Psychotherapie: Alexithymie

Hast du schon einmal etwas von Alexithymie gehört?

Nein?

Ich bis vor Kurzem auch noch nicht. Dann kam eine Anfrage, ich begann zu recherchieren und es wurde klar: Das muss in die Welt hinaus!

Alexithymie wird mit Gefühlsblindheit oder Gefühlskälte übersetzt. Als Persönlichkeitsmerkmal wird sie in den Bereich der psychosomatischen Krankheitslehre eingeordnet und nicht als psychische Störung oder Krankheit charakterisiert. Deshalb findet sie sich auch nicht in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen ICD-10. Rund acht Millionen Menschen in Deutschland, also durchschnittlich jede zehnte Person, soll von Alexithymie betroffen sein.

Alexithymie meint eine Störung der Gefühlswelt und emotionalen Wahrnehmung. Der Begriff beschreibt u.a. das Phänomen, weder wahre Freude noch Trauer empfinden zu können. Er leitet sich aus dem Griechischen her und bedeutet die „Unfähigkeit, Gefühle zu lesen und auszudrücken“. Dazu gehört auch das Verbalisieren von Emotionen, sich in die Gefühlswelt anderer hineinzuversetzen oder das emotionale Verhalten anderer zu interpretieren. Wichtig ist in diesem Kontext, dass Alexithymie nicht bedeutet, dass keine Gefühle da sind. Es bedeutet, dass sie keinen verbalen Ausdruck finden. Es fällt den betreffenden Menschen schwer, in sozialen und kommunikativen Situationen zu interagieren. Sie wirken gefühlskalt, distanziert und oft unbeteiligt.

Die Alexithymie ist nicht als Krankheit im eigentlichen Sinne definiert, da die Ursachen bisher noch nicht eindeutig geklärt werden konnten. In der Psychologie ist das Phänomen seit Langem ein Thema, dennoch gibt es bisher noch vergleichsweise wenig Publikationen dazu. Das Konzept wurde in den 1970er Jahren durch den Psychotherapeuten John C. Niemah und den Psychiater Peter Emanuel Sifneos geprägt. Sie haben mit dem Begriff ein bestimmtes symptomatisches Phänomen bei ihren Patientinnen und Patienten erklärt: die Unfähigkeit, Gefühle zu verarbeiten und die Symbolhaftigkeit sozialer Beziehungen zu verstehen.

Auch wenn die Ursachen für Alexithymie noch unklar sind, gibt es verschiedene Ansätze. Einige Wissenschaftler gehen von einer enger Verbindung zwischen Gefühlskälte und einer geringen emotionalen Intelligenz aus. Unter emotionaler Intelligenz wird allgemein die Fähigkeit verstanden, eigene und fremde Gefühle wahrnehmen und einordnen zu können. Andere Ansätze meinen, dass Alexithymie als Persönlichkeitsmerkmal bereits in der frühen Kindheit entsteht, etwa infolge fehlender Liebe und Zuneigung. Manche Forscher sehen darin ein Symptom anderer psychisch-dispositiver Störungen und wiederum andere suchen die Ursache in traumatischen Erlebnissen.

Das Persönlichkeitsmerkmal kennzeichnet eine verminderte bis hin zu einer fehlenden Affektivität. Das bedeutet, dass gefühlsblinde Menschen Schwierigkeiten haben, Affekte zu verarbeiten und zu differenzieren.

 

Es fällt ihnen schwer,

  • zwischen körperlichen Empfindungen und Emotionen zu unterschieden,

  • die Gefühle anderer Personen zu beschreiben,

  • Gefühle genau zu benennen,

  • phantasievoll zu sein und

  • sich in die Gefühle und Emotionen anderer hineinzuversetzen und mitzufühlen.

Betroffene wirken dadurch in sozialen und kommunikativen Situationen gefühlskalt, distanziert und oft unbeteiligt.

 

Wie du einen gefühlskalten Menschen erkennst & Tipps zum Umgang

Alexithymie unterliegt als Persönlichkeitsmerkmal einer Variabilität. Das bedeutet, dass es verschiedene Ausprägungen gibt, starke oder schwache Formen. Es können also bereits kleine Nuancen sein, an denen du eine alexithymische Person erkennst. Fünf Tipps, woran du eine gefühlskalte Person erkennst und wie du damit umgehen kannst:

 

1. Die Frage nach dem Gefühl

Alexithymischen Menschen fällt es schwer, Gefühle in Worte zu fassen. Wenn du eine betroffene Person fragst, wie es ihr geht, wird die Antwort auf deine Frage kurz angebunden ausfallen. Wenn du genauer darauf eingehst, reagiert die Person wahrscheinlich eher abwehrend und mit Unverständnis. Das kann sich in Formulierungen wie “Das habe ich doch bereits gesagt.” oder in der Frage “Was genau meinst du damit?” äußern.

Zudem fallen die Antworten auf die Frage nach Empfindungen und Gefühlen bei gefühlskalten Menschen phantasielos aus. Die Antwort “Ich bin heute einfach schlecht drauf” beschreibt oft das Höchste an verbalisierten Gefühlen. Das Unvermögen, Gefühle zu erkennen und einordnen zu können, geht meist mit einer eingeschränkten Phantasie einher. Das zeigt sich unter anderem in einem beschränkten Wortschatz im Hinblick auf das Themenfeld der Gefühle. Betroffene wirken wortkarg und dadurch oft desinteressiert.

Tipp: Umgang mit „Gefühls-Legasthenie“

Versuche der Gefühlsblindheit mit sehr viel Empathie zu begegnen. Nur weil es Betroffenen schwer fällt, Gefühle zu verbalisieren, bedeutet es nicht, dass sie keine haben. Versuche ein Gefühl dafür zu entwickeln, ob dein Gegenüber vielleicht Trauer, Wut oder Hilflosigkeit nicht ausdrücken kann. Intensive Gespräche und Nachfragen sind eine effektive Möglichkeit, Ursachen herauszufinden.

 

2. Fehlendes Empathievermögen

Empathie bedeutet Einfühlungsvermögen. Andere Synonyme sind Feinfühligkeit, Fingerspitzengefühl, Mitgefühl und Teilnahme. Wir schätzen Menschen mit einer hohen Empathiefähigkeit, da sie über eine ausgeprägte Begabung verfügen, sich in die Gefühlswelt und Überzeugungen anderer Menschen einfühlen zu können.

Da Betroffene von Alexithymie Probleme im Umgang mit Gefühlen haben, fällt es ihnen schwer, die Empfindungen und Überzeugungen anderer nachzuvollziehen und zu verstehen. Anzeichen können sein,

  • dass die Person kein Mitgefühl ausdrücken kann,

  • fehlende Hilfsbereitschaft,

  • Unverständnis für deine Einstellung und

  • dass die Person dich in deiner Gefühlswelt nicht nachvollziehen kann.

Im Gespräch mit der Person wirst du merken, dass sie ein Gespräch, in dem es um Emotionen und Gefühle geht, nicht dominieren wird. Die Person wird gefühlskalt auf dich wirken, weil sie Teilnahmslosigkeit und Reserviertheit ausstrahlt. Das liegt in der Tatsache begründet, dass Betroffene einzelne Gefühle weder einordnen können, noch in vollem Maße verstehen. Als Faustregel kann zusammengefasst werden: Je weniger Empathie vorhanden ist, desto stärker ausgeprägt ist die Alexithymie.

Tipp: Umgang mit fehlender Empathie

Wenn du merkst, dass sich die betroffene Person nicht in dich hineinversetzen kann, deine Gefühlswelt nicht versteht und nicht weiß, wie sie reagieren soll, bringt es nichts, die Person in Bedrängnis zu bringen. Vermeide es, Druck aufzubauen und sie mit Fragen zu löchern. Sei selbst verständnisvoll. Werde dir bewusst, dass die Person nicht böswillig oder aus Unlust handelt. Versuche Vorwürfe wie “Du hast kein Verständnis” oder “Du bist ein unempathischer Mensch” zu vermeiden.

 

3. Körperliche Beschwerden anstelle von Gefühlen

Es ist ein Trugschluss zu glauben, Menschen mit Alexithymie hätten keine Gefühle. Vielmehr ist bei ihnen die Verbindung zwischen dem Gefühlszentrum im Gehirn und dem Ort (interozeptiver Kortex), an dem die Gefühle bewusst verarbeitet werden, gestört. Daher können die Gefühle nicht richtig identifiziert und eingeordnet werden. Infolge dieses Umstands reagiert der Körper bei größerer seelischer Belastung als eine Art Ventil.

Mögliche psychosomatische Symptome, die an die Stelle von Affekten und anderen starken Gefühlen treten, können Folgende sein:

  • Magen- und Darmbeschwerden,

  • Schlafstörungen,

  • Unwohlsein und Erschöpfung,

  • Herzrasen und Herz-Kreislauf-Probleme und

  • chronische Schmerzen.

Reagieren Menschen mit Alexithymie auf extreme Situationen etwa mit Herzrasen oder Schlafstörungen, können sie von den Symptomen nicht auf die Ursache schließen. Vermutlich werden sie in solchen Fällen einen Arzt aufsuchen, weil sie an der Funktionstüchtigkeit des Körpers zweifeln und eine Krankheit vermuten.

Tipp: Umgang mit Spannungs- und Erregungszuständen

Sei aufmerksam. Du kannst deinem Partner oder Freund mit Alexithymie helfen, indem du deine Wahrnehmung gezielt ausrichtest. Merkst du, dass die Person körperliche Beschwerden und Leiden verspürt, kannst du das Gespräch suchen. Hinterfrage, was an dem Tag passiert ist und wodurch die Beschwerden ausgelöst werden könnten. Sei einfühlsam und gehe auf die Person ein. Ein klärendes Gespräch kann so zum Ursprung der Beschwerden führen und sie in dem Fall auch mindern.

 

4. Fehlendes Eingehen auf deine Gefühlswelt

Personen mit Alexithymie reagieren in emotionalen Gesprächen eher kalt und nüchtern. Sie haben Probleme, deine Gefühlswelt richtig wahrzunehmen. Es kann sein, dass du beispielsweise Trauer oder Wut empfindest und die Person es nicht merkt. Weil die Person deine Affekte und Gefühle nicht wahrnimmt, kann sie auch nicht adäquat darauf reagieren. Das führt dazu, dass sich alexithymische Personen bei emotionalen Gesprächsthemen eher zurückziehen. Dies wird vom Gegenüber oft missverständlich gedeutet. Sie wirken durch ihre Zurückhaltung desinteressiert und emotional distanziert. Ein weiterer Hinweis ist die Körpersprache, also Mimik und Gestik. Forscher fanden heraus, dass gefühlsblinde Menschen viel sparsamer gestikulieren.

Umgang mit Gefühlsblindheit

Akzeptiere, dass eine Person, die Alexithymie als Persönlichkeitsmerkmal aufweist, dir nicht jeden Wunsch von den Lippen ablesen kann. Sei verständnisvoll und geduldig im Umgang mit der betroffenen Person. Versuche, deine Gefühle zu verbalisieren und zu erklären. Das kann der Person helfen, dich besser zu verstehen. Habe Verständnis dafür, dass gefühlskalte Menschen nicht spontan auf deine Gefühle reagieren können.

 

5. Fehlende Intimität

Alexithymie führt besonders in einer Partnerschaft zu Unverständnis. Du erkennst das Persönlichkeitsmerkmal vor allem daran, dass dein Partner in intimen Momenten eher zielorientiert ist, als Sexualität als extrem gefühlvolle Freizeitaktivität anzusehen. In einer Partnerschaft wirken Betroffene oft kühl und zeigen weniger Zuneigung als sehr gefühlsbetonte Menschen. Das äußert sich etwa in dem Fehlen von Liebkosungen, Händchenhalten, Umarmungen oder Küssen. Ihre Persönlichkeit ist eher faktenorientiert und ihr Handeln meist auf eine bestimmte Zweckerfüllung gerichtet.

Umgang mit fehlenden Zärtlichkeiten

Gehe mit dem Thema offen und verständnisvoll um. Versuche die Dinge, die dich stören, nicht persönlich zu nehmen. Mache dir klar, dass dein Partner eine ganz andere Gefühlswelt hat und nicht in schlechter Absicht handelt.

Du solltest deine eigenen Bedürfnisse aber auch nicht unterdrücken oder zurückhalten. Versuche in Worte zu fassen, was dir fehlt und was du dir wünschst. Sage offen, wenn du dich nach mehr Zärtlichkeiten und Zuneigung sehnst. Stößt du dabei auf Unverständnis, dann versuche direkte Vorschläge für die Umsetzung zu machen. Damit gibst du deinem Partner etwas Handfestes, dass er auch in die Tat umsetzen kann.

 

Selbsttest

Fragst du dich, ob du gefühlskalt und gefühlsblind bist? Mit Hilfe der folgenden Aussagen kannst du herausfinden, ob du davon betroffen bist. Schaue, welche Aussagen auf dich zutreffen und welche eher weniger. Nicht alle Aussagen müssen zu hundert Prozent auf dich zutreffen. Wenn du aber merkst, dass du dich in den meisten Fragen wiederfindest, solltest du eine Beratungsstelle aufsuchen.

  1. Ich habe oft Schwierigkeiten, meine eigenen Gefühle in Worte zu fassen.

  2. Fragen mich Freunde und Bekannte, wie ich mich fühle, weiß ich oft keine Antwort.

  3. Ich kann körperliche Empfindungen oft nicht einordnen.

  4. Mir haben Menschen bereits des Öfteren mitgeteilt, dass sie mich als distanziert und kühl erleben.

  5. Freunde, Bekannte und Familie signalisieren mir oft Unverständnis, wenn sie mit mir über ihre Bedürfnisse und Empfindungen sprechen.

  6. Ich habe Probleme im Umgang mit Menschen, die wütend und aufgebracht sind.

  7. Ich befrage mich selten bis nie nach meinen ganz persönlichen Gefühlen.

  8. Ich erwische mich am Tag nicht dabei, wie ich vor mich hinträume. Ich messe Träumen auch nie viel Bedeutung bei.

  9. Wenn ich über meinen Partner, Familie und Freunde nachdenke, fällt es mir schwer, die Gefühle, die ich für sie empfinde, in Worte zu fassen.

  10. Ich ziehe mich immer mehr aus meinem sozialen Umfeld zurück.

  11. Körperliche Zärtlichkeiten erfüllen für mich eher eine Funktion als eine Genuss bringende Freizeitaktivität.

  12. Auch wenn ich mein Bestes gebe, Freunden, Familie und Partner bei ihren Problemen zuzuhören, fühlen sie sich von mir oft nicht verstanden.

  13. Ich verstehe oft nicht, wenn andere Personen sich über mich beschweren oder aufregen.

 

Behandlungsmethoden bei Alexithymie

Zur Diagnose von Alexithymie werden Fragebögen und klinische Interviews verwendet. Wird bei dir eine Form der Gefühlskälte erkannt, kann dir gezielt geholfen werden. Durch einen Prozess des emotionalen Lernens kann es gelingen, dass deine Gefühlswelt sich dir öffnet und erschließt. Es gibt einige Kliniken, die sich auf das Thema Gefühlsstörungen spezialisiert haben und dir helfen können. Hilfreich ist es, zunächst einen Therapeuten in deiner Nähe aufzusuchen. In einem Gespräch kannst du mit ihm mögliche weitere Schritte besprechen.

Entscheidest du dich für eine therapeutische Behandlung, beinhaltet der Prozess des emotionalen Lernens oft Verfahren, die erlebnisorientiert und kommunikativ sind. Auch Gruppentherapien sind möglich. Sie haben den Vorteil, sich mit Gleichgesinnten austauschen zu können. Durch ein gezieltes Eingehen und die Betrachtung auf emotionaler Ebene kannst du den Umgang mit dir selbst und anderen lernen.

Leidest du an einer sehr starken Ausprägung von Gefühlskälte, ist auch eine stationäre Behandlung möglich. Sieh darin nicht den Worst Case, sondern eine Chance, ein neues Leben zu starten. Lernst du, deine eigenen Gefühle und die anderer Menschen einzuordnen und zu verstehen, kannst du auch leichter durchs Leben gehen.

Ist dein Partner, ein Freund oder Familienmitglied betroffen, lohnt es sich, einen Therapeuten aufzusuchen. Das kann durchaus bei dem Umgang mit einer gefühlskalten Person helfen und dich sensibel für das Bewusstsein und das andere Funktionieren der Gefühlswelt deines Angehörigen machen.

Überaus wichtig ist dabei aber, dass du weder dich selbst und deine Bedürfnisse und Wünsche aus den Augen verlierst noch dich zur Therapeutin/zum Therapeuten deiner Partnerin/deines Partners machst!

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Quelle: www.lernen.net

Foto: Pixabay

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