Die Kunst, ein Paar zu bleiben

Hans Jellouschek: Liebe auf Dauer. Die Kunst, ein Paar zu bleiben.

Stuttgart 2004

Nicht nur weil seine Frau Bettina meine Namensschwester ist, stelle ich dieses Buch hier vor. Vielmehr denke ich, dass wir Liebe erlernen können. Und Liebe auch erlernen müssen, sofern wir nicht in den Chor der vielen frustrierten Singles einstimmen wollen. Bitte versteh mich richtig: Ich bin keineswegs der Ansicht, dass alle Singles frustriert und alle Paare happy sind, ganz im Gegenteil. Für eine funktionierende Partnerschaft ist es meiner Meinung nach wichtig, auch alleine sein zu können. Für ein glückliches Singledasein sowieso. Und in einer Partnerschaft zu sein, weil dich das Alleinsein ängstigt finde ich genauso schade wie Single zu sein, weil du die Liebe für eine große Illusion hältst und dich selbst als beziehungsunfähig betrachtest. 

 

Der Klappentext

Aus dem Klappentext: „In früheren Zeiten wurden Partnerschaften durch Regeln zusammengehalten, die von außen gesetzt wurden. Ob es die weltanschauliche Norm war oder die wirtschaftliche Notwendigkeit, die vor allem den Frauen ein Überleben sicherte. Heute fallen diese äußeren Bedingungen immer mehr weg. Die Dauerhaftigkeit einer Paarbeziehung kann immer ausschließlicher nur noch verwirklicht werden, wenn es den Partnern gelingt, die Beziehung so befriedigend zu gestalten, dass beide aus freien Stücken in ihr bleiben wollen. Es kommt immer mehr auf das Wissen und die Fähigkeiten der Partner an, die Liebe lebendig zu halten. Tragendes Leitthema des vorliegenden Buches ist die Frage: Wie kann die Liebe in einer Paarbeziehung dauerhaft bleiben? Hans Jellouschek schöpft in seinen Ausführungen aus seinen Erfahrungen, die er in nunmehr fast 30 Jahren therapeutischer Arbeit mit Paaren gewonnen hat.“

 

Der Autor

Hans Jellouschek ist Jahrgang 1939 und ein deutsch-österreichischer Psychologe, Philosoph und Theologe. Seit Anfang der 1970er Jahre lebt er in Deutschland und arbeitet als Psychotherapeut und Lehrtherapeut für Transaktionsanalyse in Tübingen. Seine erste Ehe wurde geschieden, seine zweite Frau starb an Krebs und inzwischen ist er in dritter Ehe verheiratet. Er ist Vater von zwei Töchtern aus erster Ehe und schrieb mehrere Bücher über die Kunst, als Paar zu leben, über Trennungsschmerz und Neubeginn und Treue.1

 

Das Buch
Der Autor formuliert zehn „Grundsätze“ zum Leitthema. Besonders hervorheben möchte ich eine Besonderheit des Buches, die mir sehr gefällt: Jeder der zehn Punkte endet mit praktischen Hinweisen, die aber keine Patentrezepte sind. Jellouschek betont: „Der einzelne Fall kann immer noch so sein, dass alles, was ich hier sagen werde, weder zutrifft noch zuträglich ist. Kein Ratschlag ohne berechtigten Einwand, keine Regel ohne mögliche Ausnahme! (…) Außerdem bin ich sicher, dass sich auch bei der Beachtung aller folgenden Hinweise und bei bestem Willen aller Beteiligten Trennungen oftmals weiterhin nicht verhindern lassen werden. Trennungen müssen manchmal sein, etwa weil sich die beiden anfangs wirklich ineinander getäuscht haben, oder weil sich Entwicklungen ergeben haben, die die beiden unausweichlich in verschiedene Richtungen führen, oder weil die Beziehung bis hierher gut war, nun aber ein neuer Abschnitt beginnt, den die beiden ohne einander gehen ´müssen` und dergleichen mehr. Trennungen sind manchmal unausweichlich, auch sogar im Interesse der Kinder, die besser mit getrennten Eltern leben, die gut kooperieren, als mit vereinten, die sich hassen und gegenseitig boykottieren.“ Diese Sicht finde ich erfrischend offen, professionell und weise. Zusätzlich zu den Hinweisen geht Jellouschek am Ende eines jeden Kapitels auf Einwände ein, die er nach Vorträgen und in Kursen häufig gehört hat.

 

Die zehn „Regeln“

  1. Definieren Sie Ihre Beziehung:

    Die Kunst, verbindlich zu werden.

    Jellouschek beschäftigt sich hier mit der Frage, wer ich für den anderen bin und betont, dass Liebe Verbindlichkeit braucht. Er schreibt über die Angst vor Bindung und vor Trennung und dem Heiraten „müssen“.

  2. Lernen Sie einander gut kennen:

    Die Kunst, die Fremdheit zu überwinden.

    Der Autor schreibt von der Wichtigkeit des fortlaufenden Prozesses des Kennenlernens. Er reflektiert über Interesse, Neugier und Staunen und das Kennenlernen des Kindes im anderen. Und er betont: „Wenn ich der Fremdheit des anderen begegne, bin ich herausgefordert, ein Stück weit die eigenen Ichgrenzen zu übersteigen. In der Liebe geht es um Hin-gabe, nicht um Einverleibung.“

  3. Versöhnen Sie sich mit Ihrer Vergangenheit:

    Die Kunst, füreinander frei zu werden.

    Jellouschek beschäftigt sich hier mit Versöhnung versus Hader – der Versöhnung des Mannes mit der Mutter und der Frau mit dem Vater und umgekehrt sowie mit den Geschwistern.

  4. Betonen Sie das Positive in Ihrer Beziehung:

    Die Kunst, einander gut zu tun.

    Der Paartherapeut beschreibt das Phänomen, wie das Positive mit der Zeit in den Hintergrund gerät und stellt dem ein Wahrnehmen und Mitteilen des Positiven gegenüber. Er benutzt in diesem Zusammenhang das Bild der Nahrung: „positiver Austausch in dieser oder jener Weise ist tatsächlich Nahrung für die Beziehung, Nahrung, die sie braucht, um zu wachsen und zu erstarken.“

  5. Lernen Sie, einander zu verzeihen:

    Die Kunst, Verletzungen wieder gut zu machen.

    Jellouschek schreibt hier von der Unvermeidlichkeit von Verletzungen. Ebenso betont er die Wichtigkeit des Ansprechens, Verstehens und Anerkennens, des Bittens um Verzeihung, des Gewährens von Verzeihung und ggf. auch von Wiedergutmachung. Er betont, dass zur Bewältigung von Verletzungen in einer Beziehung „immer wieder ein Ausgleich hergestellt werden muss.“

  6. Schaffen Sie Räume für Intimität:

    Die Kunst, einander nah zu kommen.

    Intimität in der Paarbeziehung meint eine umfassende persönliche Nähe, mental, emotional und körperlich. Hindernisse können die Komplexität des Lebens, die Elternrolle und der fortschreitende Gewöhnungsprozess. Initiative und Kreativität sind zum Schaffen von entsprechenden Nähe-Räumen nötig. Dazu gehören Planung und Verbindlichkeit – auch in Bezug auf Zeiten für sexuelle Intimität – und das Verbringen der Zeit mit Wertvollem. Wichtig finde ich in dem Zusammenhang auch die Betonung eines häufigen Unterschieds zwischen Frauen und Männern: „Frauen haben in der Regel ein größeres Bedürfnis, dass in solchen Zeiten auch gemeinsame Gespräche geführt werden. (…) Männern genügt für das Näheerlebnis öfter schon das gemeinsame Tun.“

  7. Stellen Sie Gegenseitigkeit und Ausgleich her:

    Die Kunst der Balance in der Beziehung.

    Jellouschek schreibt, dass es in einer Beziehung aufs Ganze gesehen fair zugehen muss, damit die Liebe erhalten bleibt und sich erneuern kann. Der Psychologe beschreibt klassische Situationen, in denen es unfair zugehen kann: bei der Aufgabenteilung in Bezug auf Kinder und Arbeit, bei der Pflegebedürftigkeit eines Elternteils, bei der Freizeitgestaltung, beim Sex. Er betont die Kunst der Balance im Umgang mit wichtigen Polaritäten:

    Autonomie und Bindung, also die Polarität zwischen Ich und Wir,

    Bestimmen und Sich-Anschließen, also die Polarität der Macht und

    Geben und Nehmen, die Polarität des affektiven Austausches.

    Eine Beziehung läuft der Regel dann gut, „wenn beide sich zwischen beiden Polen hin und her bewegen. Problematisch wird es, wenn die Partner sich an einem Pol fixieren oder polarisieren, d.h. „der eine sich ausschließlich auf dem einen, der andere auf dem anderen Pol zubewegt“. Jellouschek betont: „Es geht hier um den Unterschied von Liebe und Gerechtigkeit. (…) In der Liebe geht es um Hingabe, in der Gerechtigkeit um Ausgleich. Allerdings: Liebe ohne Gerechtigkeit wird Missbrauch oder Überforderung.“

  8. Machen Sie Ihre Probleme zu gemeinsamen Problemen:

    Die Kunst, miteinander gut zu kooperieren.

    Die These dieses Punktes lautet: „Wenn einer ein Problem hat, ist es angesagt, dass beide sich hinsichtlich dieses Problems miteinander verbünden, anstatt dass einer den anderen an die Front schickt und sich selbst in die hinteren Linien zurückzieht.“ Jellouschek plädiert also für Kooperation statt Distanzierung und Konkurrenz. Sehr schön finde ich die Schlussbemerkung: „Paare, die ihre Probleme als gemeinsame sehen, gemeinsam angehen und miteinander lösen, oder auch miteinander tragen, wenn sie nicht zu lösen sind, erschließen sich gerade damit ein großes Wachstumspotenzial ihrer Liebe. Es gibt kaum etwas, das die Liebe zueinander mehr stärkt und festigt als dieser Weg.“

  9. Nehmen Sie Krisen als Entwicklungschancen:

    Die Kunst, Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen.

    Jellouschek ist davon überzeugt, dass Krisen notwendig und lebenswichtig sind. „Alles Lebendige ist in Entwicklung, das heißt es verändert sich und es muss sich verändern, um zu überleben und sich zu entfalten.“ Das eine Extrem auf wäre Erstarrung, das andere Auflösung. „In dieser Spannung steht alles Lebendige: Es strebt Stabilität an, um es selbst zu bleiben, aber es muss die Stabilität auch immer wieder aufgeben und Wandlungsprozesse riskieren, um nicht in Erstarrung zu geraten.“ Im Leben von Paaren gibt es vorhersagbare (z.B. der Auszug von Kindern oder der Wechsel vom Arbeitsleben in den Ruhestand) und unvorhersagbare (z.B. Krankheit und Tod oder eine Affäre) kritische Lebensereignisse. Dabei werden Lebenskrisen leicht zu Beziehungskrisen und stellen eine Herausforderung zur Entwicklung dar, einen Anlass zum Ausbruch aus einer womöglich drohenden Erstarrung. Letzten Endes kann eine Krise zum Anstoß werden, um bisher gelebte Lebensmöglichkeiten zu entdecken. Gute Fragen sind: „Zu welcher Entwicklung fordert uns diese Krise heraus? Zu welcher Entwicklung, die wir vielleicht bis jetzt vermieden haben?“. Außerdem aktualisieren Krisen zentrale individuelle Lebensthemen wie z.B.: Männlichkeit und Weiblichkeit, Stärke und Schwäche. Noch ein schöner Schlusssatz: „Im gemeinsamen Umgehen mit der Krise in diesem Sinn vertieft sich die Partnerliebe, weil uns das Dunkel des Tales, das wir gemeinsam durchschritten haben, das Licht nachher umso heller erleben lässt.“

  10. Schaffen Sie gemeinsame Sinnwelten und Lebensperspektiven:

    Die Kunst, das Zusammenleben mit Sinn zu füllen.

    Liebe braucht in Dauerbeziehungen zwei Dinge: Die Erfahrung von Wertvollem in der Gegenwart (z.B. Kinder oder gemeinsame Hobbies wie Kultur, Reisen, Sport) und die Erfahrung attraktiver Perspektiven für die Zukunft. Zur Visionsarbeit gehören Fragen wie: Wie könnte unsere Beziehung in drei/fünf/zehn Jahren sein? Wie möchten wir zusammenleben? Wo? Welche Arbeit werden wir machen? Was wird mehr Raum einnehmen, was weniger? Diese Zukunftsbilder haben nach Meinung des Autors v.a. drei Wirkungen: 1. lassen sie uns über die derzeitige Situation hinausblicken und können unsere Gefühle ins Positive wenden. 2. geben uns solche Bilder das Gefühl, selber die Regisseure unseres Lebens zu sein. 3. Wenn die entworfenen Bilder stimmig sind, entwickeln sie eine Tendenz zur Verwirklichung.

Ein Beziehungs-Haltbarkeits-Test

Am Ende des Buches gibt es einen Haltbarkeitstest für Beziehungen mit zehn Aussagen, die sich immer zwischen zwei Polen bewegen:

  1. Unsere Beziehung ist klar definiert.

    Es ist ganz unklar, was unsere Beziehung ist.

  2. Ich kenne meinen Partner sehr gut, auch seine Kindheitsgeschichte.

    Ich kenne meinen Partner kaum, auch sehr wenig von seiner Kindheitsgeschichte.

  3. a) Ich bin mit meiner Vergangenheit ausgesöhnt.

    Ich hadere mit meiner Vergangenheit.

    b) Mein/e Partner/in ist mit seiner/ihrer Vergangenheit ausgesöhnt.

    Mein/e Partner/in hadert mit seiner/ihrer Vergangenheit.

  4. a) Ich lobe und anerkenne meine/n Partner/in viel mehr, als ich ihn/sie

    kritisiere.

    Ich kritisiere meine/n Partner/in viel mehr, als ich ihn/sie anerkenne und

    lobe.

    b) Ich fühle mich von meinem/r Partner/in viel mehr anerkannt als kritisiert.

    Ich fühle mich von meinem/r Partner/in viel mehr kritisiert als anerkannt.

  5. In unserer Beziehung gibt es keine unverziehenen Verletzungen.

    In unserer Beziehung gibt es viele unverziehenen Verletzungen.

  6. In unserer Beziehung gibt es ausreichend Räume für Intimität und Zärtlichkeit.

    In unserer Beziehung gibt es keine Räume für Intimität und Zärtlichkeit.

  7. Ich empfinde unsere Beziehung ausgeglichen, ich komme nicht schlechter weg als mein/e Partner/in.

    Ich komme in unserer Beziehung viel schlechter weg als mein/e Partner/in.

  8. Mein/e Partner/in macht meine Probleme immer auch zu seinem/ihrem Problem, und wir kooperieren gut bei der Bewältigung.

    Ich fühle mich bei Problemen vom Partner/von der Partnerin immer alleingelassen, und wir kooperieren nicht bei ihrer Bewältigung.

  9. a) Ich gehe Krisen eher zuversichtlich an und sehe sie als Chancen.

    Ich stehe Krisen mutlos und resignativ gegenüber.

    b) Mein/e Partner/in geht Krisen eher zuversichtlich an und nutzt sie als

    Chancen.

    Mein/e Partner/in reagiert in Krisen eher mutlos und resigniert.

  10. a) In unserer Beziehung gibt es viel Wertvolles und Sinnstiftendes, das uns

    miteinander verbindet.

    In unserer Beziehung gibt es nichts, was uns an gemeinsamen Werten und

    Anliegen verbindet.

    b) Wir machen uns immer wieder von unserer gemeinsamen Zukunft positive

    Bilder.

    Wir haben keine konkreten Bilder von unserer gemeinsamen Zukunft.

Meine Meinung

Mir gefällt die klare Struktur des Buches mit seiner Aufteilung in die zehn Grundsätze, auf die jeweils Hinweise und Einwands-Behandlungen folgen. Die Grundsätze fassen Essentielles zusammen. Dabei wirken einige Punkte völlig klar und selbstverständlich, andere bieten einen guten Gesprächsanlass für ein konstruktives Gespräch. Positiv zu bewerten ist auch die offensichtlich lange Erfahrung des Autors mit Beziehungsabläufen und seine klare Sicht. Er redet Tacheles und legt die Karten auf den Tisch. Dabei verfällt er nicht in das Extrem einiger Beziehungsratgeber nach dem Motto: „Alles ist möglich, wenn ihr nur wirklich wollt und euch genug Mühe gebt!“ und beschreibt auch keine angeblichen Ausschlusskriterien wie „Gleich und gleich gesellt sich gern, alles andere ist zum Scheitern verurteilt.“

Was mir nicht so gut gefällt ist der bisweilen sehr nüchterne und normative Schreib- und Betrachtungsstil. Jellouscheks Ansatz klingt mir an verschiedenen Stellen Stellen zu sehr nach „richtig“ und „falsch“ und lässt mir immer mal wieder zu wenig Spielraum für Humor und Individualität.

Dennoch finde ich das Buch sehr lesenswert und empfehle es gerne weiter!

 

Austausch

Wie immer bin ich auch in Bezug auf Jellouscheks Ansatz neugierig auf einen Austausch mit dir. Entweder einfach nur mal so, ganz im Allgemeinen. Oder konkreter bezogen auf dich, dein Leben und deine Erfahrungen. Informell.

Gerne aber auch intensiver im Sinne einiger Termine in meiner Praxis zur Förderung deines persönlichen Wachstums in deiner gegenwärtigen Beziehung. Oder zum Klären und Heilen vergangener Erfahrungen, die noch nicht abgeschlossen sind und dir daher immer wieder störend in deine Gegenwart hineinfunken.

Also: Ruf gerne an oder schick mir eine Email. Ich freue mich auf dich. Bis dann!

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1siehe Wikipedia

Foto: Pixabay

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