Herzensqualitäten

Selbstmitgefühl entwickeln: Die vier Herzensqualitäten der buddhistischen Psychologie

Christine Brähler schreibt: „Selbstmitgefühlspraxis beruht auf dem Prinzip, uns unseren Schwierigkeiten zuzuwenden, statt sie wegzudrücken.

Dafür ist es notwendig, überhaupt zu sehen, was in uns geschieht, und es erst einmal so sein zu lassen, wie es ist, ohne es sofort verändern zu wollen. Wir üben gelassenes Gewahrsein und schaffen damit einen inneren Raum. All unsere Gedanken, Gefühle und Empfindungen haben dort Platz, so zu sein, wie sie sind. Um diesen Raum offen und geräumig zu halten, erfüllen wir ihn mit der Wärme der Liebe und des Mitgefühls. Ansonsten kühlt der Raum ab und zieht sich zusammen. Dann sind wir auf engstem Raum mit unseren Gedanken, Gefühlen und Empfindungen zusammengezwängt und verstricken uns gezwungenermaßen darin. Wir verlieren den Überblick, beginnen uns in Sorgen und Selbstvorwürfen zu verheddern. Der gestörte Hausfrieden ist aufgrund von mangelndem Raum und Wärme vorprogrammiert!

Wenn wir starkes Leid erleben und uns Schmerz, Trauer, Angst, Ohnmacht, Scham und Verzweiflung ganz im Griff haben, dann fällt es uns oft schwer, diese Offenheit zu bewahren. Unser Gewahrsein wird meist plötzlich eng und ´unterkühlt`. In solchen Momenten kann es helfen, uns ganz bewusst liebevoll zu umsorgen. Selbstmitgefühl hilft uns, unser Gewahrsein zu ´erwärmen` und zu öffnen.“

Das finde ich eine wunderbare Einführung in das Thema der vier Herzensqualitäten aus der buddhistischen Psychologie:

1. Liebende Güte (metta),

2. Mitgefühl (karuna),

3. Mitfreude (mudita) und

4. Gleichmut (upekkha).

Die vier Qualitäten „beschreiben verschiedene Aspekte einer freundlichen Verbundenheit mit allen Lebewesen und wirken so eng zusammen. Die Kultivierung dieser Qualitäten ist das Fundament für die Selbstmitgefühlspraxis.“

  1. Liebende Güte: Die Wärme und Kraft des Sonnenlichts

    Liebende Güte bedeutet Wohlwollen oder Freundlichkeit allen Lebewesen gegenüber – auch dir selbst. Liebe ist erfüllt von der Erkenntnis, dass jedes Lebewesen mit dem Wunsch geboren wurde, dass es ihm/ihr wohl ergehen möge, dass es gut leben möge. Liebe bezieht sich auf die freundliche Ausrichtung deines Herzens. Wenn du dir selbst freundlich begegnest, dann öffnet das dein Herz automatisch auch für Freundlichkeit anderen gegenüber. Das Lächeln, das du dir selbst schenkst, teilst du mit anderen.

  2. Mitgefühl: Getröstet vom Sonnenlicht

    Mitgefühl entsteht, wenn Liebe auf Leid trifft und ihre liebevolle Qualität bewahrt, sagt der amerikanische Psychologe Chris Germer. Oft wird Mitgefühl dabei mit Mitleid verwechselt. Brähler erklärt: „Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass Mitleiden und Mitgefühl verschiedene Hirnareale aktivieren. Mitleiden wird als negatives, energieziehendes Gefühl erlebt, da wir selbst nur Schmerz empfinden und uns darin verlieren. Mitgefühl dagegen wird als positives, energiegebendes Gefühl erlebt. Liebe und Perspektivübernahme helfen uns, fürsorgliche Energie zu entwickeln und uns gleichzeitig aus der Beobachterperspektive in den anderen hineinzuversetzen – ohne uns dabei in den Verstrickungen des Leids zu verlieren.“

  1. Mitfreude: Aufblühen durch das Sonnenlicht

    Mitfreude ist die Fähigkeit, etwas Schönes wertzuschätzen und sich an dessen Entfaltung zu erfreuen. Mitfreude erhebt und belebt das Herz.“

    Auf dich selbst angewendet bedeutet dies: Anstatt dich nur auf deine Schwächen zu fokussieren, erfreust du dich auch an deinen Stärken. Diese Selbstwertschätzung ermöglicht es dir, dich am Wertvollen in anderen und an ihrer Freude mitzufreuen anstatt sie zu beneiden.

  2. Gleichmut: Der geräumige Himmel

    Diesen Punkt finde ich fast den wichtigsten und schwierigsten und gebe dem daher ein bisschen mehr Raum. „Gleichmut wirkt dem natürlichen Drang entgegen, krampfhaft an Schönem festhalten und Unangenehmes vermeiden zu wollen. Aus einer tiefen Verbundenheit mit allem und einem tiefen Verständnis der Vergänglichkeit der Dinge heraus kann eine Gelassenheit und Urteilsfreiheit entstehen, die in der Lage ist, alles, was einem widerfährt, mit offenem, gleichmütigem Herzen zu empfangen. Gleichmut ist (…) das Fundament der tiefen Urteilsfreiheit, Ruhe und Gelassenheit, auf der Liebe, Mitgefühl und Mitfreude gedeihen.“

    Später schreibt die Psychologin: „Uns dem Fluss des Lebens anzuvertrauen, ohne zu wissen, wohin die Reise geht, ist nicht resignativ, sondern weise.“ Du meidest nicht Verantwortung oder handelst rücksichtslos. Vielmehr hörst du auf, Dinge kontrollieren zu wollen, die nicht in deiner Macht stehen. Damit kämpfst du nämlich gegen Leid an oder versuchst, dich an Schönem festzuklammern. Loslassen ist schwierig, aber im Grunde der einzig gangbare Weg. Wenn du auf Kontrolle und Widerstand verzichtest, kannst du deine Gefühle durch dich hindurchfließen lassen. Und dich dabei liebevoll umsorgen, bis sich das Gefühl wieder wandelt. Du kannst dir so allmählich gewahr werden, dass jeder Mensch Kummer erlebt und dass Leid vorübergeht und wir es durch Mitgefühl lindern können.

    Diese weisen Einsichten können helfen, deine Widerstände zu reduzieren und dich dem anzuvertrauen, was ist. Das Loslassen von Widerstand setzt dabei jede Menge Energie frei: Zum einen die Energie, die wir für das Ankämpfen oder Festhalten benötigt haben und zum anderen auch unsere Lebensenergie allgemein, die so freier fließen kann.

Zum Schluss möchte ich gerne das schöne Bild von Christine Brähler zitieren:

Von Himmel, Sonne, Regen und Blüten

Ich habe für mich die vier Herzensqualitäten in einem Bild zusammengefasst, das aufzeigt, wie sie alle zusammenwirken.

Gleichmut ist der blaue Himmel, das All. Er ist geräumig und hat unendlich viel Platz für alles – für Wolken, Sonne und andere Gestirne. Er ist immer da, der große strahlende Raum, auch wenn wir ihn aufgrund von Wolken voller Sorgen und Kummer zeitweise nicht sehen können oder sogar vergessen, dass es ihn gibt.

Liebe ist das Sonnenlicht. Es wärmt und schenkt Leben auf der Erde. Es strahlt bedingungslos auf alles und auf jeden, es behandelt uns alle gleich.

Wenn das Sonnenlicht der Liebe auf die regenreichen Tränen des Leides trifft und liebevoll bleibt, dann entsteht der Regenbogen des Mitgefühls.

Wenn das Sonnenlicht der Liebe auf eine Knospe des Schönen und Wertvollen fällt und liebevoll bleibt, dann erblüht die Blüte der Mitfreude und bereitet noch mehr Freude.“

Das finde ich ein sehr, sehr schönes Bild und möchte das daher gerne mit dir teilen. Viel Freude wünsche ich dir!

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Text entnommen aus dem Buch:

Christine Brähler; Selbstmitgefühl entwickeln. Liebevoller werden mit sich selbst. München 2015

Foto: Pixabay

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