Meditation: Tara Brach – Dein furchtloses Herz

Eine interessante Neuentdeckung von der Schnittstelle zwischen Meditation und Persönlichkeitsentwicklung/Psychotherapie:

 

Tara Brach:

Dein furchtloses Herz

Mit der RAIN-Methode schwierige Emotionen heilen

München 2020

 

Die Autorin

Tara Brach ist eine der führenden westlichen Lehrerinnen in buddhistischer Meditation. Die klinische Psychologin und erfolgreiche Autorin verbindet seit vielen Jahren westliche Therapie mit östlicher Achtsamkeitspraxis. Tara Brach leitet weltweit Retreats und ist Gründerin der Insight Meditation Community of Washington. Ihr Podcast zum Thema „emotionale Heilung“ bekommt über eine Million Downloads pro Monat.“

 

Der Klappentext

Die berühmte buddhistische Meditationslehrerin Tara Brach hat mit RAIN eine bewährte Selbsthilfe-Methode weiterentwickelt, die sie nun in ihrem Ratgeber zu Achtsamkeit und Selbstliebe zum ersten Mal vorstellt. Sie und auch ihre Schüler*innen geben Beispiele, wie ihnen RAIN bei ihren Traumata, Ängsten oder in schmerzlichen Beziehungen geholfen hat.

Die vier Schritte von RAIN sind:

– registrieren (recognize),

– annehmen (accept),

– interessiert erforschen (investigate),

– nähren (nurture).

Mit diesen vier Schritten ist jeder in der Lage, sich in schwierigen Situationen zu sammeln und mit Achtsamkeit vorschnelle Reaktionen zu vermeiden. Gerade der letzte Punkt „nurture“ hilft, Selbstmitgefühl für sich selbst und seine heiklen Seiten zu entwickeln und das Positive in sich zu nähren.

Viel zu oft bewegen wir uns im sogenannten Autopiloten und agieren automatisch mit festen Gedanken- und Gefühlsmustern auf die Situationen des Lebens. Tara Brach nennt das eine Art „Trance“, die wir zu selten durchbrechen. Die besondere Achtsamkeit, die man durch RAIN entwickeln kann, führt demgegenüber zu einer weiteren Perspektive mit mehr Varianten und Möglichkeiten zu reagieren und zu handeln. Sie führt definitiv zu mehr Klarheit, Humor und Mitgefühl, vor allem zu mehr Selbstmitgefühl und Selbstliebe.

Am Ende jedes Kapitels geben Übungen die Möglichkeit, die wertvollen Erkenntnisse von RAIN praktisch und alltagsnah umzusetzen“.

 

Das Buch

Tara Brachs Buch besteht aus drei Teilen und zehn Kapiteln, denen ein Vorwort, ein Überblick über die geführten Reflexionen, Meditationen und kurze Übungen vorangehen und zwei Anhänge zur Entwicklung des Akronyms RAIN und dem Üben gemeinsam mit anderen und ein Dank folgen.

Teil 1 mit dem Titel „Wie Aufmerksamkeit heilt“ bietet eine Übersicht über die vier Schritte von RAIN mit den verschiedensten Beispielen aus dem Leben der Autorin und dem ihrer Schüler*innen und einem Frage-Antwort-Teil.

Teil 2 ist Anleitung zur Integration der Methode in das eigene Leben. Mit Hilfe von konkreten Beispielen aus der Arbeit beschreibt Tara Brach, wie die vier Schritte in verschiedenen Umständen wie z.B. Ängsten, Scham bis zur Entdeckung der tiefsten Sehnsucht angewendet und verfeinert werden können.

Teil 3 beschäftigt sich mit Beziehungen und beinhaltet Übungen zur Vergebung. Sie sollen helfen, „Konflikte, verborgene Vorurteile und Meinungsverschiedenheiten weise zu handhaben.“

 

Wesentliche Inhalte

Bei der Wiedergabe der wesentlichen Inhalte konzentriere ich mich auf das Vorwort und den ersten Buchteil mit seinen zentralen Thesen und der Vorstellung der eigentlichen Methode. Die folgenden Teile skizziere ich nur kurz, da sie in die Tiefe und Breite gehen und den Rahmen eines Blogs hier sprengen würden.

 

Im Vorwort zitiert Tara Brach einen Hospizbegleiter, der das größte Bedauern von Menschen in ihren letzten Lebenswochen so zusammenfasst: „Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein Leben in Übereinstimmung mit mir zu leben.“ Auf dieser Grundlage stellt Tara Brach ihren Meditationsübenden Fragen wie:

– „Wie lebst du in Übereinstimmung mit dir?

– Wie fühlst du dich, wenn dein Leben mit dem übereinstimmt, was dir im Innersten wichtig ist?

– Lebst du heute in Übereinstimmung mit dir?

– Jetzt gerade?“

Die Autorin betrachtet das Leiden daran, sich unzulänglich und abgetrennt zu fühlen, als fruchtbaren Boden für die lebensverändernde Einsicht: „Ich muss mich selbst lieben, damit ich heilen kann. Der einzige Weg, der mich zu mir heimführen kann, ist der Weg des Selbstmitgefühls.“ Sie betont, dass eine heilende Medizin immer zu einem Teil aus „Fürsorge, Mitgefühl und Vergebung“ besteht. Dieser zentrale Gedanke des Selbstmitgefühls („Bitte sei gut zu dir“) zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch. „Diese Hinwendung zu liebevoller Präsenz ist das Tor zu einem Leben in Übereinstimmung mit uns selbst.“ Genau das bezeichnet Tara Brach als „radikales Mitgefühl“: „die Verletzlichkeit des Lebens (…) in unser Herz hineinnehmen, dass wir den Mut haben, uns selbst, einander und unsere Welt zu lieben“. Brach stellt Achtsamkeit und Mitgefühl als zwei Dimensionen heraus, die helfen, „schmerzhafte Überzeugungen und Gefühle, die uns daran hindern, in Übereinstimmung mit uns zu leben, zu heilen und loszulassen.“

Diese Praxis nennt sie RAIN. Im Englischen ist der Name ein Akronym, das sich aus den vier Schritten recognize/erkennen, allow/zulassen, investigate/erkunden und nurture/nähren zusammensetzt. Die Arbeit mit diesen Schritten kann ein zuverlässiger Weg in Richtung zu mehr Freiheit sein, gerade inmitten von gefühlsmäßigem Schmerz. Tara Brach ist davon überzeugt, dass diese Schritte auch in gestressten, ängstlichen, reaktiven und verwirrten Momenten als Rettungsanker dienen können. „Eben diese Schritte stärken, wenn man sie wieder und wieder vollzieht, die Belastbarkeit und das Vertrauen in das eigene weise, erwachende Herz.“

Wichtig ist der Hinweis, dass RAIN ursprünglich in den 1980er Jahren von der buddhistischen Lehrerin Michele McDonald als Meditationsanleitung eingeführt wurde und seitdem von Achtsamkeitslehrenden auf verschiedene Arten angewendet und angepasst wurde.

 

Teil 1

Einleitend zu Teil 1 schreibt Tara Brach: „Schon ein paar Minuten mit RAIN können den Zustand des inneren Getrenntseins unterbrechen“ und helfen, „mit uns selbst und anderen gegenwärtiger zu sein.“ Die Methode soll genau dann greifen, wenn wir uns „im dichten Wald unseres Lebens“ verlieren.“ Dann gerät schnell aus dem Blick, „worum es eigentlich geht“ und wir „vergessen, wie sehr wir uns danach sehnen, liebevoll, warmherzig und offen zu sein.“

Dieses Vergessen ist ein Teil des „Trancezustandes“ oder „Autopiloten“, wie Brach und andere Achtsamkeitslehrende das nennen. Dann sind wir „wie in einem Traum, komplett von der Wirklichkeit getrennt“. In diesem Zustand ist der Geist „verengt, fixiert und gewöhnlich in Gedanken versunken. Unser Herz ist dann oft abwehrend, angsterfüllt oder betäubt.“ Diesem Zustand stellt die Autorin dem der „Präsenz“ gegenüber: „Haben wir uns im Wald verirrt, können wir erst einmal einfach innehalten, uns von unseren tosenden Gedanken abwenden und uns unserer Erfahrung von Augenblick zu Augenblick gewahr werden“.

Im Gewahrseinsunterricht benutzt Tach gerne ein Bild des amerikanischen Professors und Publizisten Joseph Campbell: einen Kreis mit einer ihn durchschneidenden Linie. „Oberhalb der Linie befindet sich all das, dessen wir uns bewusst sind, darunter all das, was jenseits unseres bewussten Gewahrseins liegt – eine Welt voll versteckter Ängste, voll von Abwehr, Konditionierungen und Glaubenssätzen. Solange wir unterhalb der Linie leben, sind wir in Trance.“ Interessant ist in diesem Kontext eine Liste von „Trancemarkern“ wie z.B. „Ich merke, dass ich gerade eine ganze Tüte Studentenfutter in ich reingestopft habe“ oder „Ich verliere eine Stunde damit, mich durch Links zu klicken“. Sehr anschaulich ist auch eine tabellarische Gegenüberstellung von Trance (z.B. unbewusst – unterhalb der Linie, in Emotionen gefangen oder von ihnen beherrscht, abgetrennt) und Präsenz (bewusst – oberhalb der Linie, achtsam wahrgenommene Emotionen, im Kontakt).

Die einschneidendsten Transformationen in unserem Leben gehen auf etwas sehr Simples zurück: Wir lernen, mit dem, was in uns vorgeht, in Resonanz zu gehen, statt nur darauf zu reagieren.“

Die MeditationRAIN Schritt für Schritt“ kann in einer akuten verfahrenen Situation angewendet werden, die eine schwierige Reaktion wie „Wut oder Angst, Scham oder Hoffnungslosigkeit“ hervorruft.

1.) R: Recognize – Erkenne, was gerade passiert.

Hilfreiche Fragen:

– „Was passiert gerade jetzt in meinem Innern?“

– Welcher Körperempfindungen bin ich mir am stärksten bewusst?

– Welcher Gefühle?

– Welche Gedanken rasen im Kopf?

Das alles dient der Bewusstwerdung der emotionalen Grundstimmung der Situation.

2.) A: Allow – Lasse das Leben so zu, wie es gerade ist

Hier geht es um die Bereitschaft, innezuhalten und zu akzeptieren, dass es gerade so ist, wie es ist. Tara Brach ermuntert dazu, sich zu sagen: „Ja.“, „Ich bin einverstanden“ oder „Ich lasse es da sein.“ Das kann auch bedeuten, ja zu einem riesengroßen Nein zu sagen, zu einem inneren Widerstand. Das gehört alles zu dem Prozess dazu. Es geht um das Feststellen, was gerade ist – ohne Beurteilung, Kontrolle oder Verdrängen.

3.) I: Investigate – Erkunde das Gefundene mit sanfter, neugieriger Aufmerksamkeit

Das ist die Begegnung mit der eigenen Erfahrung mit interessierter, liebevoller Aufmerksamkeit. Hilfreiche Fragen:

– „Was ist das Schlimmste daran; was verlangt am dringendsten nach meiner Aufmerksamkeit?“

– „Was ist am schlimmsten/schmerzhaftesten an dem, was ich glaube?“

– Welche Gefühle sind damit verbunden?

– „Wo im Körper sind meine Gefühle dazu am stärksten spürbar?“

usw.

Wichtig: In diesem Schritt geht es nicht um eine kognitive Analyse der Situation, sondern um das Körpergewahrsein! Die Aufmerksamkeit fokussiert auf den Körper – statt darüber nachzudenken, was los ist. Ziel ist der Kontakt auf zu den Gefühlen und „Empfindungen im verletzlichsten Bereich“. Das Hören darauf, was dieser Bereich braucht, kann heilsam sein.

4.) N: Nurture – Nähre dich mit liebender Präsenz

Was ist deine spontane Reaktion, wenn du spürst, was du brauchst? Wende dich an deinen weisen und mitfühlenden Teil und umarme dich selbst, lege dir sanft eine Hand aufs Herz oder stelle dir eine liebe Freundin vor. Experimentiere mit Möglichkeiten, dich mit deinem Innenleben anzufreunden. Finde raus, wie du dich am schönsten selbst nähren kannst, „was dem verletzlichsten Teil“ in dir „ermöglicht, sich geliebt, gesehen und sicher zu fühlen.“ Biete dir innerlich Fürsorge an.

Nach RAIN

Wenn diese vier Schritte abgeschlossen sind, verlagerst du dich „vom Tun aufs Sein. In dieser Phase besteht die Einladung darin, sich zu entspannen und loszulassen, hinein in den Herzraum, der sich aufgetan hat.“ Ruhe in diesem Gewahrsein und werde damit vertraut; dies ist dein „Wahres Zuhause“. Schenke der Qualität deiner Präsenz, „der Offenheit, Wachheit, Zärtlichkeit“ nun Aufmerksamkeit und stelle dir folgende Fragen:

– „Welches Gefühl meines Seins – dessen, wer ich bin – habe ich in diesem Moment?

– Was hat sich verändert, seit ich mit der Meditation begonnen habe?“

Falls du dich noch wund und ungeschützt fühlst oder eine neue Schwierigkeit auftreten sollte, schließe auch diese Gefühle liebevoll mit ein.

 

Teil 2

Im zweiten Buchteil wendet Tara Brach die RAIN-Methode auf das Seelenleben an. Dabei beschäftigt sie sich u.a. mit Aspekten wie dem Loslassen schmerzhafter Selbstüberzeugungen, eines geringen Selbstwertgefühls, auf angstvollen Überzeugungen und Verhaltensweisen, Selbst- und Fremdverurteilungen, Scham, dem Widerstand gegen unerwünschte Gefühle, dem Hinterfragen wiederkehrender negativer Gedanken, der Akzeptanz von Liebe und Liebenswürdigkeit, dem Erkennen und Entwickeln von eigenen Nährquellen, dem Finden von weiteren Zugängen zur Stärkung der eigenen Ressourcen, dem Verankern von positiven Zuständen, dem Entdecken der tiefsten Sehnsucht, dem Umgang mit unbefriedigten Bedürfnissen.

Diese Punkten werden auf der theoretischen wie der praktischen Ebene mit Beispielen aus dem Leben, Tipps, Übungen, Meditationen und eingeschobenen Frage-Antwort-Teilen beleuchtet.

 

Teil 3

Der dritte Teil des Buches befasst sich mit der RAIN-Methode und Beziehungen unter dem Blickpunkt der Vergebung. Tara Brach räumt mit allen möglichen Missverständnissen über den Prozess der Vergebung auf. Statt dessen plädiert sie für eine komplexe Definition mit drei Stadien. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die gerne von ihr eingesetzte „Reflexion. Am Lebensende“. Darin leitet sie zu der Vorstellung an, „Sie wären am Ende ihres Lebens angelangt und würden noch einmal darauf zurückblicken. Dieser Blickwinkel hilft, uns zu erinnern, was das Wichtigste ist, damit wir die Gewohnheiten erkennen können, die uns voneinander fernhalten.“ Ferner grenzt sie gesunde Wut von einer „Schuldzuweisungstrance“ ab, lenkt den Fokus auf falsch gesehene Mitmenschen („der unechte andere“), das Erkennen des grundlegenden Gutseins bei sich selbst und bei anderen, das Sich-Spiegeln im anderen und das positive Spiegeln anderer. Das beinhaltet auch, Vorurteile zu überwinden, Mitgefühl und Selbstmitgefühl zu kultivieren, Mitleid in Mitgefühl zu transformieren („Wie ist es, du zu sein?“), andere zu verstehen, die Aufmerksamkeit für eine andere Person zu vertiefen oder eine ethische Kluft zu überwinden. Interessant sind am Ende dieses Teils auch die Überlegungen zu der Frage, ob man zu viel Mitgefühl haben kann…

Auch in diesem Teil arbeitet Brach wieder auf der Theorie- und Praxis-Ebene mit Beispielen, Tipps, Übungen, Meditationen wie „Die verborgene Schönheit sehen“ und Frage-Antwort-Sequenzen.

 

Meine Meinung

Der Titel der amerikanischen Originalausgabe dieses Buches lautet „Radical Compassion“, also „Radikales Mitgefühl“. Das trifft die Kernbotschaft des Buches besser als der etwas pathetisch anmutende deutsche Titel. Sicher präsentiert Tara Brach eine weitere Methode, wo es doch schon so viele zur achtsamen Selbsterforschung und Persönlichkeitsentwicklung gibt. Zum einen existieren im deutschsprachigen Raum jedoch bislang noch nicht viele Ansätze, die explizit das so wichtige Mitgefühl in ihre Praxis hineinnehmen und füllt somit eine vorhandene Lücke. Zum anderen sagt nicht jede Methode jeder Person zu und vielleicht ist RAIN ja gerade der Ansatz, der bei dir den Groschen fallen lässt und endlich einen Unterschied im wahren Leben macht!?

Nicht so gut gefällt mir, dass der Pathos des deutschen Titels sich oftmals tatsächlich auch in den Ausführungen Brachs wiederfindet und sie bisweilen zu sehr in die Tiefe und Breite geht – da wäre weniger manchmal mehr gewesen.

Am besten verschaffst du dir also selbst einen Eindruck und Berichte über eigene Erfahrungen mit dem vorgestellten Ansatz finden ich grundsätzlich spannend!

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Foto: Pixabay

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