Psychotherapie: MBCT

Heute stelle ich dir ein Buch vor, das zwei meiner Arbeitsbereiche ganz wunderbar verbindet: Achtsamkeit und Psychotherapie.

 

Mark Williams, John Teasdale, Zindel Segal & Jon Kabat-Zinn:

Der achtsame Weg durch die Depression

Freiamt 5. Auflage 2015

 

Die Autoren

Mark Williams ist Professor für Klinische Psychologie und leitender Forschungsbeauftragter an der Universität Oxford in Großbritannien. Seine Forschungen im Bereich der klinischen und der experimentellen Psychologie konzentrieren sich auf das Verständnis der psychologischen Prozesse, die Depressionen und Suizidverhalten zugrunde liegen sowie auf die Entwicklung neuer psychologischer Behandlungsmethoden.

John Teasdale hat als Forschungsbeauftragter zunächst im Fachbereich Psychiatrie der Universität Oxford und danach in Cambridge gearbeitet. Außerdem war er Gastprofessor an der Universität London. Dr. Teasdale war einer der Pioniere der kognitiven Therapieforschung in Großbritannien. In jüngerer Zeit haben die Erkenntnisse seiner früheren Forschungen in der Entwicklung und Evaluation einer achtsamkeitsbasierten kognitiven Therapie Verwendung gefunden.

Zindel Seagal ist Professor in den Fachbereichen Psychiatrie und Psychologie und hat einen Lehrstuhl für Psychotherapie an der Universität Toronto inne. Dr. Segals Forschungen haben dazu beigetragen, psychologische Marker für die Rückfallanfälligkeit bei affektiven Störungen zu beschreiben. Er setzt sich weiterhin für die Relevanz achtsamkeitsbasierter klinischer Betreuung in der Psychiatrie und im Bereich der psychischen Gesundheitsversorgung ein.

Jon Kabat-Zinn ist Wissenschaftler, Schriftsteller und Meditationslehrer. Er ist emeritierter Professor für Medizin an der Universität Massachusetts, wo er Mitbegründer und Geschäftsführer des Zentrums für Achtsamkeit in Medizin, Gesundheitswesen und Gesellschaft war sowie Begründer und früherer Leiter seiner weltbekannten Stressreduktionsklinik. Dr. Kabat-Zinns Arbeit hat zu einer wachsenden Achtsamkeits-Bewegung in etablierten Institutionen wie Schulen, Unternehmen, Gefängnissen und Profi-Sportmannschaften sowie in den Bereichen Medizin und Psychologie beigetragen. Er ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Mind and Life Institute, einer Gruppe, die Dialoge zwischen dem Dalai Lama und westlichen Wissenschaftlern organisiert, um ein tieferes Verständnis für unterschiedliche Wege zu fördern, das Wesen des Geistes, der Emotionen und der Realität zu erkennen und zu untersuchen.

 

Der Klappentext

Der achtsame Weg durch die Depression wurde für all jene geschrieben, die an Depression oder chronischer Unzufriedenheit leiden und auf der Suche nach einem Weg sind, ihr Leben zufriedener und ausgeglichener zu gestalten.

In diesem Grundlagenwerk entfalten drei der führenden Vertreter der Kognitiven Psychotherapie gemeinsam mit Jon Kabat-Zinn die praktischen und theoretischen Voraussetzungen der Achtsamkeitspraxis – am Beispiel der Begleitung von Menschen, die an Depression erkrankt sind. Dieser unter dem Titel `Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie` (MBCT) bekanntgewordene Ansatz wurde von Zinden Segal, Mark Williams und John Teasdale entwickelt, fußend auf der von Jon Kabat-Zinn ins Leben gerufenen `Stressbewältigung durch Achtsamkeit`.

Zwei Audio-CDs zur Begleitung der täglichen Praxis runden das praxisorientierte Angebot des Buches ab.

Auf der Suche nach wirkungsvollen komplementärmedizinischen Praxisfeldern begegnen Ärzte, Therapeuten und Patienten immer häufiger der Stressbewältigung durch Achtsamkeit. Der Einsatz der Achtsamkeitspraxis in der Begleitung und positiven Beeinflussung von Depressionen, kurz MBCT, verhilft derzeit der Achtsamkeitspraxis auch in der psychotherapeutischen Anwendung zum Durchbruch.“

 

Das Buch

Das Buch ist nach dem Vorwort und der Einleitung in vier Kapitel unterteilt:

  1. Körper, Geist und Emotionen

  2. Augenblick für Augenblick

  3. Niedergeschlagenheit und Unzufriedenheit transformieren

  4. Unser Leben zurückgewinnen

 

Wichtige Inhalte

 

Erstes Kapitel

In diesem Kapitel wird u.a. verdeutlicht, dass die Depression im Gehirn eine Verbindung zwischen einer traurigen Stimmung und negativen Gedanken erzeugt, so dass dann selbst die ganz normale Traurigkeit solch tief negative Gedanken erneut auslösen kann.

Der Körper spielt eine wichtige Rolle: „Es ist nicht nur so, dass negative Denkmuster unsere Stimmung und unseren Körper beeinträchtigen können. Auch die Rückantwort (das Feedback) des Körpers, das über eine Schleife zum Bewusstsein zurückgelangt, spielt eine entscheidende Rolle bei der beharrlichen Wiederkehr und Vertiefung von Zuständen der Unzufriedenheit und Niedergeschlagenheit.“

Es findet sich eine Übersicht automatisch auftretender Gedanken von Menschen, die an Depressionen leiden, zum Beispiel:

Ich habe das Gefühl, dass ich gegen die ganze Welt ankämpfen muss.

Keiner versteht mich.

Ich halte das nicht mehr aus.

Was stimmt mit mir nicht?

Mein Leben ist ein einziges Chaos.

Die graphische Darstellung des „Erschöpfungstrichters“ mit den Phänomenen deprimierte Stimmung, Energiemangel, Schuldgefühle, Schlafprobleme, Schmerzen, Freudlosigkeit und Erschöpfung verdeutlicht, „warum das Elend nicht aufhört.“

Dagegen ist die Kraft des Gewahrseins heilsam, weil wir dadurch wahrnehmen und durchschauen, was eigentlich geschieht, nämlich: „(…) in Wahrheit ist ein mentales Muster am Werk; eine Geisteshaltung, die durch unangenehme Emotionen so automatisch ausgelöst wird“, dass das Wahrnehmen eben nicht geschieht. Depressionen überdauern die Situationen, die sie ausgelöst haben, weil wir emotionale Reaktionen auf unsere eigenen Emotionen zeigen. Ein sehr komplexer Prozess also.

Das Problem liegt nicht in der Traurigkeit an sich, sondern in dem, wie unser Verstand auf die Traurigkeit reagiert.“ Wir können „unangenehme, beklemmende und bedrohliche Gedanken und Gefühle nicht zum Verschwinden bringen, indem wir gegen diese ankämpfen oder versuchen, sie auszumerzen.“ Der Verstand kesselt sich dabei selbst ein und wir blockieren uns damit. Wenn wir mit Aversion auf unsere negativen Emotionen reagieren und sie wie Feinde behandeln, bekommen wir Probleme. „weil die Traurigkeit, die wir jetzt empfinden, alte und ganz und gar unnütze Denkmuster aus der Vergangenheit auslöst.“ Was diese Muster so schädlich machen kann ist die Tatsache, dass wir oft gar nicht realisieren, dass es sich um bloße Erinnerungen handelt. Wenn diese dann die Vorherrschaft über unser Denken übernehmen, ist es schwer, die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten.

Wir können aber lernen, anders mit unserer Traurigkeit umzugehen und aus dem Tun-Modus aussteigen. Weil sich hierbei nämlich „das kritische Denken für eine Aufgabe meldet, die es nicht bewältigen kann.“ Wir können unsere Emotionen nicht lösen wie andere Probleme. Die Alternative zum Grübeln ist der Seins-Modus. Hierbei geht es nicht um unterscheidendes Denken, sondern um das Gewahrsein, das unmittelbare Erfahren der Dinge über unsere Sinne. Es geht um das Leben im Hier und Jetzt, im gegenwärtigen Moment und das Ausschalten des Autopiloten in unserem Kopf. Und damit aufzuhören, das Leben in eine bestimmte Richtung zwingen zu wollen, wenn wir uns im Moment nicht wohl fühlen. „Wir werden erkennen, dass das Grübeln dort anfängt, wo wir die Dinge anders haben wollen, als sie hier und jetzt sind.“

Die Autoren definieren Achtsamkeit als „das Gewahrsein, das entsteht, wenn man im gegenwärtigen Augenblick mit Absicht die Dinge bewusst wahrnimmt, so wie sie sind, ohne zu urteilen.“

 

Zweites Kapitel

Das zweite Kapitel enthält neben den klassischen Übungen der Achtsamkeitspraxis wie der Achtsamkeit des Atmens, dem achtsamen Gehen und der Body-Scan-Meditation jede Menge interessanter Überlegungen:

Achtsamkeit heißt nicht, etwas noch mehr zu beachten, sondern es anders und klüger zu beachten – mit ganzem Geist und ganzem Herzen, mit allen Mitteln unseres Körpers und unserer Sinne.“

Die berühmte Übung des achtsamen Betrachtens und Essens einer Rosine zeigt, „wie viel wir verpassen, wenn wir uns von den reichhaltigen Sinneseindrücken einer Erfahrung abschneiden.“

Wenn wir in diesem Augenblick leben und unsere Gedanken und Gefühle (…) als vorübergehende Botschaften betrachten, können sie die Signale, die uns unsere Sinne liefern, nicht mehr so leicht übertönen – die Signale, die uns vor dem Irrweg des Grübelns bewahren können.“

Selbst ein kleines bisschen Achtsamkeit, das in einen einzelnen Augenblick hineingebracht wird, kann die Kette der Abläufe aufbrechen, die zu chronischer Niedergeschlagenheit führen.“

Dabei ist der Atem das Tor zum Gewahrsein und kann den Geist zur Ruhe bringen.

Die Achtsamkeitsmeditation ermöglicht es uns, kreativ auf den gegenwärtigen Augenblick einzugehen, und befreit uns von den unwillkürlichen Reaktionen, die den Kreislauf des Grübelns in Gang setzen.“

Das unmittelbare Spüren unseres Körpers lässt die Botschaften des Körpers für uns lauter werden und das Geplapper unseres Geistes leiser.“

Wenn wir aufhören, angenehme Gefühle erzwingen zu wollen, haben diese mehr Freiheit, von selbst aufzukommen. Wenn wir aufhören, uns unangenehmen Gefühlen widersetzen zu wollen, stellen wir vielleicht fest, dass diese von selbst weggehen. Wenn wir aufhören, irgendetwas geschehen machen zu wollen, eröffnet sich uns vielleicht eine ganze Welt voller frischer, unerwarteter Erfahrungen.“

 

Drittes Kapitel

Die erste Überschrift dieses Kapitels ist Programm: „Wieder in Kontakt mit unseren Gefühlen kommen – mit denen, die wir mögen, mit denen, die wir nicht mögen, und mit denen, von denen wir nicht wissen, dass wir sie haben.“

Jeder von uns besitzt einen inneren Erfahrungsmonitor, der registriert, ob etwas angenehm, unangenehm oder neutral ist. Dieser Monitor kann als eine Art Frühwarnsystem dienen. Wenn wir lernen, dieses System zu lesen, können wir uns von unwillkürlichen Aversionsreaktionen und dadurch vom Grübeln befreien.“

Wohlwollen und eine herzliche Neugier unseren Gefühlen gegenüber bringen uns mit der vollen Erfahrung eines jeden Augenblicks unseres Lebens mehr in Verbindung.“

Dabei hilft die Praxis des achtsamen Yoga, das auf eine Verfeinerung der Körperwahrnehmung abzielt. Auch die Sitzmeditation wird vorgestellt. Spannend ist auch die Methode von Trish Bartley, wie man die Bewusstheit von Gefühlen in den Alltag hineinbringen kann, das „Körperbarometer“. Die Übung der Achtsamkeit auf das Hören und Denken ist eine Hilfe, wie wir unsere Gedanken hören können. Die vorgestellte Praxis des offenen Gewahrseins lädt dazu ein, vollkommen offen und empfänglich für alles zu sein, was sich zeigt.

Intellektualisieren und Analysieren funktioniert nicht, wenn eine depressive Stimmung ausgelöst wurde. Eine klügere Strategie ist es, sich zu vergegenwärtigen, dass Gedanken ´nichts als Gedanken´ sind.“

Das Kapitel endet mit Übungen zur Achtsamkeit im Alltag wie dem dreiminütigen Atemraum und entsprechenden Anwendungshinweisen.

Hilfreiche Fragen sind in diesem Kontext zum Beispiel:

  • Wie kann ich hier und jetzt gut zu mir sein?“

  • Was ist das beste Geschenk, das ich mir selbst in diesem Augenblick machen kann?“

  • Ich weiß nicht, wie lange diese Stimmung anhalten wird – wie kann ich also am besten für mich sorgen, bis sie vorübergeht?“

  • Was würde ich in diesem Moment für jemanden tun, der mir nahe steht und sich so fühlt wie ich gerade? Was kann ich auf die gleiche Weise für mich selbst tun?“

 

Viertes Kapitel

Das letzte Kapitel enthält fünf Schritte, um während des Tages Achtsamkeit zu praktizieren:

1. Tue, wenn möglich, immer nur eins nach dem anderen.

2. Zolle dem, was du tust, volle Aufmerksamkeit.

3. Wenn der Geist von dem abschweift, was du gerade tust, hole ihn zurück.

4. Wiederhole Schritt Nr. 3 einige Milliarden Mal. 😉

5. Untersuche das, was dich ablenkt.

In einem Kasten folgen weitere Punkte, wie du Achtsamkeit im Alltag praktizieren kannst, z.B., die Position deines Körpers wahrnehmen oder dir abends vor dem Schlafengehen einige Minuten Zeit nehmen, um die Aufmerksamkeit mindestens fünf volle Atemzüge auf deinen Atem zu richten.

Wenn wir Glück als Ziel loslassen, ist der Weg dafür bereitet, dass das Glück von selbst erscheinen kann.“

Es folgt das komplette Achtsamkeitsprogramm in detaillierter Beschreibung und als tabellarische Übersicht.

 

Die CDs

Zwei beiliegende Audio-CDs ergänzen das Buch. Auf der ersten CD findet sich die Übung des Body Scan – nach einigen Leitgedanken und einer Einführung.

Auf der zweiten CD befinden sich 5 Übungen:

1. Achtsamkeitsyoga im Stehen, 2. Achtsamkeit auf den Atem, 3. Achtsamkeit auf den Atem und den Körper, 4. Achtsamkeit auf Geräusche und Gedanken und 5. dreiminütiger Atemraum.

Die Übungen werden wunderbar ruhig und konzentriert von Heike Born gesprochen. Sie arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis in Wiesbaden und lehrt an verschiedenen universitären und privaten Ausbildungsinstituten für Psychotherapie, u.a. auch achtsamkeitsbasierte Methoden in der Depressions- und Angstbehandlung.

 

Meine Meinung

Das Buch ist übersichtlich gestaltet und enthält viele kleine, grau unterlegte Kästen am Rand, die zentrale Gedanken wiedergeben. Auch die praktischen Übungen sind grau unterlegt in Kästen gedruckt und können so schnell wiedergefunden werden. Ebenso anschaulich sind Auflistungen verschiedener Inhalte sowie schöne poetische Texte.

Fallgeschichten veranschaulichen die beschriebenen Prozesse und schaffen eine Balance zwischen Theorie und Praxis.

Doch sind nicht nur der Aufbau und die Gestaltung des Buches übersichtlich und hilfreich gestaltet. Vielmehr ist der Ansatz des Buches in der Tat praxisorientiert. Dies ist vor allem an den Übersichten im letzten Kapitel zu sehen. Darin wird zum einen die Praxis für das achtwöchige Achtsamkeitsprogramm auf einen Blick mit den jeweiligen Schwerpunktübungen dargestellt. Diese werden durch die dazugehörigen Tracks auf den CDs ergänzt. Zum anderen gibt es Arbeitsblätter für die im Programm enthaltenen Übungen „Kalender für angenehme/unangenehme Ereignisse“. Vorangestellt sind gut 10 Seiten mit allgemeinen Erläuterungen zu dem Programm und detaillierten Ausführungen zu den Übungen jeder Woche.

Theoretisch kannst du also mit dem Buch und den CDs alleine das 8-Wochen-MBCT-Programm durchlaufen. Dennoch gibt es zwei Einschränkungen:

1.

Im Buch selbst ist folgende Warnung fettgedruckt: „Wie wir bereits zu Beginn des Buches angemerkt haben, raten wir Ihnen, wenn Sie gegenwärtig an einer Episode klinischer Depression leiden (siehe Kapitel 1), zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit diesem Programm in seiner Gesamtheit zu beginnen. Wir schlagen Ihnen vor, damit zu warten, bis das schlimmste vorüber ist und Sie sich wieder besser fühlen.“

2.

Es ist anzuzweifeln, dass die meisten Menschen die nötige Motivation und Selbstdisziplin aufbringen, um solch ein kompaktes Programm zwei Monate lang eigenständig durchführen. Daher sehe ich das Buch eher als anschauliche Einführung in den Ansatz und als Appetizer und würde eher dazu raten, das Programm in einer speziellen Gruppe unter fachkundiger Anleitung durchzuführen.

Falls ich dir allerdings mit dieser Vermutung Unrecht tue und du das komplette Programm alleine durchgezogen hast, melde dich bitte bei mir und berichte von deinen Erfahrungen! Die interessieren mich nämlich brennend – und viele andere sicherlich auch!

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Foto: Pixabay

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