Immer wieder kommt jemand zu mir und sagt: „Du bist doch Heilpraktikerin. Hast du nicht mal ein paar Kügelchen für mich?“ Nein, habe ich nicht. Es gibt nämlich zwei verschiedene Arten von Heilpraktikern:
Der sogenannte „große Heilpraktiker“ hat eine staatliche Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz (HPG) zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde, ohne als Arzt approbiert zu sein. Diese Heilpraktiker verbinden medizinisches Wissen mit Methoden der Naturheilkunde. Sie dürfen Krankheiten behandeln, akupunktieren, schröpfen, verschiedene Mittel wie Homöopathie, Bachblüten oder Schüßler Salze verordnen, mit Blut arbeiten, Spritzen setzen usw.
Der sogenannte „kleine Heilpraktiker“ hat eine Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie, ebenfalls auf der Basis des Heilpraktikergesetzes. Den Heilpraktiker für Psychotherapie gibt es seit 1993 nach einem Gerichtsverfahren in Niedersachsen. Eine Klägerin war dagegen angegangen, dass sie auch dann das gesamte medizinische Wissen lernen muss, wenn sie als Psychotherapeutin arbeiten möchte – und bekam Recht.
Anwärter für die Zulassung zum Heilpraktiker für Psychotherapie müssen entsprechende Zulassungsbedingungen erfüllen, z.B. müssen sie ein amtliches Führungszeugnis, ein ärztliches Eignungszeugnis und eine Versicherung, sich in der betreffenden Stadt niederzulassen, einreichen.
Außerdem müssen sie eine Prüfung ablegen, die in den verschiedenen deutschen Bundesländern unterschiedlich geregelt ist. In Hamburg besteht diese aus einer amtsärztlichen mündlichen Prüfung, die oft in einer psychiatrischen Klinik stattfindet und von einem Facharzt abgenommen wird. Dieser prüft die Anwärter daraufhin, ob von ihnen eine Gefahr für die Volksgesundheit ausgehen könnte. Dabei geht es v.a. darum, spontan durch Ausschlussdiagnosen und Eingrenzungen auf verschiedene Störungsbilder zu reagieren, wie es dann ja auch in der Praxis geschieht.
Insgesamt werden in der Prüfung detaillierte Kenntnisse in den Bereichen Symptomatik, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten psychischer Erkrankungen abgefragt. Nach geltendem Gesetz fallen nämlich nur bestimmte psychische Störungen in den Zuständigkeitsbereich der Heilpraktiker für Psychotherapie. Folglich dürfen sie nicht alle psychischen Erkrankungen behandeln. Vielmehr sind sie verpflichtet, die Symptome ihrer Klienten in einem Erstgespräch zu erfassen, klare differenzialdiagnostische Aussagen in Form eines psychopathologischen Befunds zu treffen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob sie behandeln dürfen oder nicht.
Moderne Klassifikationssysteme, wie die in Deutschland verbindliche „Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10“, vertreten ein multifaktorielles Entstehungsmodell, das von der Entstehung psychischer Störungen durch verschiedene Einflüsse ausgeht. Dabei wird die Einteilung der psychischen Erkrankungen nach phänomenologischen Aspekten (den Erscheinungsformen) vorgenommen. Das ältere vom deutschen Psychiater Kurt Schneider entwickelte „Triadische System“ geht zwar nach ätiologischen Aspekten (den Entstehungsursachen) vor, ermöglicht aber eine gute und schnelle Einteilung. Da diese in der Praxis notwendig ist, wird sie in den Heilpraktiker-Schulen nach wie vor gelehrt.
Das Triadische System unterscheidet drei Arten von Störungen:
1) psychogene Störungen
2) exogene Störungen
3) endogene Störungen.
Psychogene Störungen sind auch unter dem Begriff „Neurosen“, exogene und endogene Störungen unter dem Sammelbegriff der „Psychosen“ bekannt.
1) Psychogene Störungen
Psychogene Störungen sind durch Persönlichkeitseigenschaften, Verhaltensweisen, biografische Faktoren und als Reaktion auf belastende Lebensumstände entstanden. Beispiele sind Persönlichkeitsstörungen, Süchte sowie nicht organische Sexualstörungen, Essstörungen und Schlafstörungen.
2) Exogene Störungen
Exogene Störungen sind solche, die durch körperliche Erkrankungen ausgelöst wurden. Die Ursache ist also bekannt; es liegt ein Befund einer eindeutigen organischen Veränderung vor. Diese organische Störung kann entweder primär das Gehirn betreffen wie z.B. bei Meningitis, einem Hirntumor oder der Epilepsie. Ebenso kann diese Störung in Form einer systemischen körperlichen Erkrankung mit Hirnbeteiligung in Erscheinung treten, wie z.B. bei einer Vergiftung oder Infektion.
3) Endogene Störungen
Endogene Störungen sind Erkrankungen, bei denen eine körperliche Ursache im Sinne einer konstitutionellen und genetischen Veranlagung als wahrscheinlich angenommen wird. Beispiele sind Schizophrenie, bipolare Störungen und wahnhafte Erkrankungen.
Klienten mit psychogenen Störungen können auch von Heilpraktikern behandelt werden, da sie nach geltendem Recht nicht von psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten therapiert werden müssen. Klienten mit exogenen und endogenen psychischen Erkrankungen müssen dagegen an ärztliche Fachtherapeuten oder Psychiater verwiesen werden. Allerdings ist – nach Absprache – in vielen Fällen eine begleitende Psychotherapie durch Heilpraktiker möglich.
Inhalte der Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie sind u.a.:
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Grundlagen der Psychoanalyse, Phasen- und Neurosenlehre, Pathologie
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Persönlichkeitsstörungen
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Anpassungsstörungen
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Therapieformen
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die Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10
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psychisch-kognitive Elementarfunktionen/psychopathologische Symptome
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Psychosen
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organische psychische Störungen
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Neurologie
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Psychopharmaka-Lehre
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Essstörungen wie Anorexie, Bulimie und Binge-Eating
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Abhängigkeit/Sucht/Störungen durch psychotrope Substanzen
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Suizidalität
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Grundlagen der Rechtskunde: Arzneimittelgesetz, Heilmittelwerbegesetz, Strafgesetzbuch
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Psychiatrische Notfälle: Unterbringung nach Psychisch-Kranken-Gesetz
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Kinder- und Jugendpsychiatrie
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Anamnese
Bei erfolgreicher Prüfung vor dem Landesprüfungsamt für Heilberufe der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz wird dann „gemäß § 1 des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) die Erlaubnis erteilt, die Heilkunde beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie berufsmäßig auszuüben“ und die Absolventen dürfen eine Praxis eröffnen und Psychotherapie als Leistung anbieten.
Legitime Berufsbezeichnungen sind „Heilpraktiker für Psychotherapie“, „Heilpraktiker (Psychotherapie)“ oder „Heilpraktiker beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie“. Nicht zulässig ist hingegen der Titel „Psychotherapeut“ – diese Berufsbezeichnung ist akademisch ausgebildeten Psychotherapeuten vorbehalten und durch das Psychotherapeutengesetz (PsychThG) von 1999 geschützt. Eine widerrechtliche Titelführung steht unter Strafe. Außerdem sollten aus Gründen des Wettbewerbsrechts alle Bezeichnungen, die die Gefahr einer Verwechslung mit den genannten Berufsbezeichnungen beinhalten, vermieden werden, um potentielle Klienten nicht zu täuschen.
Heilpraktiker für Psychotherapie haben bestimmte Pflichten wie Aufsetzen eines Behandlungsvertrags, Haftpflicht, Aufklärungspflicht, Sorgfaltspflicht, Schweigepflicht und Dokumentationspflicht. Außerdem haben sie bestimmte Verbote einzuhalten und dürfen u.a. die folgenden Dinge nicht tun: Rezepte ausstellen, Arznei- oder Betäubungsmittel ausgeben oder verkaufen, mit Ärzten in denselben Praxisräumen zusammen arbeiten (BO Ärzte), Rehabilitationsmaßnahmen durchführen und Heilversprechen machen (Heilmittelwerbegesetz).
Eine häufige Kritik am Berufsbild der Heilpraktiker ist die Tatsache, dass die Ausbildung keiner gesetzlichen Regelung unterliegt und daher große qualitative Unterschiede aufweisen kann. Daher müssen sich die Heilpraktiker immer wieder den Vorwurf der Scharlatanerie gefallen lassen – zum Teil zu Recht und zum Teil zu Unrecht. Auch mir kräuseln sich die Zehennägel, wenn jemand sich ebenso selbstbewusst wie fachfremd, ohne Erfahrung und mit einer sehr begrenzten Menschen- und Lebenserfahrung in relativ kurzer Zeit den Stoff einverleibt, die Prüfung besteht und sich dann fröhlich auf die Menschheit stürzt. Diesen Menschen würde ich mich auf keinen Fall anvertrauen!
Zumal ich selbst mit meinem profunden Studium der Sonderpädagogik und dessen umfangreichen therapeutischen und diagnostischen Anteilen plus meiner mehr als zwanzigjährigen praktischen Erfahrung erstaunt war zu erkennen, wie wenig ich ohne die Heilpraktiker-Schule und meine psychotherapeutischen Ausbildungen auf die Arbeit in der Praxis vorbereitet gewesen wäre. Der psychiatrische Anteil und die Verantwortung sind nicht zu unterschätzen und dürfen nicht auf die leichte Schulter genommen werden. So ist es zum Beispiel ein riesiger Unterschied, etwas in Büchern oder Videos über Persönlichkeitsstörungen zu lernen oder in der Praxis ohne Vorwarnung eine hoch manipulative Person oder eine mit Wahnvorstellungen vor sich sitzen zu haben!
Daher sollten meiner Meinung nach seriöse und professionell arbeitende Heilpraktiker für Psychotherapie unbedingt gewisse Mindestanforderungen erfüllen müssen. Dabei denke ich v.a. an eine anerkannte theoretische und praktische psychotherapeutische Ausbildung mit einem großen Selbsterfahrungsanteil und Supervision. Das fordern auch Lehrbuchautoren wie z.B. C. M. Ofenstein*, der selbst nicht nur Heilpraktiker für Psychotherapie, sondern – genau wie ich – auch zertifizierte Ausbildungen in verschiedenen Therapieformen absolviert hat. Ich wäre sehr dafür, die Zugangsbarriere zu diesem Berufsbild dementsprechend zu erhöhen und die Möglichkeit der Scharlatanerie dadurch zumindest zu erschweren, wenn nicht gar unmöglich zu machen. Es ist doch erschütternd, wenn Personen des öffentlichen Rechts wie z.B. der von mir durchaus geschätzte E.v. Hirschhausen** anprangert: „Man kann in Deutschland Heilpraktiker ohne praktische Ausbildung werden. Ohne Übung an realen Fällen. (…) ´Heiler` oder ´Therapeut` kann sich nennen, wer will, solange er nur ein Gewerbe anmeldet und seine Steuern zahlt. Diese Begriffe sind nicht geschützt, erfordern weder eine Qualifikation noch irgendeine Art von Wirksamkeitsnachweis.“
In meinen Augen muss sich das dringend ändern, denn als Heilpraktikerin für Psychotherapie kann ich im Gegensatz zum öffentlichen Gesundheitswesen Therapieformen wie z.B. Körpertherapie und Psychodrama anbieten, die nicht von den Krankenkassen erstattet werden, aber durchaus wirksamer und schneller greifen können als die anerkannten Therapiemethoden. Die Kosten für die Behandlung im Sinne einer Privatpraxis tragen dann die Klienten, die dafür aber umso motivierter und zielgerichteter dabei sind. Meine Arbeit stellt damit eine wertvolle Ergänzung zu den Angeboten der ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten dar. Außerdem ist sie eine notwendige Ergänzung der psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerung bei zunehmend größerem Therapiebedarf. So haben Heilpraktiker für Psychotherapie in der Regel keine mehrmonatigen, sondern lediglich mehrwöchige Wartezeiten und können diese damit zur Not auch überbrücken und die hilfesuchenden Klienten bis dahin begleiten.
Und, um Missverständnissen vorzubeugen und weiteren Vorurteilen zu begegnen: Die Klienten in meiner Praxis sind weder Schwerverdiener, die mit den Geldscheinen nur so um sich werfen, noch ziehen sie sich für die Therapie das letzte Hemd aus. Vieles ist eine Frage der Prioritäten – sehr viel öfter, als man denkt.
In diesem Sinne hoffe ich sehr, dass sich politisch in nächster Zeit einiges tut, um die Seriosität und das Image der Berufsgruppe der Heilpraktiker aufzuwerten.
Und ich hoffe bis dahin zumindest ein wenig zur allgemeinen Klärung des Sachverhalts beigetragen und verdeutlicht zu haben, worauf es bei einem guten Heilpraktiker für Psychotherapie ankommt.
In diesem Sinne:
Alles Gute!
Und eine gute Behandlung!
P.S.:
Dieser Artikel ist übrigens in zwei Teilen im HARBURGER BLATT meines geschätzten Unternehmer-Kollegens Peter Noßek erschienen! Teil 1 in Ausgabe 115 vom 9.11.2018, Teil 2 in Ausgabe 116 vom 23.11.2018.
🙂
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*Christopher M. Ofenstein: Lehrbuch Heilpraktiker für Psychotherapie, München 2010
**E. v. Hirschhausen: Wunder wirken Wunder, Reinbek bei Hamburg 2016