Psychotherapie: Suizidalität und Freunde

Neulich konntest du in einem Blog lesen, wie Depression und Suizid zusammen hängen. Darin gab es Hinweise für Menschen, die sich mit Suizidgedanken tragen – mit möglichen Maßnahmen, um das Suizidrisiko zu verringern, Hinweise für das Stärken von Schutzfaktoren und den Entwurf eines Notfallplanes sowie Hilfen zur Kommunikation einer Hilfsbedürftigkeit.

Dieser Blog richtet sich nun an Freunde und Angehörige von Menschen, die depressiv sind und mit Suizidgedanken ringen.

Offen über das Thema Suizid zu sprechen, ist eine heikle und möglicherweise beängstigende Sache. Leider ist der Suizid eine sehr reale Gefahr, wenn bei jemandem eine Depression diagnostiziert wurde. Deshalb ist es wichtig, sich damit zu beschäftigen, welche Risikofaktoren es gibt, welche Warnsignale es gibt und wie du am besten deine Unterstützung anbieten kannst.

 

Falsche Vorstellungen

Zu den falschen Vorstellungen von Suizidalität, die am meisten Schaden anrichten, zählt die Befürchtung, dass die Gefahr steige, wenn man eine Person nach ihren Suizidgedanken frage. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt. Wenn du sie ganz direkt fragst, zeigst du ihr damit, dass du sie ernst nimmst und sie dir wichtig ist. Denn sonst würdest du diese Frage nicht stellen. Sie kommt durch dein Fragen keineswegs auf Ideen, die sie nicht ohnehin schon hatte. Und höchstwahrscheinlich ist sie erleichtert, dass jemand sie ernst genug nimmt, um ihr die unangenehme Frage zuzumuten. Wenn du dir Sorgen machst, solltest du immer nachfragen. Du machst die Situation dadurch nicht schlimmer, sondern hilfst möglicherweise, das Leben eines Menschen zu retten, an dem dir viel liegt!

 

Risikofaktoren und Warnsignale

Wenn du mit einer Person sprichst, die depressiv ist und sich mit Suizidgedanken trägt, solltest du eine Vorstellung davon haben, welche Risikofaktoren und welche Warnsignale es gibt.

 

Risikofaktoren sind Bedingungen, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass jemand sich irgendwann das Leben nimmt.

Die folgenden langfristig wirksamen Risikofaktoren sind nicht so sehr als Ursachen eines Suizids zu verstehen, sondern als Einflüsse, die die Schwelle senken.

  • Depression und andere psychische Erkrankungen

  • Zugang zu möglichen Instrumenten der Selbsttötung

  • frühere Suizidversuche – die meisten Menschen, die durch Suizid sterben, haben zuvor schon mindestens einen Versuch unternommen

  • Vereinsamung

  • mitbekommen, dass andere sich das Leben genommen oder es versucht haben

  • Gefängnisaufenthalt, auch wenn er nur kurz war.

 

Warnsignale weisen darauf hin, dass jemand akut suizidgefährdet ist.

Welche akuten Warnsignale können einen Suizid ankündigen?

Wenn dir einer der genannten Punkte auffällt, solltest du das zum Anlass nehmen, die Person sofort zu fragen, ob sie an Suizid denke:

  • Die Person spricht die Themen Tod, Sterben oder Suizid an, und sei es auch indirekt.

  • Sie schreibt einen Abschiedsbrief, trennt sich von Besitztümern oder aktualisiert ohne offenkundigen Anlass ihr Testament.

  • Ihre Stimmung verbessert sich dramatisch, nachdem sie zuvor depressiv war. Dass dies ein Warnzeichen sein soll, mag zunächst widersinnig erscheinen. Bei Depression stellt sich eine Besserung aber normalerweise allmählich ein. Hellt sich die Stimmung sehr schnell auf, kann dies daher kommen, dass die Person beschlossen hat, sich umzubringen und deshalb jetzt Erleichterung verspürt.

  • Alkohol- oder Drogenkonsum ist ein Alarmzeichen, weil er in impulsives Handeln münden kann.

  • Im üblichen Verhalten der Person tritt eine plötzliche, markante Veränderung ein. Anlass zur Sorge besteht zum Beispiel, wenn sie bei der Arbeit oder in der Schule mit einem Mal nicht mehr zurechtkommt oder wenn bei der Körperpflege oder im äußeren Erscheinungsbild plötzlich etwas auffällig anders ist.

  • Die Person hat vor kurzem einen Verlust erlebt, beispielsweise eine Trennung, den Tod eines Freundes, eines Angehörigen oder eines Haustiers oder den Verlust des Arbeitsplatzes.

 

Was du tun kannst

Wenn du einem Freund, der suizidal ist, helfen möchtest, musst du dir über deine Rolle und deren Begrenzungen im Klaren sein. Deine Aufgabe ist nicht, die suizidale Person zu therapieren, sondern sie zu unterstützen und ihr Mut zu machen. Du kannst keine Lösung herbeizaubern, aber du kannst der Person helfen, das Suizidrisiko einzudämmen. Einige Dinge, die du tun kannst:

  • Scheue dich nicht, die Person direkt auf das Thema Suizid anzusprechen. Versuche einfach, aufrichtig und direkt zu sein, z.B.: „Ich mache mir wirklich Sorgen, wenn ich dich so reden höre. Ich frage mich, ob es dir mittlerweile so schlecht geht, dass du daran denkst, deinem Leben ein Ende zu setzen. Ist das denn so?“

  • Frage nach, wie ausgeprägt und bedrängend die Suizidgedanken sind. Je intensiver und bedrängender die Gedanken, desto ernster ist die Situation und desto schneller solltest du den Rettungsdienst rufen oder dafür sorgen, dass die Person in eine Klinik kommt. Falls die Situation weniger gravierend ist (die Person sagt, dass sie derzeit nicht an Suizid denkt oder nicht vorhat, vorhandene suizidale Gedanken in die Tat umzusetzen und macht glaubhaft, dass sie aktiv versucht, die Gedanken unter Kontrolle zu halten) hast du mehr Zeit und es stehen mehr Optionen offen. Zum Beispiel könntest du die Person fragen, ob es in Ordnung sei, wenn du dich an ihren Arzt, Psychiater oder Therapeuten wendest.

  • Es ist äußerst hilfreich, einfach für die Person in einer offenen, zugewandten und nicht wertenden Haltung da zu sein. Dies kann das Suizidrisiko deutlich verringern. Höre dir aufmerksam an, was die Person zu sagen hat, selbst wenn du die Dinge anders siehst. Sei einfach du selbst und bringe zum Ausdruck, dass dir viel an ihrem Wohlergehen und ihrer Sicherheit liegt.

  • Versuche, Zuversicht und Optimismus auszustrahlen, ohne dabei den Bezug zur Realität zu verlieren. Unterlasse vage Beteuerungen, dass alles wieder gut werde. Hebe statt dessen hervor, dass es der suizidalen Person jetzt so gehe, weil sie unter einer Depression leide, und dass diese Erkrankung behandelbar sei. Unterstütze sie dabei, aktiv an der Behandlung und an ihrer Genesung mitzuwirken.

  • Versuche, beruhigend auf die suizidale Person einzuwirken. Das Suizidrisiko ist höher, wenn jemand unruhig und ängstlich ist, weil er dann eher zu impulsivem Handeln neigt, um sich von seinen Qualen zu befreien. Schlage der Person zum Beispiel vor, zusammen einen Spaziergang zu einem ruhigen Ort zu machen, wo ihr in entspannter Atmosphäre reden könnt. Du kannst ihr auch vorschlagen, gemeinsam etwas zu unternehmen, damit sie sich eine Weile von ihren Qualen ablenken kann. Dabei sollten natürlich weder Alkohol noch Drogen im Spiel sein. Um Angst und innere Unruhe vorübergehend zu lindern, kann Ablenkung durchaus eine geeignete Strategie sein.

  • Versuche nicht, das Problem für die Person zu lösen. Die beste Unterstützung leistest du, indem du zugewandt und einfühlsam zuhörst. Hilf ihr, sich Strategien zu überlegen, mit denen sie die innere Not für den Moment ein wenig lindern, ihr Leben möglichst aktiv gestalten und bei ihrer Behandlung aktiv mitarbeiten kann.

  • Bleib am Ball! Jemanden zu stützen, der sich mit suizidalen Gedanken trägt, ist eine längerfristige Aufgabe. Hake, nachdem die akute Krise vorüber ist, von Zeit zu Zeit nach, um dich zu vergewissern, dass sie die kontinuierliche Hilfe und Behandlung bekommt, die sie braucht. Lasse dich allerdings nicht zum „Überbehüten“ verleiten. Wenn du dir so große Sorgen machst, dass du meinst, du müsstest jemanden ständig im Auge behalten, ist deine Besorgnis entweder übertrieben oder er braucht eine intensivere Betreuung als die derzeitige. Prüfe im Gespräch mit der depressiven Person, ob deine Besorgnis berechtigt ist und kläre mit ihr, ob es sinnvoll wäre, dass du mit dem Arzt oder Therapeuten über eine engmaschigere Betreuung sprichst.

  • Verliere nicht das eigene Wohlergehen aus dem Blick. Sich um jemanden zu kümmern, der suizidal ist, kann mühselig sein und an die Substanz gehen. Achte darauf, dass du ausreichend Rückhalt in deinem Umfeld und Möglichkeiten zur Entspannung hast und dass deine eigenen Bedürfnisse nicht zu kurz kommen. Wenn du das Gefühl hast, dass dir die Rolle im Leben der depressiven Person zu viel abverlangt, solltest du dich mit ihr darauf verständigen, dass du in ihrem Notfallplan eine weniger zentrale Rolle einnimmst. Vielleicht ist ihr gar nicht bewusst, dass ihre Erwartungen an dich zu hoch sind.

 

Was du besser lassen solltest

Als Freund oder Helfer einer Person, die gegen Suizidgedanken ankämpft, solltest du manche Dinge besser unterlassen, die die Situation verschlimmern können:

  • Wenn die Person von Suizid redet, solltest du auf keine Fall darüber hinweggehen oder das Gesagte kleinreden. Nimm solche Hinweise immer ernst. Die meisten Menschen, die sich das Leben zu nehmen versuchen, haben das zuvor angekündigt.

  • Tue Äußerungen über Suizidgedanken auch nicht als „Betteln um Aufmerksamkeit“ ab. Suizidale Krisen erfordern tatsächlich Aufmerksamkeit und das Übersehen von Warnsignalen kann fatale Folgen haben.

  • Vermeide andererseits auch Überreaktionen. Wenn dir jemand von vagen Gedanken ans Sterben erzählt, aber keine Intention zur Umsetzung erkennbar ist, kann es ein Fehler sein, wenn du sogleich den Rettungsdienst rufst. Ziehe zunächst andere Schritte in Betracht, etwa – nach Absprache – seinen Therapeuten von der Situation zu unterrichten.

  • Versuche nicht, die Person mit der provokanten Aufforderung aus der Reserve zu locken, dann solle sie sich eben umbringen, wenn sie das unbedingt wolle. Das ist niemals hilfreich.

  • Rede nicht belehrend auf die Person ein und mache ihr kein schlechtes Gewissen. Was sie jetzt braucht, ist ein aufmerksamer Zuhörer und nicht jemanden, der sie kritisiert, sie verurteilt oder ihr Vorträge darüber hält, warum das Leben lebenswert ist. Deine Rolle besteht darin, die suizidale Person zu unterstützen und darauf zu achten, dass sie verfügbare Hilfsangebote auch nutzt.

  • Verpflichte dich nicht zur Verschwiegenheit. Wenn jemand akut suizidgefährdet ist, bleibt dir unter Umständen nichts anderes übrig, als jemand anderen hinzuzuziehen.

  • In dem seltenen Fall, dass jemand droht, er werde sich sofort umbringen, wenn du nicht etwas Bestimmtes tust oder nicht tust, kann von dir nicht erwartet werden, dass du die Situation allein bewältigst. Lass dich nicht erpressen oder manipulieren. Anstatt dich tiefer in die Situation hineinziehen zu lassen, sage besser etwas wie: „Es tut mir leid, aber ich weiß nicht, wie ich dich unterstützen soll, wenn ich mit einer solchen Drohung konfrontiert bin. Ich muss mit jemandem reden, was ich jetzt tun soll.“ An diesem Punkt solltest du dich an jemanden wenden, der sich mit derartigen Situationen besser auskennt und entweder den Therapeuten, Arzt oder Psychiater der Person anrufen oder die Notfallnummer 112 wählen.

Zusammenfassend lässt sich sagen:

Wenn du dich um einen Freund oder einen geliebten Menschen kümmerst, der suizidal ist, gibt es viele Möglichkeiten, ihn zu unterstützen, ohne dir mehr Verantwortung aufzubürden, als das für dich oder für ihn selbst gut wäre. Wichtig ist, dass ihr im Gespräch bleibt und offen darüber redet, was er braucht und wie du ihm helfen kannst.

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* gekürzt und leicht geändert aus Lee H. Coleman: Depression. Ein Wegweiser für Betroffene. Paderborn 2014

Foto: Pixabay

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