Psychotherapie: Was ist eigentlich eine Angststörung oder eine Phobie?

In der Beratung höre ich immer wieder die Frage, was eigentlich Ängste und Phobien sind und wie sie überwunden werden können. Hier einige Antworten von Fachleuten:

Der Psychologe Fritz Riemann1 schreibt, dass wir Menschen schon immer Angst hatten und dass Angst auch weiterhin zum Leben eines Menschen gehören wird.

Der Psychologe Lee H. Coleman2 schreibt:

Wir alle sind manchmal unruhig, besorgt oder nervös, doch wenn solche emotionalen Zustände dich zu stark zu beeinträchtigen beginnen, leidest du möglicherweise unter einer Angststörung. „Es gibt viele Unterformen der Angststörung, deren gemeinsamer Nenner ist, dass jemand mit beunruhigenden, belastenden oder beängstigenden Erfahrungen in einer Art und Weise umgeht, die den unbeabsichtigten Effekt hat, dass sich die Angst verfestigt oder verstärkt. Angststörungen zählen bei depressiven Menschen zu den häufigsten Begleiterkrankungen (…)“.

Der Begriff Phobie beschreibt irrationale Ängste z.B. vor bestimmte Tieren wie Spinnen, vor spitzen und scharfen Gegenständen oder vor bestimmten Situationen wie Menschenansammlungen oder dem Blick in die Tiefe (Höhenangst). Wenn du unter einer Phobie leidest und noch nie professionelle Hilfe in Anspruch genommen hast, setzt du wahrscheinlich vor allem Vermeidungsstrategien ein, um das Problem unter Kontrolle zu halten. Das heißt, du versuchst mit allen Mitteln zu erreichen, dass du erst gar nicht in die gefürchtete Situation gerätst. Das Problem dabei ist, dass die Vermeidung zwar insofern ausgezeichnet funktioniert, als sie ein Gefühl der Sicherheit erzeugt, dir aber die Chance verbaut, die Angst wirklich zu überwinden. Du glaubst, das Vermeidungsverhalten schütze dich, so dass du die Strategie bei Angst immer wieder einsetzt. Die Folge ist, dass die Vermeidung, die dich auf kurze Sicht zu retten scheint, auf lange Sicht die Angst verstärkt.

Angststörungen gehören zu den psychischen Problemen, die am häufigsten zusammen mit einer Depression auftreten. Schätzungen besagen, dass bis zu 85 Prozent der depressiven Menschen auch von starken Angstsymptomen betroffen sind.

Greenberger & Padesky3 schreiben: „Mit Ängsten hat eigentlich jeder Mensch zu tun und dennoch gehören sie zu den beunruhigendsten Gefühlen, die wir kennen.“ Der Begriff „Angst“ wird häufig für eine vorübergehende Nervosität oder Ängstlichkeit verwendet, wie sie bei Herausforderungen auftreten, etwa in Bewerbungsgesprächen oder bei medizinischen Untersuchungen. Aber er beschreibt auch länger anhaltende Angstformen, wie Phobien (die Angst vor speziellen Situationen oder Dingen, z.B. vor Höhe, Tieren, Insekten oder Flugangst), soziale Angststörungen (die Furcht, sich zum Narren zu machen und/oder von anderen kritisiert oder abgelehnt zu werden), Panikstörungen (intensive Angst, bei der die Betroffenen häufig fürchten, zu sterben oder verrückt zu werden), Posttraumatische Belastungsstörungen (wiederholte Erinnerungen an Traumata, die mit einem hohen Stressniveau verbunden sind), Hypochondrie (Sorge um die eigene Gesundheit, die ständige Angst, unter einer Krankheit oder unter einem körperlichen Problem zu leiden, obgleich medizinische Untersuchungen keinen Befund ergeben) und eine Generalisierte Angststörung (die sich durch häufige Sorgen und körperliche Angstsymptome auszeichnet).

 

Beim Thema Angst geht es immer um vier Aspekte der Angst:

1. kognitive Aspekte bzw. Gedanken,

2. emotionale Reaktionen bzw. Gefühle,

3. Verhaltensweisen und

4. körperliche Reaktionen.

 

1.

Typische Gedanken beziehen sich auf das Überschätzen von Gefahren und das Unterschätzen der eigenen Fähigkeiten. Solche Gedanken beginnen häufig mit: „Was wäre, wenn…?“ und drehen sich darum, dass etwas Schlimmes passieren wird. Oftmals tritt die Angst als bildhafte Vorstellung auf.

2.

Typische Gefühle bei Angst umfassen extreme Anspannung, Nervosität und Ängstlichkeit bis hin zu Panik.

3.

Angst wird durch zwei Arten von Verhalten charakterisiert: Vermeidung und Sicherheitsverhalten. Wenn du Angst hast, vermeidest du Dinge und wünschst dir Sicherheit. Typische Verhaltensweisen bei Angst sind die Vermeidung bestimmter Angst auslösender Situationen. Du gehst aus der Situation heraus, sobald Angst aufkommt; versuchst, perfekt zu sein oder alles zu kontrollieren oder etwas zu tun, was ein Sicherheitsgefühl hervorruft. Kurzfristig vermindern diese Reaktionsweisen die Angst, mittel- und langfristig verschlimmern sie sie jedoch, häufig auf gravierende Weise.

4.

Angstsymptome können verschiedene körperliche Reaktionen wie Zittern, Kurzatmigkeit, schneller Herzschlag, Schwitzen umfassen. Die körperlichen Symptome der Angst, die zu Veränderungen in deinem Denken und Verhalten führen, gehören zu den drei typischen Reaktionsmustern Kampf, Flucht oder Erstarren. Diese drei Reaktionen sind entwicklungsgeschichtlich Anpassungsmuster in Gefahrensituationen. Angst hilft dir, dich bei echten und realen Gefahren – wie z.B. einem Wohnungsbrand – anzupassen und daher können wir nicht komplett auf sie verzichten. Wir sind auf unsere Angstreaktionen angewiesen, um auf Gefahren aufmerksam zu werden und schnell darauf reagieren zu können. Leider spüren wir auch Angst, wenn kein reales Risiko besteht oder die Gefahr geringer ist, als wir annehmen.

 

Sicherheits- und Bewältigungsverhalten

Zu einem guten Umgang mit Angst besetzten Situationen gehört, dass du dich deinen Ängsten stellst, deine Reaktionen steuerst und mit den ängstigenden Situationen fertig wirst. Durch Übung im Umgang mit deinen Ängsten gewinnst du das Vertrauen, dass du ihnen gewachsen bist und die Ängste lassen schließlich nach. Greenberger & Padesky unterscheiden dabei Sicherheits- von Bewältigungsverhalten:

1.

Sicherheitsverhalten hat zum Ziel, Gefahren zu reduzieren.

Bewältigungsverhalten dient dazu, dass du Angst auslösenden Situationen nicht ausweichst, sondern sie aushältst und mit ihnen umgehst.

2.

Sicherheitsverhalten hält Angst aufrecht und verstärkt sie.

Bewältigungsverhalten führt mit der Zeit zu einer Minderung der Angst.

 

Wie kannst du Angst überwinden?

Bei der Behandlung von Angst ist die Kognitive Verhaltenstherapie überaus erfolgreich. Die gängigste Methode, Angst zu überwinden, ist die Exposition: dich dem zu stellen, was du fürchtest; die Annäherung an deine Ängste und deinen Umgang damit. Um deine Angst zu überwinden, musst du lernen, dich den Situationen und Menschen, die du vermeidest, anzunähern. Diese Erfahrung gibt dir die Möglichkeit, dein Vertrauen in die eigene Bewältigungsstrategie zu stärken und damit langfristig deine Angst zu verringern. Allgemein kann man sagen: Je mehr Erfahrungen du damit gemacht hast, dich deinen Ängsten auszusetzen, desto weniger sensibel reagiert dein Alarmsystem. Wenn du dich also häufiger in Situationen begibst, die bei dir Angst auslösen, lernt dein System, sie nicht mehr als derart gefährlich einzustufen. Diesen Prozess, das Alarmsystem durch wiederholte und immer längere Exposition zu beeinflussen, heißt Desensibilisierung.

Eine Angstleiter hilft dir, eine Exposition zu planen. Sie kann dazu beitragen, deine Ängste Schritt für Schritt in deinem Tempo zu bewältigen. Eine Angstleiter ist eine Liste, auf der Situationen, Ereignisse oder Menschen nach der Intensität der Angst geordnet sind. Ganz oben steht, was du am meisten fürchtest; ganz unten, wovor du dich nur ein wenig ängstigst. Mit jeder Sprosse der Angstleiter steigt also die Intensität der Angst. Zu Anfang nimmst du nur die niedrigste Sprosse der Leiter und dann arbeitest du dich Schritt für Schritt nach oben. Du wirst jedes Ereignis immer ein bisschen besser bewältigen können, bis deine Angst nur noch von mittlerer Intensität ist. Auf jeder Sprosse hältst du inne und setzt dich weiter der Situation aus, bis du dir zutraust, den nächsten Schritt zu machen und lernst, die jeweilige Intensität der Angst zu tolerieren.

 

Techniken für den Umgang mit Angst

Für den Umgang mit Angst gibt es zahlreiche Techniken. Dazu gehören:

Achtsamkeit und Akzeptanz, Atmung, progressive Muskelentspannung, Imaginationen und die Veränderung von Angst machenden Gedanken.

  • Achtsamkeit und Akzeptanz

    Bei Achtsamkeit geht es darum, im Augenblick zu verharren und deine ganze Aufmerksamkeit auf deine Erfahrung und die unmittelbare Umgebung in diesem Moment zu lenken. Dazu gehört auch, deine Erfahrungen nicht zu bewerten, sondern zu akzeptieren.

  • Atmung

    Eine ähnliche Methode zur Bewältigung von Angst ist gleichmäßiges tiefes Atmen. Wenn du ängstlich oder nervös bist, atmest du eher flach und unregelmäßig. Eine solche Atmung führt zu einem unausgeglichenen Sauerstoff-Kohlendioxid-Verhältnis im Körper, was wiederum körperliche Angstsymptome wie Herzrasen hervorrufen kann. Zu Beginn ist es wichtig, mindestens vier Minuten lang gleichmäßig und tief zu atmen. So lange braucht der Körper, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.

  • Progressive Muskelentspannung

    Bei der PM werden die großen Muskelgruppen im Körper abwechselnd angespannt und entspannt. Dabei ist es wichtig, den Unterschied zwischen angespannten und entspannten Stadien bewusst wahrzunehmen. Mit dieser Methode kannst du eine tiefe körperliche und mentale Entspannung erreichen.

  • Imaginationen

    Die Technik der Imagination kannst du einsetzen, um dich zu beruhigen, bevor du dich einer wahrscheinlich Angst auslösenden Situation aussetzt. Sinnvoll ist es, dir entspannende oder motivierende Szenen vorzustellen. Je mehr Sinneseindrücke du in die Imagination einbringst, desto hilfreicher ist sie für dich. Jeder Sinneseindruck kann dazu beitragen, dass du dich entspannst bzw. zutrauen gewinnst.

  • Die Veränderung Angst auslösender Gedanken

    Bei der Veränderung Angst auslösender Gedanken geht es um zweierlei: Zum einen überprüfst du deine Vorannahmen und zum anderen stärkst du das Bewusstsein für und das Zutrauen in deine Bewältigungskompetenzen. Um deine Ängste langfristig zu verringern, ist die Veränderung deiner bangen Gedanken einer der wichtigsten Ansätze. Du kannst lernen, deine Angst auslösenden Ideen kritisch zu hinterfragen und zu verändern und in Verhaltensexperimenten zu überprüfen.

  • Medikamente

Einigen Betroffenen hilft kurzzeitig auch die Einnahme von Medikamenten, aber bei bei den meisten führt dies auf lange Sicht nicht zu einer Verbesserung, weil damit nicht die zugrunde liegenden Muster bearbeitet werden. Es gibt Medikamente, die bei Angstgefühlen Erleichterung verschaffen, doch gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, dass Medikamente sich häufig negativ auf das Erlernen neuer Verhaltensweisen auswirken. Greenberger und Padesky schreiben: „Betroffene, die Medikamente nehmen, glauben zudem häufig: Wenn sie sich erfolgreich ihren Ängsten stellen, liegt es an den Medikamenten“ – und nicht an den eigenen Fähigkeiten. Außerdem ist es bei der Überwindung von Ängsten wichtig zu lernen, die Angstgefühle zu tolerieren. Verringern Medikamente diese Gefühle, kannst du gar nicht einschätzen, ob du diese Gefühle aushalten und bewältigen kannst. „Wer lernen will, mit Angst umzugehen, muss lernen, die Angst zu spüren; muss üben, sie zu reduzieren und/oder sie auszuhalten.“ Unter Medikamenten kannst du nicht in vollem Umfang wertschätzen, was dir Psychotherapie, Achtsamkeit und Akzeptanz und andere oben beschriebene Techniken für den Umgang mit Angst bringen. Betroffene, die erfolgreich mit Medikamenten bei einer Angststörung behandelt wurden, zeigen zudem eine hohe Rückfallquote. In der KV lernst du hingegen Fertigkeiten, mit denen du deine Angst bewältigen kannst und die zu einer langfristigen Verbesserung führen. Anders gesagt: Wenn es dir durch eine KV besser geht, dann wird das wahrscheinlich auch so bleiben. Von der Medikation lässt sich das nicht sagen.

Darüber hinaus werden bei Angsterkrankungen häufig Tranquilizer verschrieben, die durch Toleranzentwicklung süchtig machen können. Das bedeutet, dass du immer größere Mengen des Wirkstoffes zu dir nehmen musst, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Außerdem kann es beim Absetzen der Tabletten oder Tropfen zu Entzugserscheinungen kommen.

Das soll jetzt nicht heißen, dass eine Medikation bei der Behandlung von Angst vollständig ausgeschlossen werden sollte. Jedoch sollte der Behandlungszeitraum bei der Einnahme von Tranquilizern kurz sein, also lediglich zwei bis vier Wochen.

Soviel erst einmal zur ersten Beschäftigung mit dem Thema. Es werden an dieser Stelle noch weitere Blogs zum Bereich Angst folgen, um den Aspekt von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Dazu wird z.B. auch ein Ansatz aus dem Bereich der Hochsensibilitäts-Forschung gehören. Du kannst also gespannt sein!

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1 Fritz Riemann: Grundformen der Angst. München 1979.

2 Lee H. Coleman: Depression. Ein Wegweiser für Betroffene. Was Sie nach der Diagnose tun können. Paderborn 2014

3 Dennis Greenberger & Christine A. Padesky: Gedanken verändern Gefühle. Paderborn 2017

Foto: Pixabay

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