Let´s talk about sex, baby (III) oder: Die tantrische Sicht

Sex ist die schönste Nebensache der Welt, heißt es. In privaten und beruflichen Gesprächen taucht er regelmäßig auf. Dabei entsteht allerdings eher der Eindruck, dass es sich um die am meisten missverstandene Sache der Welt handeln könnte. Ganz ehrlich: Ich bin regelmäßig konsterniert, was ich so von Frauen, Männern und Diversen zu hören bekomme. Und auch davon, was ich noch in mir für Gespenster herumgeistern sehe. Deshalb, und weil ich mich schon seit sehr langer Zeit auf den verschiedensten Ebenen mit dem Thema beschäftige, jetzt mal wieder ein Blog von mir darüber.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist das gleichnamige Kapitel aus einem Buch* über Neo-Tantra, in dem es v.a. um die Heilung in der Liebe, mehr Freude im Leben und die Transformation von Sexualität geht. Der Autorin geht es um die Verbindung der Lust des Körpers, der Freude des Herzens und der Ekstase des Geistes. Sie definiert Tantra als eine alte östliche Wissenschaft von der spirituellen Erleuchtung; als einen mystischen Weg, der Sexualität als Tor zur Ekstase und Erleuchtung mit einbezieht.

Im ersten Teil des Buches stellt sie ihre tantrische Sicht vor. Sie bezeichnet Aspekte wie Spontaneität, Unschuld, Verspieltheit, Durchdringung und Auflösung sexueller Schuldvorstellungen als tantrische Qualitäten. Margot Anand schreibt: „Die tantrische Sicht akzeptiert alles. Es gibt im Tantra nichts Verbotenes. Alles, was ein Mensch erfährt, ist eine Gelegenheit zum Wachsen.“ Eine Situation zum Beispiel, in der du sexuell frustriert bist, wird im Tantra nicht als negativ, sondern als Lehre betrachtet. Sie bietet dir die Gelegenheit, etwas (Neues) über deine sexuellen Motive zu erfahren. Was bedeutet Sex für dich? Wann ist dieses Verhaltensmuster früher schon einmal aufgetaucht? Warum duldest du eine solche Situation? Welche Möglichkeiten für Veränderungen bieten sich dir? Die tantrische Sicht kann dich durch diese Herangehensweise zu Erfahrungen führen, die du dir wünschst und die du entdecken möchtest. Tantra trennt nicht zwischen gut und schlecht, akzeptabel und nicht akzeptabel.

Tantra, wie die Autorin es versteht, fällt keine moralischen Urteile über deine sexuellen Vorlieben. Im Tantra geht es weniger darum, mit wem du Sex hast, sondern wie du Sex hast. Die tantrische ist eine ganzheitliche Sicht, die alles umfasst, weil jede Situation, ob angenehm oder unangenehm, eine Gelegenheit ist, wacher dafür zu werden, wer du bist und wie du deine Möglichkeiten erweitern kannst. Das bietet dir die große Chance, sämtliche Seiten deiner Persönlichkeit miteinander zu verbinden, auch die, die du sonst ablehnst oder versteckst. „Aus dieser Sicht können wir auch erkennen, dass es in jedem Erwachsenen ein natürliches, unverdorbenes, kindliches Wesen gibt, das unbekannte Gebiete mit Offenheit und Unschuld erforschen kann. Die Unschuld dieses inneren Kindes ist unantastbar und steht für unsere natürliche Fähigkeit, das Leben zu genießen, zu lieben, verspielt und ekstatisch zu sein. (…)

Weil Tantra an die Ganzheit glaubt, schließt es Gegensätze ein und betrachtet sie nicht als Widerspruch, sondern als Ergänzungen. Männlichkeit und Weiblichkeit bedeuten keine ewige Spaltung in zwei Seiten, sondern werden als Pole betrachtet, die sich im Inneren jedes menschlichen Wesens treffen und verschmelzen. Tantra weiß, dass jeder Mensch sowohl männliche als auch weibliche Eigenschaften hat.

Tantra ermutigt den Mann, seine weichen, verletzlichen, weiblichen Eigenschaften zu entdecken und zu leben. (…) Die Frau ihrerseits kann ihre männliche Seite erforschen (…). Beide erweitern einfach ihr Vermögen um den Gegenpol. Wenn der männliche und der weibliche Pol miteinander verschmelzen, eröffnet sich für Tantra eine neue Dimension – die Heiligkeit dieser Begegnung.“ In dieser Verbindung kann sich dein Bewusstsein über die körperliche Ebene in einen Bereich von Kraft und Energie erheben, der über deine bisherigen persönlichen Grenzen hinausgeht. „Wenn sexuelle Liebe eine heilige Dimension bekommt, können beide Partner anerkennen, dass sie göttliche Eigenschaften besitzen. Sie begreifen, dass ihr wahres Potenzial unendlich und unbegrenzt ist.“ Wenn du so den Gott oder die Göttin in der anderen Person achtest, kannst du dein Gegenüber über die Grenzen seiner Persönlichkeit hinweg wahrnehmen. Siehst du in deinem Gegenüber das Göttliche, kannst du es auch in dir selbst wahrnehmen. Dein Gegenüber spiegelt dir also deine eigene göttliche Natur.

Anand weiter: „Für Tantra ist die sexuelle Vereinigung nicht nur heilig, sondern auch eine Kunst. Interessant ist, dass im Sanskrit die Wurzel des Wortes Kunst ´richtig vereinigt` bedeutet. Um Tantriker, Ausübende des Tantra, zu werden, müssten die Liebenden in einer ganzen Reihe von Künsten, unter anderem in Konversation, Tanz, Zeremonien, Massage, Blumenarrangements, Kostümkunde und Schminken, Musik, Hygiene, Atmung und Meditation bewandert sein. Wenn wir die erotischen Künste auf diese Weise lernen, kommt es zu einer tief greifenden Heilung unserer Sexualität.

Laut Tantra geht es beim Sex in erster Linie um Energie, und für Tantra ist Energie die Bewegung des Lebens schlechthin. (…)

Tantra betrachtet jedes menschliche Wesen als Organismus, der Teil eines größeren Ganzen ist – der Umgebung, des Planeten Erde, der Natur selbst -, in welchem Rhythmus und Vibration die vereinigenden Elemente sind. Diese Elemente beeinflussen auch die Beziehung zwischen zwei Menschen. So lehrt Tantra die Liebenden, wie sie ihre Energien harmonisch aufeinander abstimmen, wie sie auf eine gleiche Wellenlänge kommen können und damit eine messbare Resonanz zwischen ihren Energiefeldern erzeugen. (…)

Am einen Ende des Spektrums, auf der körperlichen Ebene, drückt sich die Lebensenergie als Sextrieb aus. Am anderen Ende, auf der Ebene des Nervensystems und des Gehirns, wird sie als Ekstase erlebt. Der sexuelle Trieb ist die instinktive, nicht verfeinerte ´Rohenergie`. Tantra bedient sich der sexuellen Energie als Rohstoff, sozusagen als das ´Rohöl`, aus dem ein Brennstoff mit hoher Oktanzahl, Ekstase genannt, gewonnen wird.“

Nach Margot Anand besteht die tantrische Lebensweise aus Aspekten wie:

sich selbst lieben lernen,

Schuldgefühle fallen lassen,

Spontaneität genießen,

Lust pflegen,

Meditation entdecken,

die Zielorientierung aufgeben und

Hingabe zulassen.

 

Um diese Punkte kurz zu erläutern: Mit Selbstliebe meint die Autorin „die Fähigkeit, sich selbst zu vertrauen und auf die eigene Stimme zu hören“.

Sexuelle Schuldgefühle sitzen oft sehr tief und sind Menschen gar nicht bewusst.

Spontaneität genießen bedeutet auch, Experten, Methoden und Techniken nicht mehr zu vertrauen als den eigenen spontanen Gefühlen und dem eigenen Energiefluss.

Die Pflege der kostbaren Fähigkeit, sich der Lust zu öffnen, steht oft gegen immer noch wirkende soziale Tendenzen: „Unsere Gesellschaft hat uns glauben gemacht, dass wir Lust nicht wirklich verdienen, dass es selbstsüchtig ist, Lust zu pflegen, dass Geben besser als Nehmen und Genuss Zeitverschwendung ist.“

Die Frage, was Meditation mit Sinnlichkeit und körperlicher Liebe zu tun hat, beantwortet Margot Anand kurz und knackig: „Sie schenkt uns Klarheit.“ Das geschieht, indem die Aufmerksamkeit nach innen gewendet und so die innere Wahrnehmung erweitert wird.

Beim Aufgeben der Zielorientierung geht es um den Unterschied zwischen dem Ausüben einer Praxis mit einem Ziel im Kopf oder um ihrer selbst willen, so dass du völlig darin aufgehen kannst. Wenn du die richtigen Bedingungen schaffst, kannst du dich mit ganzer Kraft und Aufmerksamkeit auf eine Übung einlassen und dich ihren Wirkungen einfach hingeben. Ekstase lässt sich nicht durch Kontrolle und Willensanstrengung, sondern durch das Kreieren von intensiven Erfahrungen, deren unmittelbare Wirkung im Entspannen und Loslassen bestehen.

Hingabe ist ein wesentlicher Aspekt des tantrischen Weges. Leider misstrauen ihm viele Menschen zunächst, weil sie ihn mit einem Verlust von Kontrolle und ihrem freien Willen gleich setzen oder Hingabe sogar mit Unterwerfung verwechseln. Im Tantra geht es dagegen darum, sich aus freiem Willen den höchsten Ebenen des eigenen inneren Potenzials zu überlassen – als Voraussetzung, um langsam in eben dieses Potenzial hineinzuwachsen.

Soweit zu Margot Anand und ihren tantrischen Ansatz. Besonders die letzten Zeilen transportieren ein kraftvolles und positives Menschenbild, das auch Grundlage der humanistischen Psychologie ist. Auf meiner Website habe ich ja schon über das humanistische Menschenbild von Carl Rogers geschrieben. Dieses geht davon aus, dass jeder Mensch nach Wachstum, Persönlichkeitsentfaltung und Selbstverwirklichung strebt und somit auch über die Fähigkeit zur Problembewältigung und zur Selbstheilung verfügt. Der tantrische Ansatz geht sogar noch weiter und impliziert ja sogar ein göttliche Wesen und dir und mir und uns allen.

Was hat Margot Anands Ansatz außerdem mit der Praxis EINKLANG-HARBURG zu tun? Nun, wie die du bei der Durchsicht meiner Website siehst, bin ich weder Tantrikerin noch Paarberaterin noch Sexualtherapeutin. Wenn du meine Mission liest, wirst du aber feststellen, dass auch ich in meinem Leben oftmals nicht gerade den göttlichen Kern in mir widergespiegelt bekommen habe, daran letzten Endes erstarkt statt zerbrochen bin und das gerne weitergeben möchte. In meiner Arbeit als Pädagogin und als Heilpraktikerin für Psychotherapie stelle ich immer wieder fest, dass der Themenbereich Selbstbild und Selbstliebe bei vielen Menschen ein Thema ist und sie i.d.R. andere großzügiger und nachsichtiger als sich selbst behandeln – von göttlich mal ganz zu schweigen…

Auch der Bereich Sexualität und sexuelle Identität kommt regelmäßig zur Sprache, doch immer recht verhalten und verschämt, auch bei jungen Menschen. Ganz im Gegensatz zum ersten Eindruck ist unsere moderne Gesellschaft mitnichten so aufgeklärt und locker unterwegs, wie es scheinen mag. Statt dessen gibt es durch die ganze Bandbreite unserer Gesellschaft eine große Orientierungslosigkeit und Unsicherheit und es ist bisweilen tief bestürzend, welche Erfahrungen, Erwartungen und Rollenbilder so kursieren. Der Journalist, Buchautor und Umweltaktivist Franz Alt sprach neulich in einem Interview** davon, dass unsere Gesellschaft in materieller und technischer Hinsicht modern, in institutioneller und bürokratischer hingegen eher noch mittelalterlich und im Hinblick auf Emotionen sogar noch steinzeitlich unterwegs und es dringend nötig sei, diese Dinge mehr zusammen zu bringen und ganzheitlich zu werden. Laut Franz Alt befinden wir uns, ganzheitlich betrachtet, an einem völligen Wendepunkt, an dem das Umdenken absolut notwendig ist.

Das ist auch mein Anliegen. Auch wenn ich keine Sexualtherapie anbiete, ist der Themenkomplex Körperlichkeit, Sexualität und das eigene Rollenverständnis in meinen Beratungen ein wichtiger Bestandteil der Arbeit und ich habe da keine Berührungsängste, sondern kann statt dessen einen sicheren und vertrauensvollen Rahmen anbieten, um den eigenen Aktionsradius zu erweitern.

Herzliche Einladung:

Wenn du als Frau mit deinem Körper, deinem Frau-Sein, deiner Sinnlichkeit und bestimmten Rollenbildern haderst, melde dich gerne bei mir. Normalerweise biete ich telefonische Beratungen nur an, wenn wir uns bereits persönlich kennengelernt haben. In diesem Punkt würde ich aber eine Ausnahme machen, falls du sonst nicht über die Hemmschwelle kommst und dich erst einmal vorsichtig an das Thema und meine Arbeitsweise herantasten möchtest. Melde dich per Kontaktformular, Email oder Telefon bei mir und wir besprechen alles Weitere. Wenn der erste Schritt erst einmal gemacht ist, wird es schon viel leichter!

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*Margot Anand: Tantra oder Die Kunst der sexuellen Exstase München 1989

**1. Happiness House Glückskongress 2021, Tag 2, 21.03.2021, Experten-Interview mit Dr. Franz Alt zum Thema „Warum wir das Leben in den Mittelpunkt stellen sollten – Wir müssen nicht immer glücklich sein. Glück ist, wenn Seele, Körper und Geist in Harmonie sind.“

Foto: Pixabay

 

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