Kann Meditation heilen?
Ist es heilsam, sich jeden Tag für mindestens 20 Minuten würdevoll und entspannt hinzusetzen, sich mit dem Atem zu verbinden und Gedanken und Gefühle wie Wolken am Himmel kommen und ziehen zu lassen?
Die Körper-Seele-Geist-Einheit des Menschen ist ja nun schon lange keine Neuigkeit mehr und die Salutogenese, die Lehre von der Entstehung von Gesundheit (im Gegensatz zum in der Medizin vorherrschenden Modell der Pathogenese) auch nicht. Aufgeklärte Ärzte wissen um die Bedeutung von psychischen Faktoren und von Entspannung und Stressbewältigung für den Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Gesundheit.
Meditation und Achtsamkeit stehen zunehmend im Mittelpunkt vieler wissenschaftlicher Forschungen. Bodian1 schreibt sinngemäß, dass es zum Heilungsprozess dazugehört, zu einem Zustand der Ganzheit und des Wohlbefindens zurückzukehren. Die Meditation bietet aufgrund ihrer ureigensten Natur eine Heilung der tiefsten Art. Die Krankheit, die sie heilen hilft, ist das Gefühl der Getrenntheit oder sogar Entfremdung von unserem eigenen Wesen und von den anderen Wesen. Wenn du meditierst, heilst du diese Getrenntheit, indem du dich allmählich im Hier und Jetzt wieder mit deinen Gefühlen und Sinneserfahrungen verbindest, von denen du dich möglicherweise selbst entfremdet hast. Das bedeutet, wieder ganz zu werden und dich wieder mit deiner wahren Natur, dem reinen Sein zu verbinden, das vollständig und perfekt ist.
Für Menschen mit einem unheilbar chronischen Leiden mag sich das wie ein Luxusproblem anhören. Dennoch kannst du auch hier Heilung bewirken in dem Sinne, dich nicht irgendwie als gescheitert zu betrachten, weil du nicht gesund wirst. Du kannst dich heilen von den damit häufig verbundenen depressiven Verstimmungen mit Bestrafungsgefühlen, Energieverlust, Pessimismus, Reizbarkeit, Schuldgefühlen, Selbstablehnung, Selbstvorwürfen, Traurigkeit, Versagensgefühlen usw.2 Vielleicht bist du krank geworden, weil du kürzer treten, deine Prioritäten verändern und dich selbst wiederfinden musst? Krankheit ist tatsächlich oft ein ungeliebter, aber wichtiger Bote, der dich herausfordert, die Weichen neu zu stellen und dein Leben grundlegend zu verändern.
Aus dem Yoga und vielen anderen ganzheitlichen Ansätzen ist bekannt, dass der Körper auf Vorstellungen so reagiert, als wären die Bilder real. Was passiert zum Beispiel, wenn du dir jetzt vorstellst, in eine saftige Zitrone zu beißen? Dein Körper reagiert auf die reine Vorstellung schon mit Speichelfluss.
Während der Meditation kommst du in einen ruhigen, entspannten und gleichzeitig fokussierten Geisteszustand und kannst so schneller gesund werden und wachsen. Außerdem kannst du in diesem Zustand leichter Probleme lösen, alte Verhaltensweisen überprüfen und neue entwickeln. Die reine Vorstellung vermittelt dir schon ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Kontrolle über die Situation, was dein Selbstvertrauen stärkt und dein Stressempfinden reduziert. Wenn du ein gesundheitliches Problem oder eine berufliche oder zwischenmenschliche Herausforderung zu meistern hast, fühlst du dich u.U. ohnmächtig und unruhig, weil du glaubst, nichts tun zu können. Wenn du hingegen weißt, dass du allein schon mit deiner Vorstellung zu einer grundlegenden Veränderung der Situation beitragen kannst, bekommst du wieder Hoffnung und Mut. Unzählige Befragungen haben gezeigt, dass Menschen sich besser fühlen und effektiver arbeiten, wenn sie davon überzeugt sind, ein bestimmtes Maß an Kontrolle über ihr Leben zu haben. Positive und kraftvolle Gefühle während der Visualisierung verstärken die Macht der Vorstellung noch. Wenn du die Bilder also mit allen Sinneswahrnehmungen erfühlst, geben sie dir Kraft, zu heilen und dich zu verwandeln.
Was Meditation mit dem Gehirn macht
Patrizia Collard3 berichtet von bahnbrechenden Forschungsarbeiten des Idealisten und Neurobiologen Richard Davidson. Dieser „wollte nicht nur beweisen, dass Geisteszustände wie Freude, Mitgefühl und Begeisterung trainiert werden können, sondern auch, dass sie das Gehirn maßgeblich verändern, wenn man regelmäßig – und sei es bis zum Lebensende – übt.“ Er hat in verschiedenen Forschungen gezeigt, dass Meditation das Gehirn von tibetischen Mönchen strukturell verändert. Bis dahin war nur durch subjektive Beobachtungen bekannt, dass „regelmäßige Achtsamkeits- oder Mitgefühlsmeditation unsere Reaktion auf Bedrohung verändert: Man wird ruhiger, reagiert klüger und kehrt rascher zum inneren Gleichgewicht zurück.“ Mittlerweile gibt es zahlreiche Ergebnisse ähnlicher Forschungsarbeiten, die zeigen, dass Meditation die mentale und emotionale Gesundheit verbessern kann. Daher schreibt Collard, dass „eines Tages vielleicht meditative Praktiken als Alltagsübungen verschrieben werden, um mental belastbar und gesund zu bleiben.“ Davidson und seine Kollegen arbeiten jedenfalls schon länger an der Entwicklung präventiver und positiver Interventionen für Menschen, die noch keine Anzeichen für psychische Krankheiten durch Stress zeigen. Sie wollen nicht nur das Gesundwerden, sondern auch das Gesundbleiben fördern.
Auch Andrew Smart4 bezieht sich auf die aktuelle Hirnforschung und schreibt in einem Fazit: „Auch wenn unser Geist für intensive Aktivitäten außerordentlich gut entwickelt ist, muss unser Gehirn, um normal funktionieren zu können, auch müßig sein, und das sogar sehr häufig.“
Maren Schneider5 schreibt zum Zusammenhang von Meditation und Hirngesundheit: „Meditation ist eine Art Hirntraining. Ähnlich wie regelmäßiger Sport den Körper fit hält, wirkt sich regelmäßige Meditation positiv auf das Gehirn aus. So konnte nachgewiesen werden, dass sich ein durch das Stresshormon Cortisol angegriffener Bereich des Gehirns, der Hippocampus, durch Meditation wieder regeneriert und neue Zellen entstehen. Dieses Gehirnareal ist besonders bei Menschen in Langzeitstressphasen oder bei Traumapatienten angegriffen, was zu Konzentrations- und Orientierungsstörungen führen kann und die Lern- sowie Merkfähigkeit einschränkt. Reduziert sich durch regelmäßige Meditation das individuelle Stressempfinden, wird weniger Cortisol ausgeschüttet, was den Hippocampus entlastet (und den gesamten Körper).“
An anderer Stelle zeigt Maren Schneider6 sich zutiefst fasziniert von der Plastizität des menschlichen Gehirns – unter dem Begriff der Neuroplastizität „verbirgt sich ein unglaubliches Wunder: die Fähigkeit unseres Gehirns, sich immer wieder neuen Gegebenheiten anzupassen und hoch komplexe neuronale Netzwerke anzulegen, die es uns ermöglichen, auf effektivste und energiesparenste Weise zu (über-)leben. Jede Gewohnheit ist nichts anderes als ein durch kontinuierliche Wiederholung (Übung) angelegtes Netzwerk, das es uns ermöglicht, ohne viel nachzudenken (Nachdenken kostet Energie) automatisiert und effizient zu handeln. Das spart Energie und ist schneller, als jedes Mal neu zu überlegen, was wir jetzt wohl am besten tun sollten. Diese Netzwerke sind veränderbar, und zwar durch Umlernprozesse, die nichts anderes sind, als etwas anderes wiederholt durchzuführen, so dass ein neues Netzwerk entsteht.“
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1Stephan Bodian: So leicht geht Meditation für Dummies. München 2015
2Depressions-Fragebogen BDI-II, Frankfurt a.M. 2015
3Patrizia Collard: Sei achtsam mit dir. München 2017
4Andrew Smart: Öfter mal auf Autopilot. Warum Nichtstun so wichtig ist. München 2003
5Maren Schneider: Heilende Meditationen. München 2017
6Maren Schneider: Ein Kurs in Selbstmitgefühl. München 2016
Fotos: Pixabay