Psychotherapie: „Fuck Beauty!“

Warum du ein Buch zum Thema Schönheit in einem Psychotherapie-Blog findest? Lies selbst!

 

Nunu Kaller:

Fuck Beauty! Warum uns der Wunsch nach makelloser Schönheit unglücklich macht – und was wir dagegen tun können

Köln 2018

 

Die Autorin

Nunu Kaller, geboren 1981 in Niederösterreich, aufgewachsen in Wien. Studium der Publizistik, Anglistik und Zeitgeschichte. Nach dem Studium arbeitete sie zwei Jahre bei Die Presse im Onlineressort Politik, danach wechselte sie in die NGO-Welt. Seit einiger Zeit arbeitet sie bei einer Umweltorganisation in Wien. 2013 erschien bei Kiepenheuer & Witsch ihr erstes Buch ´Ich kauf nix. Wie ich durch Shopping-Diät glücklich wurde` (…). Nunu Kaller lebt in Wien.“

 

Der Klappentext

Ladies, liebt euch selbst!

Zu viel? Zu laut? Zu plump? Zu dick? Zu dünn? Zu unweiblich? Es ist kaum zu glauben: 96 Prozent aller Frauen weltweit haben etwas an sich auszusetzen. Was um Himmels willen ist da los? Auch Nunu Kaller kennt das Gefühl, nicht attraktiv genug zu sein, seit Kindertagen. In `Fuck Beauty´geht sie nun anhand der eigenen Geschichte der Frage nach, warum sich immer mehr Frauen unwohl in ihrer Haut fühlen. Warum so viele so obsessiv damit beschäftigt sind, sich zu `verschönern´.

Authentisch, ehrlich und mit viel Humor erzählt Nunu Kaller in `Fuck Beauty´, wie sie gelernt hat, dieses Hadern mit den eigenen Makeln und den Selbstoptimierungswahn hinter sich zu lassen. Und fordert uns alle zu einem liebevolleren Umgang mit dem eigenen Aussehen auf. Denn es geht nicht nur um Schönheit, es geht um eine Lebenseinstellung: Wenn man sich selbst liebt, strahlt man das aus – und erlebt schönere Dinge!“

 

Das Buch

Nunu Kaller schreibt am Ende des Vorwortes: „Online werde ich Unmengen an Websites, Tipps und Bücher zum Thema Fat Acceptance und Modeblogs von kurvigen Frauen finden. Doch schnell ist klar: Das Thema geht noch viel tiefer. Es geht um Selbstwert, um Konsum, um Feminismus und um Medizin. Und um all diese Themen geht es in diesem Buch: Ich will einige Fragen rund um Selbstwert und Schönheit beantworten. Für andere, aber auch für mich ganz persönlich.

 

Auf das Vorwort folgen zahlreiche kürzere Kapitel, die all diese Themen bearbeiten. Und noch viele mehr wie:

  • die Abnehmerfolge der Daniela Katzenberger

  • Photoshop

  • Barbie

  • Sex

  • Rubens

  • Evolutionsbiologie

  • Mainstreamgedöns“

  • Komplimente

  • Unglücklich dick ist unglücklich im Leben“

  • Superpush – „Ich brauche einen neuen BH. Wie sehr ich das hasse. Seit Jahren frage ich mich: Gibt es eigentlich nur einen idealen Busen?“

  • Querstreifen machen dick

  • Wo fängt Plus Size an?

  • Fake Selfies

  • Pizza ohne die Zutat „schlechtes Gewissen“

  • Frauen und Narzissmus

  • Social-Media-Unterricht

  • Fett und Gesundheit

  • Diäten funktionieren nicht

  • Bin ich ehrlich zu mir selbst?

  • Kauf dich glücklich – Selbstwert und Konsum

  • Feminismus – gleiche Standards für Frauen und Männer

  • Ich bin hässlich“

  • Das Gewicht der Werbung

  • Schönheits-OPs

 

Im ersten Kapitel reflektiert Kaller die schmerzhaften Momente ihrer insgesamt angenehmen Kindheit, in denen sie durch permanente Sprüche „von wegen Elefant beim Ballett“ in negativer Weise mit ihrem kräftigen Äußeren konfrontiert wurde. Und sie denkt daran zurück, dass sich diese Situationen schneller mit einem pseudo-lustigen Spruch lösen ließen als aufzustehen und zu sagen: „Das will ich nicht, das tut mir weh“ und beschließt, endlich damit aufzuhören.

 

In einem späteren Kapitel folgt ein tolles und kraftvolles Statement ihrer Mutter gegenüber: „Ich kann mich an kein einziges Familienfest erinnern, an dem nicht irgendwann Thema war, wie viel ich gerade wiege! Das kann doch nicht sein, dass ich immer noch danach bewertet werde! Du hast so ein Glück mit mir, ich bin alles andere als ein Sorgenkind: Ich lebe komplett eigenverantwortlich, brauche keinen Cent von euch, ich habe nie massiv revoltiert, halte Kontakt, habe einen tollen Freundeskreis von lauter Menschen, die du magst, ich bin nicht dumm, ich mach was aus mir, ich habe eine Karriere – und trotzdem ist es dir wichtig, ob ich eine Kleidergröße mehr als letzten Sommer trage?“ und: „Mama, ich habe mich mein ganzes Leben für einen hässlichen Besen gehalten. Für die große Dicke, die halt mit dem Kopf punkten muss. Ich war aus genau diesem Grund mit dem Ex viel zu lange zusammen – weil ich Panik hatte, dass er meine einzige Chance ist. Das kannst du doch nicht für mich wollen! Warum kann man nicht sagen: `Kind, Hauptsache, du bist glücklich´?“

 

Hast du schon mal etwas von Lookismus gehört? Nein? Ich bislang auch nicht… Also: der Begriff beschreibt „die Diskriminierung von Personen, deren Körper oder deren Aussehen von gesellschaftlich gesetzten Normen abweichen. Lookismus ist also ein Begriff für die Vorurteile, die man einem Menschen aufgrund seiner Optik entgegenbringt. (…) Eigentlich kennen wir das ja: Schönere Menschen werden bevorzugt behandelt. Aber es herrschen gegen konventionell schöne Menschen auch Vorurteile, wie zum Beispiel blond = blöd. Gegen konventionell als nicht schön geltende Menschen herrschen noch mehr Vorurteile. Das bekannteste ist wohl dick = faul. Dieses allererste Einordnen aufgrund des Aussehens, und vor allem das Kategorisieren, wie eine Person wohl ist, basierend auf dem, wie sie aussieht – das ist Lookismus. Mit anderen Worten: Lookismus ist unser eingebautes Vorurteilsregister.“

 

Ein weiteres spannendes Konzept in diesem Zusammenhang ist Body Positivity. „Irgendwann landete ich beim Hashtag #bodypositivity. Die Idee dahinter: Dein Körper ist liebenswert! Jetzt! Nicht erst in fünf Kilo. Es ist okay, wie du aussiehst, egal, in welcher Form du aus dem klassischen Schönheitsideal fällst. Cellulite ist etwas komplett Natürliches. Dein Bauch auch. Du darfst dir erlauben, dich selbst schön zu finden. Dein Körper tut so viel für dich, er verdient es nicht, abgelehnt zu werden.“

Dabei geht es nicht nur um Schönheit, sondern auch um eine Lebenseinstellung: „wenn du dich selbst liebst, strahlst du das aus – und erlebst auch schönere Dinge“. Nunu Kaller hatte selbst eine Art „Erleuchtung“ auf einem Ausflugsboot während eines Urlaubs: Ab dem Moment, an dem sie realisierte, dass es völlig egal war, wie sie sitzend im Bikini aussah, sah sie alles um sich herum mit anderen Augen und begann, die Reise und das Leben wirklich erst zu genießen. „Ich war einfach mit Haut und Haaren dort, war ein Teil des Ganzen. Mich nicht mehr auf meine eigenen Makel zu konzentrieren, half, meine Aufmerksamkeit komplett auf meine Umgebung zu lenken. Es waren unfassbar intensive Momente, aus denen ich immer noch Kraft schöpfe“.

Bei „Body Positivity geht es auch darum, dass alle Körper gute Körper sind.“ Heutzutage stehen der Begriff und der Hashtag dafür, „dass Frauen das Recht haben, sich selbst schön zu finden – egal, ob sie gesellschaftlichen Standards entsprechen oder nicht“. Allerdings ist „der ursprünglich feministische Gedanke des Aktivismus durch Sichtbarkeit etwas verloren gegangen.“

Kaller fügt persönlich hinzu: „Es ist nicht einfach, sich selbst zu lieben, wenn man jahrelang an sich gezweifelt hat. Aber wenn man es schafft, dann entwickelt man echte Dankbarkeit: Dieser Körper, der uns durchs Leben trägt, schafft so unglaublich viel für uns. Dank unseres Körpers leben wir, wir können Freude empfinden, Glück, Verliebtheit, Liebe, das ganze Programm. Wir können auf Berggipfel wandern und den atemberaubenden Ausblick genießen.“ Und so weiter…

Selbstliebe führt also zu einem gesünderen Lebensstil – man ist dankbar für den eigenen Körper und will ihm Gutes tun. Es geht jedoch nicht um Sport und Diät, es geht um ganzheitliche Gesundheit, und das schließt geistige Gesundheit mit ein. (…) Man lebt gesünder, wenn man emotional, geistig und körperlich mit sich im Reinen ist.“

 

Im Kapitel über Bodyshaming geht es dagegen um böse Kommentare unter Facebookfotos, Instagrambildern oder YouTube-Videos nach dem Motto: „Fett ist gleich dumm, fett ist gleich Schlampe.“

In diesem Zusammenhang findet Nunu Kaller deutliche Worte: „Auf die Gefahr hin, dass ich mich jetzt spießig anhöre: Ich finde es schade, dass eine so wunderschöne und lebensverändernde Erfindung wie Social Media einhergeht mit einem unglaublichen Verlust an gegenseitigem Respekt. Worte sind Waffen, Worte tun weh. Wenn eine dicke Frau stolz ein Foto postet, das sie voller Lebensfreude zeigt, und darunter jemand `Du fette Sau´ schreiben muss, dann tut das weh. Und ist einfach nur unnötig.“

 

Superspannend finde ich die Kapitel, in denen die Autorin über diverse Selbstversuche berichtet. Dazu gehört zum Beispiel eine Zeit ohne Make-up, eine Phase ohne Spiegel, eine Zeit ohne Waage oder im Horror-Outfit (bauchfrei trotz „Wabbelbauch“) unterwegs.

 

Es folgt ein Plädoyer für mehr Differenziertheit im Umgang mit BMI und Gesundheit im Journalismus nach dem Motto: „Ihr dürft euch schön fühlen, wie ihr seid, aber ihr müsst etwas für eure Gesundheit tun, egal ob ihr dick oder dünn seid“ statt: „Ihr seid alle viel zu fett, das ist eine epidemische Gefahr“.

Und insgesamt für mehr Ausgewogenheit im Umgang mit dem Thema:“ Mich regt das auf. Frauen, die sich jahrelang sagen lassen mussten, dass nur schlank schön ist, stellen sich jetzt hin und behaupten schlicht und einfach mal frech das Gegenteil. Echt jetzt? Muss es gleich das Gegenteil sein? Das ist doch kindisch! Und es ist schade, dass es da schon wieder um Ausgrenzung geht. Es ist schade, dass Frauen immer wieder ihr Selbstbewusstsein darauf aufbauen, andere ´klein` zu reden. Es ist schade, dass sie nicht verstehen, dass es nicht nur die runderen Frauen sind, die unter dem medialen Bild von Schönheit leiden – es sind alle Frauen.“

 

Klare Aussagen gibt es auch zum Thema Diäten: „Seinen Körper verändern zu wollen, weil man ihn nicht mag, vielleicht sogar hasst, wird nie zum Erfolg führen. Seinen Körper zu mögen und deswegen gut zu behandeln, ihm die Dinge zu geben, die er braucht, wird zu dem Körper führen, der zu einem passt. Bei manchen ist das vielleicht viel weniger Gewicht, bei anderen nur ein bisschen, bei dritten vielleicht ein bisschen mehr oder sogar viel mehr. Und wieder hängt das persönliche Glück an einer einzigen Tatsache: Akzeptier dich selbst.“

 

Es folgen die zehn Prinzipien des Intuitiven Essens:

1) Pfeif auf die Diätmentalität.

2) Achte auf dein Hungergefühl.

3) Schließe Frieden mit deinem Essen.

4) Fordere die Essenspolizei heraus!

5) Respektiere dein Sättigungsgefühl.

6) Entdecke den Befriedigungsfaktor von Essen.

7) Entdecke andere Wege als Essen zur eigenen Belohnung oder zum Trost.

8) Respektiere deinen Körper.

9) Mach Sport und fühl den Unterschied.

10) Ehre deine Gesundheit.

 

Nunu Kaller resümiert. „Ich bin begeistert. Was für ein revolutionäres Konzept: Essen, wenn man Hunger hat, und zwar das, wonach dem eigenen Körper gelüstet.“

Und dann zitiert sie Freundinnen, denen das alles ziemlich egal ist: „Weißt du, für mich hat ein Körper zu funktionieren. Wenn ich Sport mache, werde ich fit, wenn ich viel esse, nehme ich zu, wenn ich weniger esse, nehme ich ab. Und attraktiv bin ich, wenn ich ganz ich selbst sein kann. Fertig.“

 

Im Kapitel „Wir haben die Wahl“ gibt es herrlich plakative Auflistungen zu den kontrastiven Themen:

  • Wir Frauen im Westen haben so verdammt viel erreicht und

  • Frauen begegnet immer noch auf vielen Ebenen Unterdrückung und Ungleichbehandlung.

 

Großartig finde ich die „Brandrede“ gegen Ende des Buches – in Auszügen:

Liebe Frauen,

die Gesellschaft ist manchmal richtig arschig zu uns. Sie erwartet von uns, dass wir einem ganz bestimmten Muster entsprechen. Das heißt jetzt nicht, dass wir Opfer sind, aber wir müssen uns jeden verdammten Tag Werbebildern aussetzen, in denen wir gefragt werden, ob wir ´beach body ready` sind. Im Fernsehen tanzen magersüchtig aussehende Engel auf Wolken herum und essen Brote mit so herrlich leichtem, sahnigem Doppelrahmkäse drauf (…). In Zeitschriften schauen uns nur noch per Photoshop veränderte Gesichter und Körper an (…).

Wenn euch dieser Druck zu viel wird, dann ist das nicht schlimm! (…)

Aber es ist noch viel besser, wenn ihr aktiv beschließt, etwas dagegen zu machen – optimalerweise, bevor ihr in eine Depression schlittert. (…)

Ich bin überzeugt davon: Oft ist es nicht der Körper, der repariert werden muss, es ist die Psyche. (…).“

 

Meine Meinung

Das Buch zeugt von ebenso viel Sachverstand wie Empathie wie provokativer Auseinandersetzung mit den Inhalten. Gut! Lesen!

Und zu Herzen nehmen, wenn Nunu Kaller schreibt: „Hinterfrage dein Tun. Bitte überlege, warum du dich schminken willst, warum du dich sexy anziehen willst oder warum du dich eventuell sogar unters Messer legen willst. Tust du es, weil die halbe Welt dir sagt, dass sich das so gehört? Tust du es, weil du dich sonst schämst? Wenn du es nur machst, weil du anderen gefallen willst, dann denk noch mal drüber nach. Wenn du es tust, weil du spürst, dass du dann mit dir selbst glücklicher bist, dass du dir selbst so besser gefällst, dann mach es. Sieh so aus, wie du willst, kleide dich und schmink dich, wie es dir, und zwar nur dir, gefällt.“

Der Wunsch nach makelloser Schönheit macht uns unglücklich. Aber wir können etwas dagegen tun. Was uns klar sein muss: Am Anfang des Weges zu mehr Selbstakzeptanz in jeglicher Form steht immer eine Entscheidung: die Entscheidung, dass es reicht. (…) Diese Entscheidung beinhaltet jedenfalls die Erkenntnis, dass der persönliche Erfolg, egal auf welcher Ebene, nicht von der Zahl auf der Waage oder der in der Kleidung abhängt.“

Gerne möchte ich mit dem Zitat von Coco Chanel enden, mit dem auch Nunu Kaller das letzte Buchkapitel beendet, bevor es noch eine Menge weiterführender Literaturtipps gibt:

 

Schönheit beginnt in dem Moment, in dem du beschließt, du selbst zu sein.

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Foto: Pixabay

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