Ein wichtiger Gedanke vorneweg:
Wer sich mit Meditation beschäftigt, kommt früher oder später auch mit Osho in Berührung. Bislang habe ich hier keine Meditation von ihm eingebracht, da ich ihm sehr ambivalent gegenüberstehe. Auf der einen Seite erkenne ich seine Lebensleistung an, die Meditation vom Osten in den Westen transportiert und für die Menschen hier adaptiert zu haben. Auf der anderen Seite hat sich die westliche Meditationspraxis seit seinem Tod vor rund 30 Jahren bedeutend in verschiedene Richtungen weiter entwickelt. Und vor allem erkenne ich ihn nicht als „erleuchteten Meister“ an. Ich messe Menschen nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten und denke, dass er sich in seiner letzten Lebensphase leider vollkommen disqualifiziert hat. Allen Vorbehalten zum Trotz hat er jedoch interessante Gedanken vorgestellt und schöne Übungen entwickelt, die es wert sind, hier vorgestellt zu werden, wie zum Beispiel diese:
Schau in deine Kopfschmerzen hinein
„Wenn du wieder einmal Kopfschmerzen hast, versuche es mit einer kleinen meditativen Technik. Mache ein Experiment – dann kannst du dies auch bei größeren Krankheiten und stärkeren Symptomen anwenden.
Wenn du Kopfschmerzen hast, mache ein kleines Experiment. Setze dich ganz ruhig hin und beobachte den Schmerz. Schaue in ihn hinein – nicht so, als ob du einen Feind anschauen würdest, nein. Wenn du ihn anschaust, als wäre er dein Feind, kannst du ihm nicht wirklich ins Auge sehen. Dann weichst du ihm aus – niemand schaut einen Feind direkt an; man vermeidet seinen Anblick, man neigt dazu, ihm auszuweichen. Schaue ihn als einen Freund an. Er ist dein Freund; er erweist dir einen Dienst. Er sagt dir: „Etwas stimmt nicht – schaue es dir an.“ Sitze ganz still und schau in den Kopfschmerz hinein, ohne den Gedanken, er möge aufhören, ohne den Wunsch, er möge verschwinden; kein Konflikt, kein Kampf, kein Widerstand. Schaue in dich hinein, schau hin, was er ist.
Beobachte, und wenn eine innere Botschaft da ist, kann der Kopfschmerz sie dir übermitteln. Er birgt eine verschlüsselte Botschaft. Und wenn du ihn mit Ruhe anschaust, wirst du überrascht sein. Wenn du ganz still hinschaust, geschieht dreierlei.
Erstens.
Je intensiver du ihn beobachtest, desto stärker wird der Schmerz. Das wird dich etwas verwirren: „Wie kann mir das helfen, wenn der Schmerz sogar noch größer wird?“ Er wird deshalb größer, weil du ihm vorher ausgewichen bist; du hattest ihn unterdrückt – sogar ohne Aspirin warst du schon dabei, ihn zu unterdrücken. Wenn du in den Schmerz hineinschaust, fällt die Unterdrückung weg. ER wird seine natürliche Stärke erreichen. Dann hörst du ihn mit unverstopften Ohren, du hast keine Watte mehr in den Ohren.
Also zuerst wird er heftiger. Wenn der Schmerz heftiger wird, kannst du zufrieden sein, denn dann schaust du ihn wirklich an. Wenn er nicht heftiger wird, dann schaust du noch nicht hin; du weichst ihm immer noch aus. Schau in ihn hinein – und er wird stärker. Das ist der erste Hinweis, dass du ihn wirklich anschaust.
Zweitens.
Du kannst den Schmerz lokalisieren, er ist nicht mehr diffus. Zuerst dachtest du: „Mein ganzer Kopf schmerzt.“ Nun wirst du sehen, dass der Schmerz nicht über den ganzen Kopf verteilt ist, er ist nur an einer winzigen Stelle. Dies ist auch ein Hinweis dafür, dass du tiefer in den Schmerz hineinschaust. Das diffuse Gefühl ist ein Trick – es ist ein Mittel, ihm auszuweichen. Wenn der Schmerz ganz lokal ist, ist er stärker. Also schaffst du die Illusion, als würde der ganze Kopf schmerzen. Über den ganzen Kopf verteilt ist der Schmerz an keiner Stelle so intensiv. Dies sind die Tricks, die wir immer und immer wieder anwenden.
Schaue in den Schmerz hinein, und die zweite Stufe ist dann, dass er immer mehr zusammenschrumpft. Und dann kommt der Augenblick, da ist er nicht größer als eine winzige Nadelspitze – sehr spitz, ungeheuer scharf, sehr schmerzhaft. Du hast noch nie einen solchen Schmerz in deinem Kopf erlebt. Aber ganz und gar auf einen Punkt konzentriert. Schaue weiter in den Schmerz hinein.
Und dann geschieht das dritte – und Wichtigste.
Wenn du an diesem Punkt, wo der Schmerz sehr stark, sehr scharf umrissen und auf einen Punkt konzentriert ist, nicht zu beobachten aufhörst, dann wirst du immer von neuem die Erfahrung machen, dass er verschwindet. Wenn du ihn wirklich richtig anschaust, dann verschwindet er. Und während er verschwindet, erhaschst du einen kurzen Einblick: Du siehst, woher er kommt, was seine Ursache ist. Wenn das Symptom verschwindet, siehst du den Auslöser. Und so wird es immer wieder sein. Der Schmerz kommt wieder. Du schaust nicht mehr so wach, so konzentriert, so aufmerksam hin – und schon kommt er zurück. Wenn du wirklich hinschaust, verschwindet er; und wenn er verschwindet, zeigt sich die Ursache dahinter. Und du wirst überrascht sein: Dein Geist ist bereit, dir die Ursache zu enthüllen.
Und es können tausenderlei Ursachen sein. Es ist jedes Mal das gleiche Alarmzeichen, denn das Alarmsystem ist sehr simpel. Der Körper hat nicht viele verschiedene Alarmsysteme. Es gibt dasselbe Alarmzeichen für unterschiedliche Ursachen. Es mag sein, dass du in letzter Zeit oft wütend warst und deine Wut nicht ausgedrückt hast. Plötzlich, wie eine Offenbarung, steht sie vor dir.
Du siehst all den Ärger, den du die ganze Zeit über mit dir herumgeschleppt hast, immer und immerzu … er ist wie ein Eiter in dir. Jetzt ist es einfach zu viel, und dieser Ärger will hinaus. Eine Katharsis ist fällig. Tobe dich aus! – und du wirst sehen, wie augenblicklich der Kopfschmerz verschwindet. Und ganz ohne Aspirin, ganz ohne Behandlung!“
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Osho: Das orangene Buch. Die Osho Meditationen für das 21. Jahrhundert. Köln 23. Auflage 2020
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