als ausgeklügelte rituelle Gestik im Gottesdienst hinduistischer und buddhistischer Priester. Und schließlich ein weiteres Mal als die Gesundheit fördernden Handhaltungen in den traditionellen Heilkunden Asiens sowie in verschiedenen Formen des Yoga.“

Andrea Christiansen2 weist darauf hin, dass Mudras nicht nur Übungen mit den Händen sind, wenn auch überwiegend. Mudras werden teilweise auch mit dem ganzen Körper gebildet. Grundsätzlich sind sie feste Bestandteile religiöser Handlungen in allen Religionen. „Die Christen halten die Hände beim Gebet gefaltet in Brusthöhe (Atmanjali-Mudra), in anderen Religionen werden die Arme in die Höhe gehalten, um Gott anzurufen, oder es wird in die Hände geklatscht, um böse Geister zu verjagen.“

 

Wofür sind Mudras gut?

Die aus dem Yoga stammenden Fingerhaltungen dienen zur Entspannung und verbessern das körperliche und seelische Wohlbefinden.“

Kim da Silva3 schreibt: „In der indischen Medizin werden die Fingermodi, die sogenannten Mudras, unter anderem dazu verwendet, auf energetischer, physischer und psychischer Basis eine Balance zu erreichen.“

Andrea Christiansen ergänzt: „Sie sollen ganz bestimmte Bewusstseinszustände symbolisieren. Durch ihre regelmäßige Ausübung, z.B. in einer Meditation, werden andererseits auch bestimmte Bewusstseinszustände hervorgerufen, die uns ganzheitlich harmonisieren sollen. Dabei spielt die traditionelle Überlieferung einer Wirkung für deren Annahme in unserem Bewusstsein genauso eine Rolle, wie die tatsächliche Veränderung des Energieflusses in den Händen durch das Verbinden, Beugen und Strecken bestimmter Finger.“

 

Wie wirken Mudras?

Matthias Mala: „Wer (…) weiß, wie wir im wahrsten Sinne des Wortes unsere Welt ´begreifend` erfassen, der mag einen Zusammenhang zwischen abgestimmter Handhaltung und körperlich-seelischer Befindlichkeit nicht von der Hand weisen. Schließlich ist unsere geistige Entwicklung eng mit unseren Händen verknüpft. Kaum geboren, ´erfassen` wir bereits unsere Umwelt und erlangen so ein Bild über die Art und Beschaffenheit der Dinge. Die hierbei gewonnenen Eindrücke werden, je nachdem ob sie mit handwerklichen, emotionalen oder kommunikativen Leistungen verbunden sind, in den unterschiedlichsten Regionen der Hirnrinde aufgezeichnet. Hierdurch sind unsere Hände wie kein anderes Organ breitflächig in unserem Gehirn präsent. Dies bedeutet, dass so gut wie jede Hirnaktivität auch in engem Zusammenhang mit unseren Händen steht. Insbesondere sind es kommunikative und emotionale Prozesse, in denen unwillkürliche Bewegungen der Hände ausgelöst werden. Umgekehrt können wir durch gewisse Handhaltungen auch bestimmte Empfindungen auslösen. Von der Akupunktur wissen wir, dass wir aus unseren Händen unserem Körper auch heilsame Anregungen vermitteln können. So beginnen oder enden alle Hauptleitbahnen in den Fingern. Gleiches gilt für die Akupressur, bei der jedes Körperteil in den Handflächen über seinen speziellen Korrespondenzpunkt verfügt. Die Tatsache, dass diese Heilkunden greifen, mag ebenfalls an der engmaschigen zerebralen Präsenz unserer Hände liegen.“

Daraus folgt: Wenn du eine Mudra formst, dann sprichst du unmittelbar die entsprechende Region in deinem Gehirn oder Körper an und bewirkst so einen sanften Impuls, durch den sich deine seelische und körperliche Befindlichkeit verändern kann.

Andrea Christiansen schreibt, dass Mudras helfen, wichtige Lernziele des Yoga zu erreichen:

– „Beseitigung von Krankheiten und Beschwerden

– Kontrolle der biologischen Vorgänge des Körpers

– Mehr Vitalität und damit auch ein längeres Leben

– Schaffung einer soliden Gesundheit

– Emotionales und seelisches Gleichgewicht

– Besseres soziales Verhalten gegenüber den Mitmenschen“.

 

Meridiane

Die traditionelle chinesische Medizin nimmt bei der Zuordnung der Elemente Bezug auf den Verlauf der Meridiane, die Energiebahnen des Körpers. „In ihnen fließt das Chi, die Lebenskraft. Die Meridiane der Hände sind mit den inneren Organen verbunden. Auch sie sind nach Yin und Yang unterteilt und haben ihre Anfangs- und Endpunkte in den Fingern:

Lungenmeridian (Daumen/Yin) – Metall

Dickdarmmeridian (Zeigefinger/Yang) – Metall

Perikardmeridian (Mittelfinger/Yin) – Feuer

3-facher-Erwärmermeridian (Ringfinger/Yang) – Feuer

Dünndarmmeridian (kleiner Finger/Yang) – Feuer.“2

 

Chakren

Nach Christiansen haben Mudras, die in der Meditation und für die Heilung körperlicher Leiden angewendet werden, Einfluss auf die Energiezentren, die Chakren.

Die bekanntesten spirituellen Mudras sind dabei:

Gyan-Mudra (Geste des Wissens): Daumen- und Zeigefingerspitzen zusammen legen, die drei übrigen Finger locker strecken, Daumen und Zeigefinger weisen nach vorn, die anderen drei Finger nach oben;

Atmanjali-Mudra (Geste des Gebets): in Meditationshaltung setzen, die Handflächen wie zum Gebet aufeinander legen und die Hände dabei in Höhe des Herzens halten und die

Dhyani-Mudra (Geste der Versenkung): in der Meditationshaltung beide Hände in den Schoß legen, die linke Hand liegt auf der rechten, beide Daumen berühren sich an den Spitzen und bilden einen Henkel zu den Händeschalen.

 

Die sieben Hauptchakras entsprechen ungefähr der Lage der endokrinen Drüsen des Körpers. Sie sind mit den Energiebahnen entlang der Wirbelsäule verbunden. Bei den Mudras gibt es eine Zuordnung der Chakren zu den einzelnen Fingern. Die am meisten verbreitete Zuordnung ist nach Christiansen diese:

1. Wurzelchakra – Ringfinger

2. Sakralchakra – Kleiner Finger

3. Solarplexus

4. Herzchakra – Zeigefinger

5. Halschakra – Mittelfinger

6. Drittes Auge

7. Scheitel- oder Kronenchakra.

Durch die gezielte Anwendung von Mudras kannst du ein Gespür für die Chakren entwickeln. Nachdem du einen guten Kontakt zu den drei ersten und unteren Chakren hergestellt hast, kannst du dich den oberen Chakren zuwenden.

 

Wie werden Mudras geformt?

Die Finger- und Handhaltungen der Mudras basieren auf einer Jahrtausende alten Tradition. Hierbei wurden größtenteils Gesten kultiviert, die seelische Empfindungen sichtbar machten. Das Wissen um die grundlegenden Fingereigenschaften geriet für eine Weile in Vergessenheit, wurde dann aber wiederentdeckt. Mit den verschiedenen Fingern werden, Matthias Mala nach, verschiedene Eigenschaften verbunden, z.B.:

Daumen – Lebensenergie, Körperbewusstsein, Willenskraft, ursprüngliche Gefühlswelt, intuitives Erfassen der Umwelt, Magen-Darm;

Zeigefinger – Selbstbewusstsein, Ich-Stärke, Willensbekundung, Selbstverwirklichung, Schaffenskraft, Rationalität, Muskulatur, Herz, Augen;

Mittelfinger – Realitätssinn, Ideen umsetzen, Anpassung, Beharrlichkeit, Tugendhaftigkeit, Lunge, Hals-Nasen-Ohrenbereich;

Ringfinger – Kommunikationsgabe, Gemeinsinn, Sinnlichkeit, Schönheitsempfinden, Subjektivität, Kreativität, Fantasie, Intuition, Knochen, Verdauung;

Kleiner Finger – Vernunft, Intellekt, Sprachvermögen, Auffassungsgabe, Hellsichtigkeit, Spiritualität, Geschäftssinn, Abwehrkraft, Blase, Geschlechtsorgane, Wirbelsäule, Gehirn.

Anhand dieser Fingermerkmale kannst du selbst eine für dich passende Mudra entwickeln. Hierzu führst du die Finger zusammen, welche die gewünschten Eigenschaften, die du stärken möchtest, besonders unterstreichen. Vermeide jedoch zunächst komplizierte Stellungen, weil du eine einfache Mudra bequemer halten und dich dabei leichter auf den Atem- und Energiefluss konzentrieren kannst.

 

Je nachdem, in welcher Höhe du einen Finger anfasst oder Finger miteinander kreuzt, unterstützt du nach Matthias Mala unterschiedliche Temperamente der Fingereigenschaften:

unteres Fingerglied – Ich-Stärke: Impulse setzen, um konkrete Sachverhalte, die mit alltäglichen und akuten Problemen einhergehen, zu bewältigen;

mittleres Fingerglied – rationale Entwicklungen unterstützen, den eigenen Ideen und Absichten Energien zulenken, innere Blockaden aufheben;

oberes Fingerglied – seelische Innerlichkeit und Empfindungsvermögen stärken, psychische und emotionale Beeinträchtigungen lösen.

 

Andrea Christiansen: „(…) man findet Handstellungen und Übungen der Hände und Finger nicht nur in Asien, sondern in vielen Kulturen auf der ganzen Welt. In Indien haben Mudras eine sehr lange religiöse Tradition. Bestimmte Gottheiten werden anhand der Stellung ihrer Hände identifiziert, so dass außer der Körperhaltung die Mudras ein wesentliches Erkennungsmerkmal darstellen. (…) Die Mudras drücken mit wenigen Bewegungen der Augen und der Finger seelische Beweggründe und Gefühle aus und verkörpern gleichzeitig die Macht und Fähigkeit des dargestellten Gottes. Diese Haltung sagt dem Gläubigen also auch, ob der angebetete Gott ihm mit den richtigen Qualitäten zur Seite stehen kann.“

 

Meditation mit Mudras

Andrea Christiansen schreibt weiterhin: „Mudras lassen sich wunderbar bei Meditationen anwenden. Aus Darstellungen östlicher Buddhafiguren und Tempelszenen wissen wir, dass Mudras bei bestimmten Versenkungen und Tranceritualen eine große Rolle spielen.“ Mudras haben den Zweck, dich „in eine nach innen gerichtete Stimmung zu versetzen, wie dies beim Tempeltanz und bei der Meditation beabsichtigt ist.“ Dabei soll der übenden Person durch die Mudras die bewusste Wahrnehmung der Vitalenergie (Prana) des feinstofflichen Körpers ermöglicht werden.

So ist zum Beispiel bereits die einfache Ruhelage, bei der du entspannt auf dem Rücken liegst, Arme locker an der Seite, Handflächen zeigen nach oben, eine Mudra, nämlich die Kartari-Mudra.

 

Mudras im Alltag

Christiansen betont, dass Mudras praktisch überall ausgeführt werden können, da sie einfach und unkompliziert ausgeführt werden können – zu Hause, am Arbeitsplatz, in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Sitzen, Stehen, Gehen und Liegen. Du solltest allerdings darauf achten, möglichst entspannt zu sein und deinen Körper symmetrisch zu halten, d.h. nicht zu einer Seite hin gebeugt sein. Im Sitzen ist es wichtig, einen guten Kontakt mit den Füßen zum Boden herzustellen und die Beine parallel zu stellen. Im Stehen sollten die Beine hüftbreit auseinander stehen und die Knie ein bisschen locker sein. Beim Gehen sollte auf einen gleichmäßigen und lockeren Gang geachtet werden.

 

Heilende Mudras

Einerseits können Mudras als kleine Übung grundsätzlich in den Alltag integriert werden. So stellt Andrea Christiansen zum Beispiel eine Mudrafolge für den Alltag vor. Andererseits können sie bei speziellen Beschwerden helfen. Alle zitierten Autor*innen führen eine Vielzahl von Möglichkeiten auf. Bei Christiansen findet sich eine alphabetische Übersicht von Aggressionen, Antriebsschwäche, Appetitlosigkeit über u.a. Depressionen, Erkältungen, Kopfschmerzen, Schwindelanfälle bis hin zu Übelkeit und Verbesserung des Wohlbefindens. Mala kategorisiert seine Mudras in Kategorien wie Inspiration, Kommunikation, Schönheit, Partnerschaft, Entspannung und Lebensmut vor. Auch Kim da Silva arbeitet mit Gruppierungen wie Zahn/Kiefer, Kopfschmerzen/Migräne/Wetterfühligkeit, Gelenkschmerzen, Krämpfe, Rückenbeschwerden, Nervenschmerzen, Unterleib, Sport/Sportunfälle, Stresslabilität und Erschöpfung, Atmung und Immunsystem, Augen, Ohren, Haare, Verdauung, Hüfte/Beine/Becken, Krampfadern, Herzschmerzen, Denken und Lernen, Entgiftung, Allergien und anderes.

Obwohl die Arbeit mit Mudras ebenso schön wie unterstützend ist, gibt es immer noch relativ wenig Literatur darüber. Nach Kim da Silva liegt das u.a. daran, dass Mudras in Indien von den Meistern an die Schüler weiter gegeben werden. Der Autor hat deshalb Pionierarbeit geleistet, um eine Vielzahl von Mudras allgemein zugänglich zu machen.

Eine meiner Lieblings-Mudras ist zum Beispiel die Ableitungsmudra. Dabei richtest du die Fingerspitzen von Ring- und Mittelfinger gemeinsam gegen die Daumenspitze. Du hältst die Mudra ungefähr 5 Minuten mit der linken Hand. Nach Mala hilft sie dabei, Ballast abzuwerfen, neue Kraft zu tanken und sich für neue Eindrücke zu öffnen. Mit der rechten Hand geformt, begünstige die Mudra eine innere Klärung. Du kannst negative Gedanken und Gefühle leichter loslassen und wieder zu innerer Ordnung und Ausgeglichenheit zurückfinden.

Viel Spaß beim Ausprobieren!

______________________________________________________________________________________

1Matthias Mala: Wohlfühlen durch Mudras. München 2000

2Andrea Christiansen: Mudras. Finger-Yoga für mehr Wohlbefinden und Lebensfreude. 3. Auflage 2003

3Kim da Silva: Gesundheit in unseren Händen. München 2008

Foto: Pixabay

Schreibe einen Kommentar

*

Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen