Der goldene Buddha
„In der Mitte der Fünfzigerjahre wurde in Bangkok mitten durch einen alten Tempel eine neue Straße gezogen. Die Mönche mussten dafür eine große Lehmstatue des Buddha versetzen, die über viele Generationen angebetet worden war. Ein Kran wurde herangefahren, doch als sie anfingen, den schweren Buddha anzuheben, bekam der Lehm Risse. Schnell ließen sie die Statue wieder auf den Boden herunter und bedeckten sie, weil ein Sturm nahte, mit einer Plane.
Später am Abend ging der Abt noch einmal hin, um den Schaden zu begutachten und sicherzugehen, dass die Statue nicht nass wurde. Als er mit der Taschenlampe unter die Plane leuchtete, bemerkte er in dem größten Riss ein leichtes Schimmern. Er fragte sich, ob sich unter der dicken Lehmschicht noch etwas anderes verbarg, und trat näher heran. Dann weckte er schnell die anderen Mönche, und zusammen begannen sie, mit Meißeln und Hämmern an den Rissen entlang den Lehm abzuschlagen. Das Schimmern wurde heller und heller, bis die Mönche schließlich, nach langen Arbeitsstunden, zurücktraten und ehrfürchtig begutachteten, was da vor ihnen stand: ein Buddha aus purem Gold.
Historikern zufolge müssen mehrere Jahrhunderte zuvor die Tempelmönche die Statue mit Lehm überdeckt haben. Dem Angriff einer Nachbararmee zuvorkommend, hofften sie, ihren kostbaren Buddha so vor Plünderung oder Zerstörung zu bewahren. In der darauffolgenden Schlacht wurden die Mönche ausnahmslos getötet, der Buddha jedoch blieb unversehrt erhalten.
Wenn die Mönche heute diese Geschichte erzählen, wollen sie damit sagen, dass jeder von uns angesichts von Bedrohungen oder Herausforderungen sein Gold auf seine Weise überdeckt. Unser Leid beginnt in dem Augenblick, in dem wir uns mit dieser Schutzhülle identifizieren und das liebende Gewahrsein vergessen, das unserem Sein innewohnt.“
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Quelle: Tara Brach – Dein furchtloses Herz. Mit der RAIN-Methode schwierige Emotionen heilen. München 2020
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