In ihrem Buch zum Resilienztraining*, das ich hier schon vorgestellt habe, schreibt Claudia Croos-Müller ein sehr interessantes Kapitel zu den zwölf Hirnnerven und den fünf Sinnen des Menschen.
Die Sinne bestimmen dein Leben
Was immer du hörst, siehst, schmeckst, riechst, ertastest oder spürst – jedes Erlebnis wird von den dafür verantwortlichen Sinnesnerven des Körpers erfasst und an dein Gehirn weitervermittelt. Dieses analysiert das Signal und entwickelt das passende Gefühl und den passenden Gedanken dazu. Alles zusammen führt zu einer biochemischen Reaktion in den Nervenzellen und dein Körper erhält einen Handlungsauftrag vom Gehirn. Das ist dann deine Reaktion auf das betreffende Erlebnis.
„Gute Sinneserfahrungen führen zu guten Gefühlen, zu hilfreichen Neurotransmittern und somit zu guten Gedanken, Entscheidungen und Handlungen – und zu körperlicher sowie seelischer Gesundheit.“ Daher wirst du durch gute Sinneserlebnisse langfristig körperlich, emotional und kognitiv stärker. Sie verleihen dir Kraft und fördern deine Resilienz.
Die zwölf Hirnnerven, die fünf Sinne und ihre Bedeutung für dich
Insgesamt besitzt du zwölf Hirnnerven, die direkt aus Nervenkernen im Gehirn entspringen. „Sie sind für das Funktionieren der Gesichtsmuskulatur (Mimik, Kauen und Schlucken, Sprechen, Singen und Pfeifen), für die Sensibilität der Haut und der Schleimhäute, aber auch für Funktionen wie Sehen, Riechen, Schmecken, Hören zuständig. Somit sind diese Hirnnerven auch verantwortlich für die fünf Sinne. Die meisten dieser Hirnnerven entspringen dem Hirnstamm, der tiefsten Gehirnregion, auf die wir keinen direkten willentlichen Einfluss haben.“
Diese Hirnnerven sind alle direkt und indirekt mit sämtlichen anderen Nervenzellen des Gehirns und des Körpers vernetzt. Das bedeutet, dass mit jeder Hirnfunktion auch Emotionen und die Produktion von Neurotransmittern verbunden sind.
Zum Beispiel siehst du (Hirnnerv II) eine rote Beere, die verführerisch aussieht und die du dir deshalb voller Freude (Gefühl) in den Mund steckst (Reaktion). Beim Kauen (Hirnnerv V) bemerkst du plötzlich einen fiesen bitteren Geschmack (Hirnnerv VII + IX). Du ekelst dich (Emotion), verziehst das Gesicht und reißt die Augen auf (Hirnnerv III, IV, VII, Reaktion). Du würgst und spuckst die Beere wieder aus (Hirnnerv XII, IX, X, V), bekommst Angst (Gefühl, Zwischenhirn), dass sie giftig ist und rufst deshalb den Notarzt (Reaktion, Großhirn).
Wie du siehst, sind bei diesem relativ kleinen Vorgang die meisten deiner Hirnnerven beteiligt und leiten Informationen an das Großhirn weiter. Das wiederum befähigt dich zu deinen Reaktionen. Es ist außerdem eine Leistung des Großhirns, aus seinem Erfahrungs- und Gedächtnisspeicher und durch sein logisches Denken aufgrund der Informationen durch die Hirnnerven die Möglichkeit einer Vergiftung in Betrachtung zu ziehen. Die Emotionen können auch nur aufgrund der Informationen durch die Hirnnerven entstehen. Das Allerwichtigste ist jedoch, dass es durch die neuronale Informationskette aus Erlebnisse und Emotionen zur Produktion verschiedener Neurotransmitter kommt: einerseits wird aufgrund der Freude ein bisschen Serotonin hergestellt, andererseits aufgrund des Schreckens und der Angst ein wenig Stress-Cortisol.
Höchste Effizienz
Dieser einfach dargestellte, aber hochkomplexe Vorgang beruht auch auf der Tatsache, dass emotionale Reize im Gehirn auf zwei unterschiedlichen Wegen verarbeitet werden: „Auf dem kürzesten Weg gelangt eine Information blitzschnell ins Gehirn und aktiviert von dort aus emotionale Reaktionen ohne eine bewusste Analyse der Reize.“ Solche Reaktionen brauchst du zum Überleben, damit du z.B. blitzschnell reagieren kannst , wenn plötzlich ein Hund losbellt. „Auf einem zweiten, langsameren Weg über die Großhirnrinde erfolgt zunächst die kognitive Bewertung, erst dann wird die emotionale Reaktion aktiviert“. Dies wäre zum Beispiel die Erkenntnis, dass der bellende Hund aus dem Hörbuch kommt, dass du dir auf die Ohren gepackt hast… „Die Schlüsselrolle hat die Amygdala (der Mandelkern), sie gibt die erste Bewertung ab, übernimmt dann aber auch Ergebnisse aus der zweiten Bewertungsrunde vom Großhirn und regt daraufhin körperliche Vorgänge und Aktivitäten an.“
Aufgrund dieser Zusammenhänge können schon kleine Körpererlebnisse eine deutliche Auswirkung auf deine Stimmung haben. Wichtig ist dabei, dass du diese Erlebnisse zur eigenen psychomentalen Stabilisierung bewusst erzeugen kannst, statt passiv auf gute Ereignisse und aufbauende Erlebnisse zu warten. Das ist ein wesentlicher Anteil zur Stärkung deiner Resilienz. So kannst du zum Beispiel durch das bloße Hochziehen deiner Mundwinkel für eine halbe Minute deine Stimmung signifikant verbessern! Oder du kannst dir mit den Fingerspitzen sanft über die Augenbrauen und die Stirn streichen und damit nicht nur deine Haut, sondern auch deine Stimmung ein wenig glätten.
Der X. Hirnnerv: Nervus Vagus
Dieser Hirnnerv nimmt in besonderer Weise Einfluss auf die Gefühle. Der Nervus vagus hat seinen Ursprung im Hirnstamm, wandert durch einen kleinen Knochenkanal aus der Schädelbasis heraus, am Hals rechts und links neben der Speiseröhre und dann neben dem Brustbein entlang durch das Zwerchfell bis in den Bauchraum. Auf dieser langen Strecke verteilt er verschiedene Nervenfasern. Zum Beispiel versorgt er den Kehlkopf mit Nerven und ist somit an der Stimmbildung beteiligt. Auch übermittelt er Geschmacksempfindungen vom Zungengrund oder Berührungsempfindungen aus dem Rachen, dem Kehlkopf und einem Teil des äußeren Gehörgangs. Der Nervus vagus gibt Nervenfasern an das Herz ab, die den Herzschlag verlangsamen können usw. Diese vielfältigen Verbindungen sind ein Grund dafür, weshalb kleine Übungen wie die Hand aufs Herz zu legen so eine deutliche Wirkung haben können! Durch eine freundliche und liebevolle Vagus-Behandlung kannst du mit ein bisschen Übung Atmung, Blutdruck, Herzfrequenz und auch Körpertemperatur positiv beeinflussen.
Weitere bedeutsame Hirnnerven
Lasse dich noch ein bisschen weiter in das Reich deiner neuronalen Fähigkeiten entführen und mache dich mit weiteren Hirnnerven bekannt. Sie entspringen alle im Hirnstamm, innervieren deine Sinnesorgane, sind ebenfalls mit den Gefühlszentren im Gehirn verbunden und damit an der Produktion von Neurotransmittern beteiligt. Schöne Impulse für deine Hirnnerven bedeuten also schöne Erlebnisse für deine Sinne, gute Gefühle, hilfreiche Hormone und damit mehr seelische Stabilität.
Hirnnerv I:
Dieser Nerv ist der Riechnerv – er war in der Evolution besonders wichtig, weshalb wir auch heute noch sehr emotional auf Gerüche reagieren.
Hirnnerven II, III, IV + VI:
Diese Hirnnerven haben alle mit dem Sehen zu tun – bildhafte Eindrücke wirken bei den meisten Menschen am stärksten.
Hirnnerven V, IX + XII:
Diese Nerven haben mit Kauen, Schlucken, Kiefer- und Zungenbewegungen zu tun. Zusammen mit den Hirnnerven X und VII sind sie für das Sprechen und das Singen verantwortlich.
Hirnnerv VII:
Mit diesem Nerv kannst du alle möglichen Grimassen schneiden.
Hirnnerv VIII:
Diesem Hirnnerv verdankst du dein Gehör sowie dein Körpergleichgewicht.
Hirnnerv XI:
Dieser Nerv ist beim Drehen des Kopfes, dem Bewegen der Schultern und dem Heben der Arme beteiligt.
Hirnnerven VII, IX + X:
Dieser Hirnnerven übernehmen die Sinneserfahrung des Schmeckens. Gemeinsam sind sie für das Gefühl und die Sensibilität des Gesichts einschließlich Augen, Ohren, Mund und Zunge verantwortlich.
Aufgrund all dieser Zusammenhänge machen Übungen Sinn, die lächeln, summen/singen/lautieren, gähnen, schmatzen/kauen/schlucken, Augenbewegungen, bewusstes Riechen, zarte Streichbewegungen und schlürfendes Atmen oder Schnauben beinhalten.
Während ich all dies schreibe bzw. zitiere, wird mir – mal wieder – deutlich, wie lange mir diese Zusammenhänge schon bekannt sind und wie selten ich sie dennoch anwende. Schon oftmals habe ich ihre verblüffende Effizienz genießen dürfen und verfalle doch immer wieder darin, sie in meinem geschäftigen und häufig kopf- und willensgesteuerten Alltag zu vergessen oder gering zu schätzen. Deshalb möchte ich diese Ausführungen dazu nutzen, nicht nur dir diese Inhalte vorzustellen, sondern auch mich einmal wieder freundlich darin zu erinnern, sie wieder mehr in meine Tage zu integrieren.
______________________________________________________________________________________________________________________
Dr. med. Claudia Croos-Müller: Kraft. Der neue Weg zu innerer Stärke. Ein Resilienztraining. München 2015
Foto: Pixabay