Meditation: Die innere Ruhe kann mich mal

Ach, es gibt so unendlich viele gute Bücher auf dem Markt! Dieses hier habe ich per Überraschungspäckchen geschenkt bekommen!

 

Fabrice Midal:

Die innere Ruhe kann mich mal. Meditation radikal anders

München 2017

 

Der Autor

Fabrice Midal, Jahrgang 1967, ist Philosoph und Gründer der École occidentale de méditation (Westliche Meditationsschule) und lebt in Paris. Er ist Autor mehrerer in Frankreich sehr bekannter Bücher zu den Themen Meditation, Philosophie, Buddhismus und Spiritualität.

 

Klappentext

Was erreichen wir, wenn wir versuchen, ´korrekt` zu meditieren? Wenn wir die unbequeme Sitzposition einnehmen, unsere Atemzüge zählen und uns zwingen, Gedanken auszublenden? Wohl nicht das gewünschte Ergebnis. Fabrice Midal regt an, bei der Meditation jeglichen Anspruch an sich selbst aufzugeben. Mehr noch: Er zeigt die generellen Vorzüge einer Lebenshaltung, die sich starren Regeln, von außen auferlegten Forderungen und Zwängen widersetzt. ´Die innere Ruhe kann mich mal` ist ein Lebensratgeber, der auf traditionellen buddhistischen Prinzipien fußt.“

 

Wirklich meditiert man nur dann, wenn man nichts erwartet. Wenn man sich freimacht von dem Diktat, etwas erreichen zu müssen.“ (Fabrice Midal)

 

Meditation gilt als der Königsweg, um inneren Frieden zu finden. Doch was passiert, wenn wir uns dabei bemühen, bestimmte Vorgaben zu erfüllen? Starre Meditationsregeln und der Irrglaube, sie strikt befolgen zu müssen, führen häufig zu Frustration und dem Gefühl, nicht zu genügen. Wir denken, dass wir weder unseren eigenen noch fremden Ansprüchen gerecht werden können. Das macht uns unfrei. Und vor allem: Es versperrt uns den Weg zu unserem Ziel. Fabrice Midals `Die innere Ruhe kann mich mal` ist ein `fröhlicher Appell, uns wieder auf unsere innere Freiheit zu besinnen` (Elle).“

 

Ein unglaublich befreiendes Buch“ (Psychologies Magazine).

 

Buch

Das Buch besteht aus 15 Kapiteln mit aussagekräftigen Überschriften wie:

1. Hören Sie auf zu meditieren – Tun Sie nichts

2. Hören Sie auf zu gehorchen – Sie sind doch intelligent

3. Hören Sie auf, weise zu sein – Zeigen Sie lieber ein wenig Begeisterung

4. Hören Sie auf, ruhig zu werden – Genießen Sie lieber Ihren Seelenfrieden

5. Hören Sie auf, sich an die Kandare zu nehmen – Wagen Sie das Begehren

6. Hören Sie auf, passiv zu sein – Lernen Sie zu warten

7. Hören Sie auf, ein Bewusstsein zu entwickeln – Bleiben Sie lieber präsent

8. Hören Sie auf, perfekt sein zu wollen – Akzeptieren Sie Ihre Tiefs

9. Hören Sie auf, alles verstehen zu wollen – Entdecken Sie die Macht der Unwissenheit

10. Hören Sie auf zu rationalisieren – Lassen Sie los

11. Hören Sie auf, sich zu vergleichen – Seien Sie einfach Sie selbst

12. Hören Sie auf, sich zu schämen – Zeigen Sie sich verwundbar

13. Hören Sie auf, sich zu quälen – Werden Sie Ihr bester Freund

14. Hören Sie auf, lieben zu wollen – Zeigen Sie Wohlwollen

15. Hören Sie auf, Ihren Kindern Disziplin beibringen zu wollen – Meditation ist kein Ritalin.

Es folgt ein Schlusswort mit einigen Worten über wesentliche Quellen, eine Bibliografie, eine Danksagung sowie Anmerkungen.

 

Inhalte

In der Einführung schreibt der Autor: „Seit Jahren halte ich immer wieder Vorträge und Seminare auf Konferenzen, in Unternehmen und Schulen. Und mein Fazit danach ist jedes Mal unweigerlich dasselbe: Wir quälen uns, tagein, tagaus.

Wir quälen uns, Vorgaben zu erfüllen, Vorbilder nachzuahmen und Regeln aufzustellen, die uns nicht entsprechen. Wir quälen uns, weil wir ´immer besser` werden wollen, weil wir nie das Gefühl haben, unsere Sache ´gut gemacht` zu haben. Wir quälen uns, weil wir überzeugt sind, die anderen hätten das drauf – etwas ´gut machen`. Wir quälen uns, sogar wenn das keiner von uns verlangt…

Wir sind Opfer eines hektischen Aktionismus, der uns blind macht für die Wirklichkeit. Wir wollen unbedingt als ´Macher` dastehen und sehen nicht, dass wir in Wirklichkeit nichts machen: Wir machen Wirbel und vergessen das Wesentliche. Wie vergessen, kühn zu sein und mutig.

Trauen Sie sich doch mal: Lassen Sie sich in Frieden! Meiner Erfahrung nach gibt es keinen besseren Weg, Ihre vergessenen Möglichkeiten neu zu entdecken. Halten Sie inne! Das ist der einzig wirkliche Weg zum Handeln. Werfen Sie alle Regeln, Vorschriften, alle scheinbaren Dringlichkeiten über Bord! Nur so lässt sich die Flamme der Begeisterung wieder entzünden, die Lust, einen Schritt nach vorn zu machen.

Flüchten Sie sich nicht auf die Gipfel der Berge oder in die Tiefen irgendwelcher Höhlen, um einmal gründlich in sich zu gehen. Bleiben Sie hier und stellen Sie die Maschinerie Ihrer Gedanken ab. Lassen Sie sich in Frieden! Denn genau das braucht unsere Welt, die in Armut, Elend und Unmenschlichkeit zu ersticken droht. Wir brauche den Wandel, und zwar jetzt sofort. Indem wir uns endlich in Frieden sein lassen…“

 

Im ersten Kapitel „Hören Sie auf zu meditieren – Tun Sie nichts“ betont Midal dass er aus dem Grund meditiere, um sich von seinen inneren Handlungsanweisungen frei zu machen. Er versteht Meditation als die Kunst, sich in Frieden zu lassen. Der Autor meditiert seit 25 Jahren und lehrt Meditation seit ungefähr 15 Jahren. Dabei schreibe er nichts vor, liefere keine Tricks, garantiere nichts und verteile am Ende auch keine Punkte. Wenn er an seine schweigend vor dem Kamin sitzenden Großeltern denke, kommt er zum dem Schluss: „Sie waren kein bisschen mystisch angehaucht und hatten sicher noch nie etwas von Meditation gehört, doch ihre Abende vor dem Kaminfeuer kommen dem, was ich unter Meditation verstehe, sicher am nächsten. Für sie war dies eine Form seelischer und geistiger Hygiene. Ein ganz natürlicher Akt, ebenso simpel wie unverzichtbar.“ Fabrice Midal akzentuiert immer wieder, dass es bei der Meditation nichts zu erreichen gibt. Dass es genügt, ganz bei dem zu sein, was ist, sich auf die eigene Körperlichkeit einzulassen, auf den Atem, die Empfindungen, die Wahrnehmungen, auf alles, was dich umgibt. Auf Seite 16 spricht er von der goldenen Regel der Meditation: sich in Frieden zu lassen. Dies müsste seiner Ansicht nach das Leitmotiv unseres gesamten Daseins sein.

Er schiebt noch ein paar Definitionen hinterher: „Meditieren heißt im Grunde nichts anderes, als zu sein. Innehalten, sich eine Pause gönnen, aufhören, irgendetwas nachzujagen, und stattdessen präsent zu sein, sich im Körper verankern. Es ist eine Schule des Lebens.“ Oder: „Meditieren heißt, Anfänger zu bleiben. Offen und neugierig. Man tut nichts, und es passiert doch so viel.“

Nach all dem Fokus auf Meditation als Akt der Befreiung, bei dem es keine vorgeschriebene oder richtige Position gibt, folgt der gute Rat, sich gerade zu halten – mit einer ausführlichen Begründung. Diese aufrechte Haltung macht auch in meinen Augen unbedingt Sinn, konterkariert aber in meiner Lesart viele der Aussagen, die Midal auf den Seiten davor ausführt. Einige Seiten später spricht er dann von der Meditation als Einübung einer Haltung, die wir uns aneignen „sollten“, auch dies empfinde ich als Widerspruch zu all der postulierten Freiheit zuvor.

 

Im Folgenden möchte ich nicht die Hauptaussagen jedes Kapitels präsentieren und herausarbeiten, was mir darin gefällt oder aufstößt. Vielmehr konzentriere ich mich auf drei meiner Lieblingskapitel – die Kapitel 5, 9 und 12.

 

Im 5. Kapitel „Hören Sie auf, sich an die Kandare zu nehmen – Wagen Sie das Begehren“ wendet sich Fabrice Midal gegen die Überzeugung, dass „Weisheit, Philosophie und Spiritualität (namentlich buddhistischer Prägung) Wege sind, die (…) aus uns Geschöpfe machen, die frei von Wünschen und damit von Seelenqual sind.“ Er wendet sich hier gegen eine Zweiteilung der Welt in eine Spähre, „in der Eros und Liebe brodeln“ und eine andere, „die in der Gelassenheit der Weisheit ruht“ und widerspricht: „Philosophie ist nicht Askese, sondern Eros“. Daran anschließend wendet er sich einem Konzept „wahren“ Begehrens zu: Unser „wahres Begehren verbirgt sich nicht in den Winkeln unseres Ich. Ich kann es nicht aufstöbern, indem ich in mich gehe und versuche, mich selbst zu erforschen und zu verstehen. Ganz im Gegenteil, ich begegne ihm, wenn ich mich der Welt stelle. Begehren heißt, von etwas gerufen zu werden, das uns aufweckt.“ Er ergänzt: „Interessanterweise lasse ich mich in Frieden, wenn mich ein solches Begehren antreibt. Denn das, was ich tue, begeistert mich so, das ich mich selbst darüber vergesse!“

 

Das 9. Kapitel „Hören Sie auf, alles verstehen zu wollen – Entdecken Sie die Macht der Unwissenheit“ beginnt Midal mit einem Zitat des Luftfahrpioniers Igor Sikorski: „Nach den Gesetzen der Aerodynamik ist die Hummel fluguntüchtig. Mathematisch gesehen, ist nämlich der Kopf zu groß im Verhältnis zu den Flügeln, die zu klein sind, um ihren Körper in der Luft halten zu können. Doch die Hummel weiß das nicht und darum fliegt sie“. Aus dieser Beobachtung entwickelte der russisch-amerikanische Erfinder des Hubschraubers seine Theorie von der „Macht der Unwissenheit“. Midal ergänzt: „Es ist eine Macht, an der wie unvollkommenen Hummeln, denen es an Wagemut fehlt, bitteren Mangel leiden. Wir nämlich sehen in der Unwissenheit keinerlei Wert (…). Wären wir Hummeln, dann hätten wir wohl erst Berechnungen angestellt, bevor wir uns in die Lüfte erheben. Und wären logischerweise vorsichtshalber am Boden geblieben, weil es uns ja technisch unmöglich ist zu fliegen.“ Der Autor führt fort: „Hüten wir uns also vor dem Wunsch, alles verstehen zu wollen“, zumal wir vieles verstehen, ohne es ändern zu können. Das haben wir zigmal erlebt. Trotzdem zögern wir, den Weg des Nachdenkens zu verlassen in dem Glauben, dass er uns der Lösung näherbringt. Und wenn wir dann das zerfasterte Seil loslassen, springen wir nicht in den Abgrund, sondern landen mitten im Leben. Midal geht es in diesem Zusammenhang um die Akzeptanz von Schmerz und Fragen, von Unsicherheit und Ungewissheit. Er schreibt: „Sobald wir uns nicht mehr damit quälen, alles verstehen zu wollen, offenbart sich uns eine andere Kraft: die Intuition. (…) Wir wissen viel mehr, als wir zu wissen glauben. Wir speichern ständig über die unterschiedlichsten Kanäle Unmengen von Informationen ab. Diese Kanäle sind nicht immer die Wege, über die Wissen klassisch weitergegeben wird. Diese Informationen schlummern in uns, selbst wenn sie nicht an die Oberfläche unseres Bewusstseins steigen. Doch aus solchen Quellen bedient sich unsere Intuition, um uns zu führen.“ Doch Midal setzt noch eins drauf: „In diesem Sinne ist Intuition nicht irrational, sondern einfach nur eine Form ´unterschwelliger` Rationalität, die sich umso besser entfalten kann, je mehr wir uns in Frieden lassen. Je mehr wir uns zuhören, statt wie besessen endlos alles überprüfen zu wollen, was uns nur lähmt.“ Hier ist also der Bezug zur Meditation, in der wir unseren Zugang zur Intuition pflegen, indem wir aus dem Gedankenkarussell aussteigen und uns wirklich einmal tief zuhören. Dies eröffnet außerdem, so der Autor, den Zugang zu unserer Kreativität. Er definiert: „Kreativ zu sein heißt, seine Sicherheiten preiszugeben und den Weg frei zu machen für Veränderungen, (…) ins Wasser zu springen und offen zu sein für Möglichkeiten (…). Wir verlassen die eingefahrenen Bahnen und akzeptieren, dass wir nicht wissen und kontrollieren können, was auf uns zukommt.“

 

Kapitel 12 mit der Überschrift „Hören Sie auf, sich zu schämen – Zeigen Sie sich verwundbar“ beschäftigt sich mit der menschlichen Neigung, sich nach Verletzungen zu verschließen. Midal warnt: „Aber das hieße, das Kind mit dem Bade auszuschütten. So verleugnen wir einen Teil unseres Menschseins. Doch es gibt auch einen anderen Weg: die Kraft zu finden, nicht abzustumpfen“ und sich zu wappnen. Das heißt, „zu einer inneren Festigkeit zu finden, die uns ermöglicht, weiterhin Risiken einzugehen, zu lieben, zu staunen und zu hoffen und dabei die eigene Verletzlichkeit nicht als Charakterfehler zu betrachten und sich dafür zu schämen, sondern als „die wunderbare Fähigkeit, sich berühren zu lassen.“ Der Autor spannt dann sehr schön den Bogen zur Meditation: „Die Praxis der Sitzmeditation – Rücken fest und aufrecht, Brust weich und offen – spiegelt exakt die Haltung wider, mit der ich nun dem Leben gegenübertrete.“ Er vertieft: „Diese Haltung macht aus, was ich den ´dritten Weg` nenne: Wir lehnen unsere Verletzlichkeit weder ab noch lassen wir uns von ihr erdrücken.“ Midal stellt klar, dass die Meditationspraxis ermöglicht, „so manche unnötige Rüstung“ abzulegen. „Deswegen ist die Meditation nicht immer angenehm, aber stets befreiend, weil sie uns nicht in ein Korsett presst. Sie verlangt von uns nichts, sie eröffnet uns lediglich einen Raum, wo wir uns in Frieden lassen können.“ Zum Ende dieses Kapitels gibt es noch eine klare Ansage: „Ich kann Ihnen nicht sagen, ob Sie täglich oder zweimal pro Woche meditieren sollen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Meditation von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, wenn sie zu einer weiteren Pflicht im Leben wird. (…) Machen Sie aus der Meditation keinen Härtetest, und versuchen Sie auch nicht, irgendetwas damit zu erreichen. Diese Art von Freiheit kann man nicht lernen, aber Sie können sich dazu die Erlaubnis geben.“

 

Fazit

Dieses Buch hinterlässt bei mir ausgesprochen gemischte Gefühle. Auf der einen Seite ist die Herangehensweise des Autors an die Thematik der Meditation in der westlichen Gesellschaft klar, frisch, frech und sein Ansatz der Freiheit überfällig und ja, befreiend. Auf der anderen Seite entsteht beim intensiven Lesen und auch beim Schreiben der Rezension hier immer wieder die Frage, auf welche Punkte Midal konkret hinaus möchte, da er sich – in meiner Lesart – immer wieder in Widersprüche verwickelt. So zum Beispiel, wenn er seitenweise über das Thema keine Normen, keine Regeln usw. reflektiert, nur um dann doch Ratschläge zu geben. Diese sind in der Meditationspraxis sinnvoll, können gleichzeitig allerdings auch als Norm – eben doch – betrachtet und empfunden werden. Gerade zu Beginn des Buches entsteht überdies immer wieder der Eindruck, dass Midal sich vehement gegen etwas wehrt und von etwas abgrenzt, was anstrengend und nervig ist. Dann wiederum begeistert und berührt er zum Beispiel mit der wundervollen Art und Weise, wie er den Begriff der Intuition definiert.

Mit anderen Worten: Die Rezensentin kommt zu keiner abschließenden und eindeutigen Beurteilung. Muss sie auch nicht. Zum einen geht es ja hier um die Vorstellung eines interessanten Buches, nicht um ein wie auch immer geartetes Zeugnis. Und zum anderen bietet die Freiheit einer offenen Einschätzung potentiellen neuen Leser*innen des vorliegenden Buches einen unvoreingenommenen Zugang zu dessen Inhalten und Hauptaussagen. In diesem Sinne: Viel Freude beim Lesen! Weitere Einschätzungen und Meinungen sind herzlich willkommen!

 

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Foto: Pixabay

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