Psychotherapie – Resilienztraining: Krafträuber Kränkungen

In ihrem Buch zum Resilienztraining*, das ich hier schon vorgestellt habe, schreibt Claudia Croos-Müller ein wichtiges Kapitel zum „Krafträuber Kränkungen“.

 

Reaktionsweisen

Gegen Kränkungen ist der Lotus-Abperleffekt der Resilienz besonders wichtig. Denn sie kommen in unserem Alltag immer wieder vor und kosten uns viel Kraft. Kränkungen laufen oft sehr subtil ab, wir bemerken sie nicht immer bewusst, fühlen uns am Ende des Tages aber ärgerlich, ausgelaugt, erschöpft – kraftlos. Kränkungen verursachen in uns negative Gefühle und diese führen bekanntermaßen zur Ausschüttung von Stresshormonen, die sich auf unsere Gesundheit im Laufe eines Lebens unter Umständen vernichtend auswirken.

Eine Kränkung ist ein Angriff auf das körperlich-seelische Wohlbefinden. Es ist die Verletzung eines Menschen in seiner Ehre, in seinen Gefühlen und in seiner Selbstachtung. Eine Kränkung nagt an unseren Lebensnotwendigkeiten, die da heißen Geborgenheit und Sicherheit, Vertrauen und Zuverlässigkeit, Liebe, Friede und Harmonie.

Kränkungen werden im Gehirn abgespeichert und dann zu Gefühlen und Reaktionen weiterverarbeitet.“ Je nachdem, welcher Reaktionstyp du bist, reagierst du auf eine Kränkung vielleicht mit einem Angriff nach dem Motto: „Angriff ist die beste Verteidigung“. Das bedeutet aber einen großen Energieaufwand und eine maximale Ausschüttung des Stresshormons Cortisol. Vielleicht bist du eher die Type, die flüchtet und ihr Heil im Rückzug in dein Inneres sucht: Du grämst dich, bist voller Groll und Trauer und heulst. Auch das bedeutet die Produktion von Stresshormonen und schwächt insgesamt deine Kraft. „Eine verzweifelte Flucht ist dabei nicht zu verwechseln mit kluger Resignation. Im schlimmsten Fall führt Kränkung zu einem Zustand der Erstarrung (…). Hier ist nicht einmal mehr eine Abreaktion möglich und entsprechend sind Stress und Kräfteverlust am größten.“

 

In Abstufungen kränkend

Die kleinen Kränkungen des Alltags hängen mit unserem Selbstwertgefühl zusammen. Je schlechter ausgeprägt es ist, desto mehr können auch kleine Kränkungen ihre Wirkung entfalten. Menschen mit einer sogenannten narzisstischen Störung oder ängstlich-depressive Menschen fühlen sich schnell wegen einer Unachtsamkeit beleidigt, wegen einer Unhöflichkeit, eines unwirschen Wortes oder ´des bösen Blicks` des Nachbarn. Sie sind empört oder am Boden zerstört wegen dem Autofahrer, der ihnen die Vorfahrt nimmt oder eine Parklücke vor der Nase wegschnappt, oder wegen der schnippischen Antwort der Kinder. Kleine Kränkung, kurze Stressreaktion – und trotzdem eine Anstrengung für die Neuronen und ein zusätzlicher Energieverbrauch.“

Mit Kränkungen, die Croos-Müller als „Risikokränkungen“ bezeichnet, verhält es sich schon etwas anders: „Hier brauchen wir nicht nur Selbstbewusstsein, sondern auch den Lotuseffekt. Destruktive Kritik oder ein schlechtes Zeugnis, eine abgelehnte Bewerbung oder eine spöttische Bemerkung vor vielen Zuhörern: Solche Erlebnisse werden vom Gehirn und den emotionalen Zentren nicht nur kurz registriert, sondern führen zu wesentlich komplexeren Verschaltungen und Reaktionen. Spätestens hier beginnt der Kampf/Flucht- oder der Erstarrungsmodus mit mehr oder weniger ausgeprägten emotionalen, hormonelle und körperlichen Begleiterscheinungen. Dauer und Nachwirkungen ungewiss – abhängig vom psychomentalen Gesamtzustand und der Resilienz.

Dann gibt es noch die ´elementaren Kränkungen`, zu denen schicksalhafte und traumatische Erlebnisse gehören. Kriegerische Handlungen mit Vertreibung und Flucht, Verlust der Heimat und der eigenen Identitätswurzeln, Betrug, Verrat und Untreue, Verlust des Arbeitsplatzes und Armut, Mobbing und Verleumdung, Rufmord mit Verlust von Vertrauen, Ansehen und Würde. Die schwersten elementaren Kränkungen – oder in diesem Fall besser Verletzungen – sind körperliche Gewalt und körperliche Beschädigung wie Gefangenschaft und Folter oder sexueller Missbrauch. Sie führen je nach Schwere und Dauer sogar zu einer Beschädigung der Gehirnmasse selbst: In der Kernspintomographie können strukturelle Beschädigung von Neuronen im Gehirn sichtbar gemacht werden.

Wohl dem, der – wodurch auch immer – mit einer hohen Resilienz ausgestattet ist: Diese Menschen können auch schwere Traumatisierungen überwinden und sind zu einem Neubeginn fähig. Weniger resiliente oder nicht resiliente Menschen können durch Kränkungen – auch die der weniger heftigen Art – viele Formen psychischer oder körperlicher Erkrankungen entwickeln.“

 

Zurückschlagen lohnt nicht

Was wir oft nicht bedenken: Wir sind nicht nur arme Opfer, wir sind häufig auch Täter. Es gibt interessante Untersuchungen zu Kränkungen. In Kolonien von Seemöwen wurde beispielsweise beobachtet, dass Küken, die von vagabundierenden erwachsenen Seemöwen angegriffen und verletzt wurden, als erwachsene Vögel ebenfalls zu dieser Art von Angriff und Verletzung anderer Jungvögel neigten. So ist das auch beim Menschen: Wer gehäuft Kränkungen erfahren hat, scheint besondere Fähigkeiten zu entwickeln, um andere – bewusst oder unbewusst – später ebenfalls zu kränken und zu verletzen. Oder, und das ist noch viel hinterhältiger: andere Menschen zwar zu verschonen, diese Kränkungen aber gegen sich selbst anzuwenden. (…).

Und schlimmer noch: Wie oft schreien wir zurück, strafen einen ´Übeltäter` mit kalter Verachtung oder zeigen jemandem den Stinkefinger (oder stellen es uns zumindest genussvoll vor). Dadurch werden wir zu Kränkungstätern. Darüber hinaus produzieren wir jede Menge Stresshormone, beim anderen, aber auch (und manchmal nur) bei uns selbst.“

Zum Schluss des Kapitels führt die Autorin verschiedene Übungen ihrer Body2Brain-Methode mit dem Ziel eines Abperleffekts gegen Kränkungen vor, zum Beispiel:

 

Schulterwurf: rechts und links im Wechsel die Arme schwungvoll im Bogen über die Schultern bewegen, so als wollten Sie etwas hinter sich werfen (EMDR-Effekt).

 

Einfach, aber wirksam: Durch diese Übung sind Großhirn (Bewegung) und Kleinhirn (Koordination) beschäftigt, die Bewegung selbst bringt ein bisschen Heiterkeit und entspannte Gelassenheit in den emotionalen Bereichen.“

_________________________________________________________________________________________

Dr. med. Claudia Croos-Müller: Kraft. Der neue Weg zu innerer Stärke. Ein Resilienztraining. München 2015

Foto: Pixabay

Schreibe einen Kommentar

*

Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen