Wie du bindungssicher wirst

Elaine N. Aron* schreibt im Zusammenhang mit Hochsensibilität, Bindungsstil und Beziehungen im Erwachsenenalter: „Viele unsichere Kinder werden zu unsicheren Erwachsenen, aber es gibt auch so viele Ausnahmen, dass Forscher dafür einen Namen gefunden haben: Menschen mit erworbener, sicherer Bindung. Es gibt gute Gründe zu der Annahme, dass HSP** ungewöhnlich stark dazu neigen, ihre Unsicherheit in Sicherheit umwandeln zu können. Aber das braucht Zeit, beträchtliche Arbeit und Reflexion. Und leider gibt es kaum Ratschläge, die man geben kann, außer dass Menschen mit unsicherem Bindungsverhalten sich in psychotherapeutische Behandlung begeben sollten. Ich bin der Ansicht, dass es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, sein Bindungsverhalten zu ändern.“

Die vier Bindungsstile

Im Folgenden ein kurzer Überblick über die vier möglichen Bindungsstile:

Der sichere Bindungsstil

Dieser Stil trifft auf etwa 50% der Menschen zu. Sie sind sich sicher, dass sie geliebt werden und dass die Menschen, denen sie nahe stehen, sie nicht verlassen werden. Sie mögen sich selbst und andere.

Der ängstlich-ambivalente Bindungsstil

Dieser Stil betrifft circa 10% der Menschen. Sie wünschen sich zwar eine enge Beziehung, befürchten aber, dass die andere Person ihre Zuneigung nicht erwidert. Dieser Bindungsstil weist darauf hin, dass ihre Bezugspersonen sehr inkonsequent gehandelt haben. Manchmal waren sie gar nicht präsent, dann wieder überfürsorglich. Diese Inkonsequenz und der Mangel an Ansprechbarkeit und wahrer Liebe machten sie unsicher. Als Erwachsene versuchen sie auf verschiedene Weise, die Liebe einer anderen Person auf sich zu ziehen und zu erhalten. Sie gehen im Allgemeinen aber davon aus, dass die andere Person das Interesse an ihnen wieder verlieren wird. Mit anderen Worten: Sie fühlen sich bei anderen wohl, sind sich aber nicht sicher, was sie selbst wert sind.

Der gleichgültig-vermeidende Bindungsstil

Dieser Stil trifft auf etwa 25% der Menschen zu. Sie haben beschlossen, dass es besser ist, Nähe zu vermeiden. Um mit der damit verbundenen Angst und Leere klar zu kommen, haben sie ein starkes Verteidigungssystem entwickelt – z.B. zu beschäftigt zu sein oder niemanden zu brauchen. Tendenziell beurteilen sie Menschen danach, inwieweit sie ihnen nützlich sein können. Ihre Eltern gingen wahrscheinlich nicht auf ihre Bedürfnisse nach Liebe und Beachtung ein und vernachlässigten möglicherweise auch ihre körperlichen Bedürfnisse. Gleichgültig-vermeidende Personen fühlen sich zumindest oberflächlich wohl mit sich selbst, aber nicht in Gegenwart anderer. Und in ihrem tiefsten Inneren sind sie auch nicht zufrieden mit sich selbst – ähnlich wie ängstlich-vermeidende Menschen.

Der ängstlich-vermeidende Bindungsstil

Dieser Stil betrifft circa 15% der Menschen. Sie sind chronisch schüchtern, ängstlich, depressiv und einsam. Sie wären gerne mit anderen zusammen, fürchten aber deren Ablehnung. Daher befinden sie sich in einem ständigen Konflikt und sind übererregt. Ihre Reaktionen auf Möglichkeiten, anderen näher zu kommen, sind meistens desorganisiert. Ihre Bezugspersonen haben sie wahrscheinlich schwer vernachlässigt oder waren emotional oder physisch gefährlich für sie. Sie haben ihnen Angst eingejagt oder waren depressiv und furchtsam. Daher befanden sich die Kinder in einem ständigen Konflikt: Sie suchten Nähe, fürchteten sie aber auch. Und das desorganisierte ihr Verhalten, da das Thema Bindung unendlich belastend für sie war. Sie gehen durch ihr Leben in der Annahme, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Damit fühlen sie sich sich selbst und anderen gegenüber schlecht.

Mehr Sicherheit in Bindungen entwickeln

In der Folge gibt Aron eine Liste mit einigen Anregungen, wie Menschen aus der zweiten bis vierten Gruppe bindungssicherer werden können:

1. Sanfte Geduld

Es hat viele Jahre gedauert, dich unsicher zu machen und es wird eine Weile dauern, das zu ändern. Bindungsstile sind widerstandsfähig gegen Veränderungen. Paradoxerweise nimmst du an, dass du die besten Chancen im Leben hast, wenn du die Erfahrungen aus deiner Vergangenheit wiederholst. Daher ist eine liebevolle Geduld mit dir selbst essentiell. Hör auf damit, dich zu beschuldigen, zu bestrafen oder zu vernachlässigen. Du hast das nicht verdient.

2. Gönne dir bessere Erfahrungen

Sicher hast du schon eine sichere Beziehung erlebt. Eine Person ist auf deine Bedürfnisse eingegangen und hat sich nicht nur um sich gekümmert. Damit hat sie dir gezeigt: Du bist es wert, Aufmerksamkeit zu bekommen und Menschen helfen dir, wenn du Hilfe brauchst! Allerdings brauchst du mehr solcher Beziehungen. Das ist deshalb nötig, weil es schwierig sein kann, Unsicherheit in Sicherheit zu verwandeln. Außerdem wirst du dazu neigen, die anderen und ihre Beziehung zu dir auf die Probe zu stellen. Aus diesem Grund ist eine Psychotherapie oft die beste Möglichkeit für eine erste langfristige und sichere Beziehung.

3. Trauer

Du musst betrauern, was in deiner Kindheit mies gelaufen ist. Trauer über den Schaden, der dich viele Jahre am vollen Ausleben deines Lebens gehindert hat, ist wichtig. Bei dieser Trauer geht es darum, mit dem Schmerz für den Rest deines Lebens fertig zu werden. Er ist Teil deiner persönlichen Geschichte. Aron schreibt: „Interessanterweise haben Menschen mit erworbener Sicherheit einen Rest Traurigkeit in sich, wie eine Narbe nach einer Operation, der bei anderen Menschen mit sicherem Bindungsverhalten nicht zu finden ist.“

4. Individuation/Selbstwerdung

Individuation bedeutet herauszufinden, wer du bist. Öffne dein Unterbewusstsein und finde deinen inneren Kern. Das verschafft dir eine Art reifer Sicherheit, die mit keiner anderen vergleichbar ist. Dieser Prozess kann auch durch das Verständnis deiner Träume erleichtert werden. Du wirst herausfinden, dass sich der Heilungsprozess auf eine Weise abspielt, die zum richtigen Zeitpunkt das Nötige hervorbringt. Dein Unterbewusstsein birgt einerseits Ängste in sich, andererseits aber auch viel Weisheit. Diese wird in dem Prozess der Individuation deutlich werden.

5. Überprüfe deine Ansichten

Denke regelmäßig über deine Angst vor Nähe nach, und zwar so realistisch wie möglich. Im Verlauf des Prozesses wird es nämlich leichter werden, dir diese Ängste selbst auszureden. Manchmal wird ein bestimmtes Bauchgefühl, das du als Kind entwickelt hast, niemals verschwinden. Du kannst es aber überwinden, wenn du dir selbst sagst: „Ich weiß, dass diese Angst mich eigentlich schützen will, aber sie ist eine Art falscher Alarm. Ich muss nicht danach handeln. Ich weiß diese Warnung zu schätzen, aber ich werde sie heute mal ignorieren.“

6. Arbeite konkret an deinem persönlichen Bindungsstil

Falls du eine ängstlich-vermeidende Person bist:

Arbeite daran, dich mit anderen Menschen zu treffen und nicht davon auszugehen, dass sie dich ablehnen werden. Das ist eine Herausforderung.

Falls du ängstlich-ambivalent bist:

Es ist deine Aufgabe, andere Menschen loszulassen und darauf zu vertrauen, dass diese zu dir zurückkommen werden, wenn du ihre Aufmerksamkeit brauchst – und nicht nur, wenn sie Lust dazu haben. Mach dir aber auch bewusst, dass du nicht permanent Aufmerksamkeit brauchst, auch wenn du manchmal dieses Gefühl hast.

Falls du eine gleichgültig-vermeidende Person bist:

Gestehe dir ein, dass du von anderen Abstand genommen hast – so als habe sich dein Herz in einen Stein verwandelt. Wenn du in der Liebe eine Chance bekommen möchtest, musst du zulassen, dass dein Herz wieder weicher wird. Sobald du deine Abwehr gegen Zuneigung durchbrochen hast, wirst du wieder mehr Schmerz spüren. Das ist unangenehm, aber ein großer Fortschritt. Er zeigt nämlich, dass du aus der Betäubung erwacht bist.

7. Erlebe wahres Bewusstsein

Ebenso wie die Individuation gibt dir die Meditation ein reelles Gefühl für dein inneres Sein. Die Meditation sollte mühelos sein und dich in einen Zustand eines wahren Bewusstseins versetzen. Sie sollte dir zumindest ab und zu Momente der Erkenntnis und tiefer Entspannung bescheren. Das ist ein zutiefst zufriedenstellender und sicherer Zustand, wie nach Hause kommen.

Das klingt doch machbar und ist einen ernsthaften Versuch wert, findest du nicht?

Wenn du dich dabei lieber begleiten lassen willst, melde dich gerne bei mir – ich kenne diese Prozesse nicht nur aus der Fachliteratur! 😉

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*Elaine N. Aron: Hochsensibilität in der Liebe. Wie Ihre Empfindsamkeit die Partnerschaft bereichern kann. München 6. Auflage 2015

**HSP = Hochsensible Personen

Foto: Pixabay

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