Psychotherapie: Wie gehe ich mit Suizidgedanken um?

Es gibt ein Symptom der Depression, das ganz besondere Aufmerksamkeit erfordert: Gedanken an Selbsttötung. Über die Gefahr eines Suizids zu sprechen, mag etwas Beängstigendes oder Beklemmendes haben, ist aber unumgänglich. Die Depression fordert ohnehin einen hohen Tribut, doch in Verbindung mit Suizidgedanken kann sie sogar tödlich enden.

Suizid ist bei Menschen mit einer Depression leider ein ganz reales Risiko. Natürlich nehmen die meisten depressiven Menschen sich nicht das Leben, aber die meisten Suizidopfer litten zum Zeitpunkt ihres Todes an einer psychischen Krankheit – meistens an einer Depression. Wie hängen Depression und Suizid genau zusammen? Warum kann diese Krankheit einen Menschen so weit in die Verzweiflung treiben, dass er gegen seinen elementarsten Instinkt handelt, den Überlebenstrieb? Zum größten Teil liegt es daran, dass Depression uns in tiefste Hoffnungslosigkeit stürzen und uns glauben machen kann, dass unsere Lage sich nie mehr bessern wird. Wenn wir uns vorstellen, dass zu dieser letztgenannten Überzeugung dann noch Schuldgefühle, unerbittliche Selbstkritik und zunehmende Isolation hinzukommen und die Fähigkeit verloren geht, sich an Dingen zu erfreuen, wird verständlicher, warum manche Menschen zum Schluss kommen, dass das Leben für sie nicht mehr lebenswert ist. Es geht dabei weniger um eine Sehnsucht nach dem Tod als darum, dass sie allen Mut verlieren und keinen anderen Weg mehr sehen, ihrer Qual ein Ende zu setzen. Zum Glück legen sich die Gedanken und Empfindungen allmählich, wenn die Depression abklingt. Es ist also äußerst wichtig, sich in Behandlung zu begeben, um das Suizidrisiko zu mindern.

 

Hinweise für Menschen, die sich mit Suizidgedanken tragen

Das Phänomen der Suizidalität umfasst ein breites Spektrum von Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen, die in ihrem Schweregrad variieren. Am schwächer ausgeprägten Ende des Kontinuums stehen zum Beispiel diffuse Gedanken, dass du am liebsten einfach nicht mehr da sein möchtest oder dass deine Qual, auf welchem Weg auch immer, rasch ein Ende haben soll. Wenn diese Gedanken mit der Zeit in dir Fuß fassen, werden sie immer düsterer: Du fragst dich etwa, ob du denn irgendjemandem fehlen würdest, wenn du tot wärst, oder ob die Menschen um dich herum ohne dich nicht besser dran wären. Nach einiger Zeit können diese dann übergehen in konkrete Planungen und Vorbereitungen. Zum Beispiel informierst du dich über mögliche Suizidmethoden, hortest Tabletten oder besorgst dir eine Schusswaffe. Am risikoreichsten Ende des Spektrums steht schließlich die Intention zu sterben. Sie kann mit einem detaillierten Plan verknüpft sein oder unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen als plötzlicher Impuls in dir aufsteigen. Wenn wir also über Suizidgedanken und -handlungen sprechen, ist es wichtig, klar zu benennen, wie weit die Betreffenden auf dem beschriebenen Kontinuum bereits vorausgeschritten sind. Schauen wir uns nun die Maßnahmen an, die du auf den verschiedenen Stufen der Suizidalität jeweils ergreifen kannst.

 

Mögliche Gegenmaßnahmen

Falls du zwar an Suizid denkst, aber keine Pläne dafür entwickelt und auch nicht die Intention hast, mit den Gedanken ernst zu machen, bleibt noch Zeit, das Risiko einzudämmen und die sogenannten Schutzfaktoren zu stärken. Zwar solltest du überlegen, wie mit den Suizidgedanken am besten umzugehen ist, doch das Wichtigste sollte für dich an diesem Punkt die Behandlung deiner Depression sein. Da sie die wahrscheinlichste Ursache der Suizidgedanken ist, geht es für dich in erster Linie darum, diese Ursache zu beheben. Es ist von großer Bedeutung, dass du deinem Arzt, Psychiater oder Therapeuten deine Gedanken an den Tod oder Suizid nicht vorenthältst, ganz gleich, wie unbestimmt oder abstrakt sie sein mögen. Denn dann kann er dir, solange das Suizidrisiko noch relativ gering ist, bei der Erarbeitung eines Notfallplans helfen. Wenn du mit jemandem, dem du vertraust, über deine Suizidgedanken sprichst, werden sich diese nicht etwa verschlimmern, sondern es hilft dir vielmehr, besser mit ihnen zurechtzukommen.

Es kann Situationen geben, in denen du dir nicht sicher bist, ob du jemandem von deinen Suizidgedanken erzählen sollst. Überlege es dir gut, ob du dich jemandem anvertrauen möchtest, der zu Überreaktionen neigt, auf dessen Diskretion du nicht bauen kannst oder den du nicht sehr gut kennst, denn diese Person könnte, ohne es zu wollen, deine Lage noch verschärfen. Wähle eine Person, die nach deiner Einschätzung nicht überreagieren, dich aber dennoch ernst nehmen wird. Falls dir niemand einfällt, kannst du dich an eine der im Folgenden genannten Telefon-Hotlines und Anlaufstellen wenden.

Falls du bereits Überlegungen anstellst, auf welche Weise du dir das Leben nehmen würdest, oder Pläne dafür machst, ist die Situation sehr ernst. Vielleicht erscheint es dir dann auch zwecklos, noch etwas über Strategien zu lesen, die dein Leben retten sollen, weil du entschlossen bist, zu sterben. Doch es gibt immer noch Grund zur Hoffnung. Aus Interviews mit Menschen, deren Suizidversuche scheiterten, geht hervor, dass die meisten von ihnen eine ambivalente Haltung zum Sterben hatten – das heißt, gleich nachdem sie zum Beispiel Tabletten eingenommen hatten oder von einer Brücke gesprungen waren, wünschten sie sich, sie hätten das nicht getan. Da also vermutlich ein Teil von dir bereit ist, sich helfen zu lassen, ist es wichtig, jemandem zu sagen, dass du dich gefährdet fühlst. Wenn es in deinem Freundeskreis, in deiner Familie oder zum Beispiel in einer Beratungsstelle eine Person gibt, der du dich anvertrauen kannst, ist jetzt die Zeit dafür gekommen. Falls du, obgleich du in Behandlung bist, an den Punkt kommst, dass du deinen Suizid zu planen beginnst, musst du deinen behandelnden Arzt oder Therapeuten so rasch wie möglich unterrichten. Solltest du irgendwelche Zweifel daran hegen, dass du dein Handeln noch unter Kontrolle hast, ist es an der Zeit, den Notruf 112 zu wählen oder in eine Klinikambulanz** zu gehen.

Bist du an dem Punkt angelangt, dass du tatsächlich kurz davor bist, Hand an dich zu legen, ist das ein Notfall. Auch wenn du dich entschieden hast, deinem Leben ein Ende zu setzen, ist da vielleicht doch noch dein kleiner Teil in dir, der sich nicht ganz sicher ist oder sich ans Leben klammert. Da es um Leben und Tod geht, solltest du die 112 anrufen oder sofort eine Klinik aufsuchen. Falls dies aus irgendeinem Grund nicht möglich ist, kannst du in Deutschland beispielsweise die Telefonseelsorge unter den bundesweit einheitlichen Telefonnummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222 anrufen. Dieser Telefondienst ist mit gut ausgebildeten Beraterinnen und Beratern besetzt, die dir zuhören und im Gespräch gemeinsam mit dir Wege suchen, wie du mit der Situation umgehen kannst.

 

Das Suizidrisiko verringern

Eine wichtige Strategie im Umgang mit Suizidgedanken besteht darin, vorausschauend auf die Eingrenzung des Suizidrisikos hinzuarbeiten. Wesentliche Schritte dabei sind:

  • Der Impulsivität Grenzen setzen, indem du dich von Alkohol und Drogen fernhältst.

  • Den Zugang zu Mitteln der Selbsttötung blockieren oder begrenzen, also zum Beispiel zu Schusswaffen, zu Tabletten und zu Orten, von denen aus du dich in die Tiefe stürzen könntest.

  • In deiner aktiven Mitwirkung an der Depressionstherapie nicht nachlassen und nicht einfach die Therapie abbrechen oder ein Medikament nicht mehr einnehmen.

 

Schutzfaktoren stärken

Du kannst nicht nur etwas tun, um das Suizidrisiko zu reduzieren, sondern auch Faktoren stärken, die dem Suizid vorbeugen helfen. Einige wichtige Schutzfaktoren sind:

  • Sicherstellen, dass du in Phasen, in denen du gefährdet bist, weiterhin Zugang zu einer guten Depressionsbehandlung hast. Damit sind folgende Punkte gemeint: dafür sorgen, dass die Krankenkasse oder Privatversicherung immer rechtzeitig die nötigen Unterlagen von dir erhält; im Blick behalten, wann du deinen nächsten Behandlungstermin hast und wie du pünktlich hinkommst; jeweils frühzeitig ein neues Rezept für Medikamente besorgen, bevor diese aufgebraucht sind.

  • Den regelmäßigen Kontakt zu Freunden und Angehörigen pflegen. Auch wenn du das Gefühl hast, dass du derzeit nicht ganz du selbst bist, solltest du regelmäßigen Kontakt zu anderen halten. Dies wirkt dem Gefühl entgegen, dass du isoliert bist, dass die anderen dich meiden und dass du vereinsamst.

  • Dir in Erinnerung rufen, was deine persönlichen Überzeugungen und Vorstellungen sind, und dir klar werden, welche Gründe du zum Weiterleben hast. Manche Menschen haben kulturell, religiös oder weltanschaulich begründete Überzeugungen, die dir helfen können, einem Suizid vorzubeugen. Nimm dir Zeit dafür, intensiv darüber nachzudenken, welche Gründe du persönlich dafür hast, das Leben zu schätzen und warum du glaubst, dass es lebenswert ist.

 

Einen Notfallplan entwerfen

Eine wichtige Maßnahme im Umgang mit Suizidgedanken ist die Erstellung eines speziellen Notfallplans, den du umsetzt, sobald bestimmte Kriterien gegeben sind. Schauen wir uns an, wie ein guter Notfallplan aussehen sollte.

Erstens:

  • Wohin gehst du im Ernstfall? Gibt es einen Ort, an dem du dich besonders sicher fühlst?

  • Sind die Gedanken derart bedrängend geworden, dass du in eine Klinik gehen solltest?

  • Falls du den betreffenden Ort aufsuchst, solltest du das gegebenenfalls einen Freund oder ein Familienmitglied wissen lassen, damit sich die Menschen, die dir nahe sind, keine unnötigen Sorgen machen.

Zweitens:

  • Mit wem sprichst du, wenn der Ernstfall eintritt? Rufst du dann deinen Therapeuten an? Hast du seine Kontaktdaten bereit, damit du ihn erreichen kannst?

  • Falls weitere Personen in deinen Notfallplan einbezogen sind, solltest du das im Voraus mit ihnen besprechen, damit sie dann auch bereit sind, an der Umsetzung des Planes mitzuwirken.

  • An wen kannst du dich nachts wenden? Vergewissere dich, dass du die Kontaktdaten dieser Person zur Hand hast.

 

Wie du anderen mitteilst, dass du Hilfe brauchst

Wie gehst du am besten vor, wenn du anderen mitteilen willst, dass du an Suizid denkst? Wenn du Freunde, Familie, Ärzte und Therapeuten auf deiner Seite weißt, wirst du mit den Suizidgedanken viel besser zurechtkommen. Doch wie sollst du das Gespräch beginnen? Folgende Punkte musst du dir gut vorher überlegen:

1. Aus welchem Grund möchtest du, dass die jeweilige Person von deinen

Suizidgedanken weiß?

2. Was soll diese Person für dich tun? Was wünschst du dir von ihr?

3. Wie machst du deine Bedürfnisse und Wünsche am besten deutlich, ohne der

Person das Gefühl zu geben, sie bekomme zu viel Verantwortung für dein Leben

aufgebürdet?

Wenn du das Gespräch mit jemandem suchst, vom dem du dir emotionalen Rückhalt erhoffst, sage am besten gleich zu Beginn, dass du in Behandlung bist, dass es dir um seine freundschaftliche Unterstützung geht und dass er dir gegenüber nicht die Rolle des Therapeuten übernehmen muss.

Falls du andere wegen deiner Suizidgedanken um Hilfe bittest, bist du immer noch selbst verantwortlich dafür, dich hinreichend zu schützen. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob du jemanden um Hilfe bittest oder ob du damit drohst, dich umzubringen. Sage so etwas wie: „Ich muss mit dir reden, weil ich seit einer Weile unter Depressionen leide. Es ist mittlerweile so schlimm, dass ich in letzter Zeit ans Sterben denke und ich habe Angst. Ich weiß nicht, ob ich mit diesen Gedanken noch allein klarkomme und möchte dich bitten … (Bitte ihn, dich ins Krankenhaus zu bringen oder zu tun, was immer du zu deiner Unterstützung brauchst).“

Manche Menschen erzählen ihrem Arzt oder Therapeuten lieber nichts von ihren Suizidgedanken, weil sie eine Zwangseinweisung befürchten. Das wird er aber höchstwahrscheinlich gar nicht tun. Wenn du deine Suizidgedanken offenlegst, wird er vielmehr mit dir darüber sprechen und wissen wollen, was genau du gedacht hast, wie intensiv die Vorstellungen sind und wie gut du sie unter Kontrolle hast. Falls die Gedanken tatsächlich so bedrängend sind, dass du Gefahr läufst, sie in die Tat umzusetzen, wird er mit dir darüber sprechen, wie ihr gemeinsam dafür sorgen könnt, dass dir nichts zustößt. Eine mögliche Maßnahme ist die Überweisung in eine Klinik. Eine Einweisung gegen den Willen des Patienten geschieht nur in absoluten Extremsituationen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen:

Falls du es selbst bist, die Suizidgedanken hat, solltest du deine Depression unbedingt (weiter)behandeln lassen, denn es gibt guten Grund zu der Hoffnung, dass die Behandlung Wirkung zeigen wird, und den wichtigen Menschen in deinem Leben mitteilen, wie sie dir helfen können.

Hinweise für Freunde und Angehörige eines Menschen, der mit Suizidgedanken ringt, sind das Thema eines weiteren Blogs demnächst.

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* gekürzt und leicht geändert aus Lee H. Coleman: Depression. Ein Wegweiser für Betroffene. Paderborn 2014

**Asklepios Klinik Harburg, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie (Haus 8); Kontakt über Zentrale Notaufnahme AK

Harburg, Eißendorfer Pferdeweg 52, 21075 Hamburg, Tel.: 18 18 86 – 0

Ärztlicher Notfalldienst Hamburg, Tel.: 22 80 22

 

Foto: Pixabay

 

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