Ein wichtiger Gedanke vorneweg:
Wer sich mit Meditation beschäftigt, kommt früher oder später auch mit Osho in Berührung. Bislang habe ich hier keine Meditation von ihm eingebracht, da ich ihm sehr ambivalent gegenüberstehe. Auf der einen Seite erkenne ich seine Lebensleistung an, die Meditation vom Osten in den Westen transportiert und für die Menschen hier adaptiert zu haben. Auf der anderen Seite hat sich die westliche Meditationspraxis seit seinem Tod vor rund 30 Jahren bedeutend in verschiedene Richtungen weiter entwickelt. Und vor allem erkenne ich ihn nicht als „erleuchteten Meister“ an. Ich messe Menschen nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten und sehe, dass er sich in seiner letzten Lebensphase leider vollkommen disqualifiziert hat. Allen Vorbehalten zum Trotz hat er jedoch interessante Gedanken vorgestellt und schöne Übungen entwickelt, die es wert sind, vorgestellt zu werden – wie zum Beispiel die folgenden, denen ich allerdings zum Teil heftig widerspreche, s. meine kursiv gedruckten Kommentare hinter den Pfeilen.
„Zuerst muss man erfahren, was Meditation ist. Alles andere folgt dann. Ich kann euch nicht sagen, ihr sollt meditieren, ich kann euch lediglich erklären, was Meditation ist. Wenn ihr mich versteht, dann seid ihr in Meditation; es gibt da kein ´sollte` oder ´müsste.` Wenn ihr mich nicht versteht, dann heißt das, dass ihr nicht in Meditation seid.“
→ Diese Guru- oder Lehrer-Sache ist eine alte und gut begründete Tradition in asiatischen Ländern. Damit haben wir individualisierten Westler in dieser Form im Allgemeinen große Schwierigkeiten. Im Besonderen stellen sich mir bei den letzten beiden Zeilen die Nackenhaare hoch, weil mir dieser Ansatz viel zu hierarchisch und fremdzentriert ausgerichtet ist. Auch ich unterstelle mich bei intensiven Ausbildungen der fachlichen und vielleicht auch persönlichen Autorität gewisser Lehrer. Das geht aber nur so weit, als sie mir vielleicht in Alter, Erfahrung und Wissen einiges voraus haben und ich gerne bestimmte Dinge von ihnen lernen möchte. Dabei sehe ich sie gleichzeitig als – wundervolle und fehlbare – Menschen auf Augenhöhe und setze auch schon einmal Grenzen, wenn sie mit ihrer Autorität oder Popularität unachtsam oder überheblich umgehen. Ich verstehe, dass es gewisse narzisstische Gefahren birgt, von vielen Menschen verehrt und bewundert zu werden. Wer diesbezüglich allerdings in die narzisstische Falle tappt, hat sich bei mir disqualifiziert – und da könnte ich jetzt einige bekannte Namen nennen…
„Meditation ist ein Zustand jenseits des Denkens. Meditation ist ein Zustand des reinen Bewusstseins ohne Inhalt. Normalerweise ist euer Bewusstsein von einem Schutthaufen zugedeckt, wie ein Spiegel, den der Staub blind gemacht hat. Und im Kopf geht es zu wie zur Hauptverkehrszeit: da verkehren Gedanken, da verkehren Sehnsüchte, da verkehren Erinnerungen, da verkehren ehrgeizige Vorstellungen – es herrscht ständiger Verkehr! Tagein, tagaus. Selbst wenn du schläfst läuft der Kopf-Mechanismus weiter, du träumst. Du denkst immer noch; der Verstand produziert immer neue Ängste und Sorgen. Er sorgt sich immer schon um den nächsten Tag, im Untergrund laufen ständig Vorbereitungen. Das ist der Zustand ohne Meditation. Meditation ist genau das Gegenteil. Wenn Funkstille im Kopf ist, wenn alles Denken aufgehört hat, kein Gedanke sich regt, kein Verlangen auftaucht, wenn du absolut still bist – diese Stille ist Meditation. Und in dieser Stille erkennt man die Wahrheit und nur in dieser Stille. Meditation ist ein Zustand jenseits des Denkens.“
→ Ja, im Prinzip schon, einverstanden. Allerdings führt genau dieser Ansatz dazu, dass viele Meditationsanfänger mit einem immensen Druck in die Seminare kommen und nicht selten nach kürzester Zeit hinschmeißen mit der frustrierten Begründung: „Ich schaffe es einfach nicht, nicht zu denken.“ Ich weiß, dass es Menschen gibt, die das können. Das sind aber in der Regel solche, die einen Großteil ihrer Tages- und Lebenszeit mit Meditation verbringen und nicht solche, die es ab und an mal für schnelle 20 Minuten auf ihr Kissen schaffen…
„Und den Zustand der Meditation kann man nicht mit Hilfe des Verstandes erreichen. Der Verstand ist zu laut, er ist ein perpetuum mobile, er hält sich selbst in Gang. Meditation erreichst du nur dann, wenn du den Verstand beiseite legst, wenn du gelassen bist, unbeteiligt, nicht mit deinen Gedanken identifiziert; wenn du die Gedanken vorbeiziehen siehst, aber dich nicht mit ihnen identifizierst, wenn du nicht denkst: Ich bin meine Gedanken.“
→ Das ist nicht nur ein sehr schöner und hilfreicher, sondern erreichbarer Ansatz. Auch die Distanzierung von den eigenen Gedanken im Sinne eines „Ich habe Gedanken“ statt „Ich bin meine Gedanken“ braucht einige Übungspraxis, ist aber erreichbar und diese kleinen Erfolgsmomente nach relativ kurzer Zeit sind ungemein erfrischend und ermutigend!
„Meditation geschieht, wenn dir klar wird, dass du nicht dein Verstand bist, und wenn dieses Bewusstsein tiefer und tiefer in dich sinkt, dann wirst du allmählich Augenblicke der Stille erleben, Augenblicke reiner Klarheit, Augenblicke der Transparenz, Augenblicke, in denen sich nichts in dir rührt und alles still ist. In diesen stillen Augenblicken wirst du erkennen, wer du bist, und du wirst um das Mysterium dieser Existenz wissen. Und dann kommt ein Tag, ein Tag großer Seligkeit, an dem Meditation dein natürlicher Zustand wird.“
→ Ja und nein. Ja: die tiefer und tiefer ins Bewusstsein sinkende Klarheit, transparente Augenblicke, Erfahren des Mysteriums. Nein: das ist nicht der Anfang und geht dann immer so weiter, sondern vollzieht sich in Wellenbewegungen und einem ständigen Auf und Ab, so wie das Leben selbst. Wir sind und bleiben irdisch und es gibt diese wundervollen besonderen Momente, aber dann kommen auch wieder ganz andere usw.
„Der Verstand ist etwas Unnatürliches; er wird nie dein natürlicher Zustand sein. Aber Meditation ist der natürliche Zustand, den wir verloren haben. Meditation ist das verlorene Paradies, das wir wiederfinden können. Schau in die Augen eines Kindes: und du wirst unermessliche Stille und Unschuld entdecken. Jedes Kind kommt im Zustand der Meditation zur Welt, aber dann wird es in die Gesellschaft eingeführt – sie bringt dem Kind bei, wie man denkt, wie man kalkuliert, wie man vernünftig wird, wie man argumentiert; das Kind lernt Worte, Sprache, Konzepte, und nach und nach verliert es seine ursprüngliche Unschuld. Es wird von der Gesellschaft verseucht, verschmutzt. Es wird zum leistungsfähigen Mechanismus; ein Mensch ist es dann nicht mehr.“
→ Nein, ganz und gar nicht! Der Verstand ist etwas völlig Natürliches und es ist der Job von unserem Gehirn, zu denken, was das Zeug hält. Was allerdings unnatürlich und gar nicht gut ist, ist die Überbetonung des Verstandes in unserer modernen Welt. Auf das Herz zu hören, der Intuition zu vertrauen und auf die innere Stimme zu hören ist alles andere als verweichlichter, esoterischer Quatsch. Es ist vielmehr eine Anerkennung unserer Ganzheitlichkeit, unserer gesammelten Lebenserfahrung und Menschenkenntnis und alles andere eine unzulässige und gefährliche Reduzierung. Und als Pädagogin mit jahrzehntelanger Berufserfahrung muss ich sagen: Ja, jedes Kind kommt unschuldig auf die Welt. Ja, Erziehung kann eine ganze Menge Schaden anrichten. Nein, die Idealisierung und undifferenzierte Erhöhung der kindlichen Unschuld ist kein gutes Gegenmodell. „Die Gesellschaft“ hat für jedes Individuum positive, negative und neutrale Aspekte. Eine Dämonisierung des sozialen Umfeldes halte ich daher für genauso verkürzt und ungesund wie eine Verklärung der kindlichen Unschuld, die in Verwöhnung ohne Lenkung und Begrenzung zu monströsen und narzisstischen Auswüchsen führen kann. Das ist dann alles andere als paradiesisch…
„Es kommt darauf an, diesen ursprünglichen Zustand wiederzufinden. Du kennst ihn schon, und wenn du zum ersten Mal Meditation erlebst, wirst du erstaunt sein – ein sehr starkes Gefühl wird in dir aufsteigen, das Gefühl, dass du diesen Zustand schon kennst. Und dieses Gefühl stimmt: du kennst ihn schon. Du hast ihn nur vergessen. Der Diamant ist unter dem Schutt verlorengegangen. Aber wenn du diesen Schutt wegräumst, wirst du den Diamant wiederfinden – er gehört dir. Er kann nicht wirklich verlorengehen – er kann höchstens in Vergessenheit geraten. Wir werden als Meditierer geboren, und dann lernen wir, die Wege des Verstandes zu gehen. Aber unsere wirkliche Natur bleibt irgendwo ganz tief unten verborgen, wie eine unterirdische Strömung. Grabe nach, jeden Tag ein bisschen, und die wirst die Quelle noch lebendig finden, die Quelle frischen Wassers. Es ist die größte Freude im Leben, sie zu finden.“
→ Ja, hier bin ich ganz d´accord. Klare und/oder tiefe meditative Zustände haben sehr viel zu tun mit: sich erinnern, zurückfinden, nach Hause kommen, zu sich kommen, ganz werden usw.
Vielen Dank für dieses Gespräch! 😉
Willst du mitreden?
______________________________________________________________________________________________________________________________
Osho: Das orangene Buch. Die Osho Meditationen für das 21. Jahrhundert. Köln 23. Auflage 2020
Foto: Pixabay