Wie kann man die winzigen, duftenden Tröpfchen des ätherischen Öls von den umgebenden Pflanzenteilen trennen? Wie werden sie aufbewahrt? Dieses Geheimnis scheint schon vor etwa 5000 Jahren gelöst worden zu sein. Seltsamerweise ging es immer wieder verloren und wurde dann wieder neu entdeckt.
Archäologen fanden ein mesopotamisches Destilliergerät, das zur Herstellung von Essenzen diente. Es wird auf ein Alter von 5000 Jahren geschätzt. Auch von den Ägyptern wissen wir, dass sie schon 4000 Jahre vor der Zeitenwende ätherische Öle verwendeten. Sie benutzten vor allem die Essenzen aus Zedernholz, Zimt, Lilie, Terpentin, Dill, Basilikum und Koriander zur Mumifizierung, zum Heilen und für Kosmetik. Auch in Babylon kannte man ätherische Öle. Chinesen und Inder kannten ebenfalls den Gebrauch des Destilliergerätes. Sie stellten zu ältesten Zeiten ihrer Geschichte ätherische Öle her, vor allem Rosenöl, Kalmusöl und Andropogonöl. Griechen und Römer zehrten vom Wissen der Ägypter und deren Erfahrung mit Heilpflanzen nach der Eroberung des ägyptischen Reiches.
Doch dann scheint das Geheimnis verloren gegangen zu sein. Die ätherischen Öle verschwanden. Ende des 10. Jahrhunderts tauchten sie wieder auf, diesmal bei arabischen Ärzten und Alchimisten. Es heißt, der bekannte arabische Arzt Avicenna (980 – 1037) habe die Destillation entdeckt. Diese Kunst lehrten die Araber an den von ihnen gegründeten Universitäten in Spanien. Auch durch die Kreuzzüge kam das Wissen von duftenden Wässern und Essenzen nach Europa und verbreitete sich hier. Durch Mongoleneinfälle und später durch die Türken wurde es in den durch die Araber beherrschten Länder wieder verdrängt. Die Destillierkunst war dort, wo sie aus dem Dunkel der Jahrtausende gehoben wurde, wieder versunken.
Im 16. Jahrhundert erlebte sie in Deutschland eine Renaissance. H. Brunschwig, ein Straßburger Arzt, beschrieb in seinem „Buch der wahren Kunst zu destillieren“ 25 verschiedene ätherische Öle. Der große Arzt und Alchimist Paracelsus (1493 – 1541) förderte und beeinflusste in besonderem Maße die Herstellung und den medizinischen Gebrauch der ätherischen Öle. In den Jahren 1500 bis 1730 lernte man bis zu 114 verschiedene ätherische Öle zu destillieren und medizinisch einzusetzen. In vielen Kräuterbüchern wurden ihre Heilwirkungen beschrieben. Erst im 19. Jahrhundert begann man, sie aus dem Arzneimittelschatz durch die neu entstandenen chemischen Heilmittel zu verdrängen.
Durch das neu entstandene Interesse an der Aromatherapie ist seit einigen Jahren die Nachfrage nach reinen Essenzen gestiegen. Deshalb werden heute zunehmend mehr Öle mit guter Qualität angeboten. Mehr und mehr Bauern, vor allem jene, die biologisch anbauen, destillieren ihre Essenzen wieder selbst.
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Gewinnung durch Wasserdampfdestillation
Was war nun dieses Geheimnis, das im Laufe der Jahrtausende immer wieder neu entdeckt wurde? Es war einfacher Wasserdampf! Dieser kann den Pflanzen ihre Öltröpfchen entreißen und sie nach oben tragen. Wenn man in einem großen Bottich, Alambic genannt, zerkleinerte Pflanzen und Wasser erhitzt, löst der aufsteigende Wasserdampf die ätherischen Öle aus den Pflanzen. Ergiebiger ist es, wenn man die Pflanzen auf einen Rost legt und Wasserdampf hindurch leitet. Den Dampf fängt man samt Essenz in einem sich verjüngenden Rohr auf, das mit kaltem Wasser gekühlt wird, und leitet das Destillat in ein Auffanggefäß. Dort findet sich Wasser, auf dessen Oberfläche das leichtere Öl schwimmt. Nur in wenigen Ausnahmen ist das ätherische Öl schwerer und sinkt nach unten. Das Öl wird abgeschöpft oder mit einer venezianischen Flasche getrennt. Diese Methode wird Wasserdampfdestillation genannt und ist heute noch die gebräuchlichste, um Essenzen zu gewinnen.
Das Destillieren der Essenzen ist eine Kunst, die jahrelange Erfahrung erfordert. Druck, Temperatur und Zeit müssen genau auf das spezifische Öl abgestimmt sein. Wenn man stark erhitzt oder den Alambic unter hohen Druck setzt, wird die Ausbeute an ätherischem Öl größer. Entsprechend nimmt die Qualität des Öles ab. Für die Aromatherapie werden vollständige Öle gebraucht, d.h. sie sollten so weit wie möglich noch alle Inhaltsstoffe besitzen. Die ätherischen Öle sind komplexe Substanzen. Aus dem Lavendelöl hat man 160 Inhaltsstoffe isoliert, bei der Rose 137. Es sind sicher noch viel mehr. Hoher Druck und zu viel Hitze können viele dieser Bestandteile zerstören und außerdem Brandgeruch in den Essenzen erzeugen und Harzbildung hervorrufen. Um die Reinheit der Essenzen zu erhalten, soll die Destillation langsamdurchgeführt werden, bis auch die Teile in die Essenz übergehen, die am schwersten verdunsten. Innerhalb des ersten Viertels der Zeit erhält man Dreiviertel des ätherischen Öls. Die weitere Destillation ist für viele Destilleure nicht mehr rentabel. Leider fehlen in solchen nicht zu Ende destillierten Ölen jene wichtigen Bestandteile, die das Produkt therapeutisch voll wirksam machen. Ein reines ätherisches Öl ist für die Nase das, was für unsere Augen ein vollständiges Gemälde ist. Es hat Vordergrund und Hintergrund, Licht und Schatten und viele Details. Erschnuppere einmal eine Essenz!
Mit der Zeit wirst du herausfinden, dass schlechte Öle oder Imitationen „flach“ riechen. Geübte Nasen können die feinsten Unterschiede in den Essenzen riechen. So haben manche Öle einen leichten Metallgeruch, der von einem schlechten Metallrost im Alambric oder von einem schlechten Alambric selbst kommt. Inoxstahl wird bevorzugt, da andere Materialien von manchen Ölen (zum Beispiel Wacholder und Zypresse) angefressen werden können. Der Alambric schluckt eine schier unglaubliche Menge an Pflanzenmaterial, das fest in ihn hineingepresst wird. Am anderen Ende, im Auffanggefäß, findet sich eine vergleichsweise winzige Menge an ätherischem Öl. 160kg wilder Lavendel ergeben ein Kilogramm Öl. Ebenfalls nur ein Kilogramm Öl ergeben 1000kg Jasminblüten, fünf Tonnen Rosenblätter oder die Schalen von 1000 Zitronen. Aus dieser großen Menge an Pflanzenmaterial erklärt sich der hohe Preis echter Essenzen. Ganz hochwertige, schonend abdestillierte Öle sind noch teurer. Als eines der kostbarsten Geschenke der Natur haben sie zu Recht ihren Preis.
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Gewinnung durch Kaltpressung
Die Zitrusfrüchte lagern ihre ätherischen Öle in der Schale. Wir können die kleinen Öldrüsen sogar mit dem bloßen Auge erkennen. Wenn wir eine Orangenschale gegen die Flamme einer brennenden Kerze ausdrücken, verbrennt das ätherische Öl in hellen Flämmchen. Bis ca. 1930 wurden die Zitrusöle so hergestellt, dass man deren Schalen gegen einen Schwamm ausdrückte. Heute werden sie durch maschinelle Kaltpressung gewonnen. Die Schalen werden fein zerkleinert und – mit wenig Wasser vermischt – ausgedrückt. Aus dem entstandenen Öl-Wasser-Gemisch wird das ätherische Öl mit einer Zentrifuge getrennt. Wichtig ist (wie bei Honig), dass für diesen Vorgang keine Hitze zu Hilfe genommen wird, weil dadurch wichtige Bestandteile der Essenz zerstört werden. Gerade bei Zitrusölen ist zu beachten, dass die Pflanzen und Früchte nicht gespritzt sind oder besser noch aus biologischen Anbau stammen, da bei der Pressung sämtliche Giftstoffe aus der Schale ins Öl gelangen.
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Gewinnung durch Enfleurage
Schon in frühester Zeit hat man duftende Pflanzenteile in Öl oder Fett eingelegt. Dieses zog die Duftstoffe an sich. Man erhielt dadurch eine duftende Fettsalbe oder ein Öl. Die Trennung von beidem, von Duft und Fett, beherrschte man damals nicht.
Aus dieser einfachen Methode wurde später die Enfleurage entwickelt, die man seit dem 19. Jahrhundert kennt. Sie wurde besonders für jene Pflanzen gebraucht, die sich mit der Methode der Wasserdampfdestillation nicht verarbeiten ließen, zum Beispiel Jasmin und Tuberose. Die empfindlichen, frisch gesammelten Blüten wurden in Schweinefett gedrückt, das man auf Glasplatten gestrichen hatte. Nach zwei Tagen wurden die Blüten durch neue ersetzt. Dieser Prozess zog sich über Wochen hin, so lange, bis sich das Fett mit dem Duftstoff der Blüten ganz vollgesogen hatte. Durch Alkohol-Extraktion wurde die Essenz aus dem Duft-Fett-Gemisch herausgelöst. Diese zeitaufwendige Methode lieferte sehr gute Öle. Sie wird heutzutage wegen des hohen Preises für die so entstandenen Essenzen nur noch zu Demonstrationszwecken praktiziert.
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Gewinnung durch chemische Lösungsmittel
Seit relativ kurzer Zeit verwendet man chemische Lösungsmittel, die die ätherischen Öle aus den Pflanzen lösen. Es handelt sich dabei um Lösungsmittel wie Hexan, Petroläther oder den Chlorkohlenwasserstoff Tetrachlormethan. Die Lösungsmittel werden anschließend unter Vakuum abdestilliert, können aber nicht gänzlich eliminiert werden. Man bekommt zuerst das salbenartige Concrète, von dem man mit Alkohol die Pflanzenwachse trennt und zu guter Letzt das Absolue erhält.
Die verwendeten Lösungsmittel sind hochgiftig und können selbst in minimalen Mengen Allergien verursachen und das Immunsystem schwächen. Die zugelassenen Restmengen in der Essenz sind vom Standpunkt der Aromatherapie viel zu hoch. Ein gewissenhafter Großhändler sollte deshalb bemüht sein, Absolues mit Konzentrationen unter 5 ppm zu beschaffen. Einige Absolues können mit Alkohol als Lösungsmittel hergestellt werden, zum Beispiel das Honig-Absolue. Es wird aus den Bienenwaben gewonnen. Diese Methode wird von der Aromatherapie bevorzugt.
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Die Resinoid-Herstellung
Bei der Verarbeitung duftender Harze werden die Duftstoffe von den fast geruchlosen, schwer flüchtigen Anteilen aus dem Harz gelöst. Das Harz wird mit dem Chlorkohlenwasserstoff Toluol als Lösungsmittel oder mit Alkohol angesetzt, erhitzt und gerührt. Das ätherische Öl löst sich, die Lösungsmittel werden wieder abgedampft; leider – wie eben beschrieben – nicht vollständig. Deshalb wird Alkohol als Lösungsmittel bevorzugt. Auf diese Weise werden beispielsweise ätherische Öle aus den Harzen von Weihrauchbäumen, Lärchen und Benzoebäumen hergestellt.
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Extraktion durch Kohlendioxid (CO2)
Dies ist eine recht junge Methode. Kohlendioxyd oder Butan, die sich unter Druck verflüssigen, lösen die ätherischen Öle aus der Pflanze. Die so entstandenen Essenzen weichen in ihren Bestandteilen teilweise von jenen ab, die durch Wasserdampfdestillation entstanden sind: mehr Kopfnoten, weniger Terpene.
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Text – gekürzt und leicht verändert – von Susanne Fischer-Rizzi: Himmlische Düfte, München 1990
Foto: Pixabay