Ein wichtiger Gedanke vorneweg:
Wer sich mit Meditation beschäftigt, kommt früher oder später auch mit Osho in Berührung. Bislang habe ich hier keine Meditation von ihm eingebracht, da ich ihm sehr ambivalent gegenüberstehe. Auf der einen Seite erkenne ich seine Lebensleistung an, die Meditation vom Osten in den Westen transportiert und für die Menschen hier adaptiert zu haben. Auf der anderen Seite hat sich die westliche Meditationspraxis seit seinem Tod vor rund 30 Jahren bedeutend in verschiedene Richtungen weiter entwickelt. Und vor allem erkenne ich ihn nicht als „erleuchteten Meister“ an. Ich messe Menschen nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten und sehe, dass er sich in seiner letzten Lebensphase leider vollkommen disqualifiziert hat. Allen Vorbehalten zum Trotz hat er jedoch interessante Gedanken vorgestellt und schöne Übungen entwickelt, die es wert sind, vorgestellt zu werden. Wie zum Beispiel diese hier:
Liebe
„Zwei Wege führen zur Entdeckung: Der erste ist Meditation – du suchst nach der Tiefe ohne den anderen. Der zweite ist die Liebe – du suchst nach der Tiefe mit dem anderen.
Meditation sinkt ins Herz; und wenn du in dein Herz sinkst, steigt Liebe in dir auf. Aus Meditation kommt immer Liebe, und umgekehrt genauso. Wenn du dich verliebst, folgt Meditation. Sie gehören zusammen. Es ist die gleiche Energie, sie sind nicht verschieden. Entweder du meditierst und wirst ein großer Liebender; es wird unendlich viel Liebe um dich sein, du wirst überfließen vor Liebe; oder werde ein Liebender, und du wirst zu jenem Bewusstseinszustand finden, der Meditation genannt wird – wo die Gedanken verschwinden, wo das Denken nicht mehr dein Wesen umwölkt, wo der Dunst der Schläfrigkeit, der dich einhüllt, nicht mehr vorhanden ist – der Morgen ist gekommen, du bist erwacht, du bist zum Buddha geworden.
Jede illusorische Liebe wird verschwinden… Wenn du dich auf eine innere Wanderschaft begibst, wenden sich die Energien nach innen – dieselben Energien, die vorher nach außen gegangen waren – und du findest dich auf einmal ganz allein, wie eine Insel. Schwierigkeiten entstehen, weil du jetzt nicht wirklich daran interessiert bist, eine Beziehung zu haben. Es liegt dir mehr daran, du selbst zu sein, und alle Beziehungen erscheinen dir wie Abhängigkeiten, wie Fesseln. Aber das ist eine vorübergehende Phase; mache dies nicht zu deiner ständigen Einstellung. Früher oder später, wenn du dich wieder in dir selbst gefestigt hast, wird deine Energie überfließen und sie wird wieder in eine Beziehung eingehen.
Wenn du zum ersten Mal meditativ wirst, erscheint die Liebe wie eine Fessel. Und in gewisser Weise ist das auch wahr, denn jemand, der nicht meditativ ist, kann nicht wirklich lieben. So eine Liebe ist falsch, illusorisch; es ist eher ein Vernarrtsein, nicht so sehr Liebe. Aber solange dir das Wirkliche nicht geschehen ist, hast du nichts, womit du es vergleichen kannst; wenn du meditativ wirst, löst sich das illusorische Gefühl langsam auf, es verschwindet. Sei nicht entmutigt; das ist das Erste. Das zweite – mache es dir nicht zum Prinzip. Diese zwei Möglichkeiten gibt es.
Wenn du den Mut verlierst, weil dein Liebesleben aufhört und du daran festhalten willst, dann baust du dir damit eine Schranke vor deine Reise nach innen. Akzeptiere es – akzeptiere, dass deine Energie sich jetzt einen neuen Weg sucht und für eine kleine Weile nicht nach außen, nicht in Aktivitäten gehen will. (…)
Meditation ist nur gegen die falsche Liebe. Das Falsche wird verschwinden, und das ist eine grundsätzliche Voraussetzung dafür, dass das Reale zum Vorschein kommen kann. Das Falsche muss weichen; nur dann bist du für das Reale zugänglich.
Die andere Gefahr ist, dass du daraus einen Lebensstil machen kannst. Das ist schon vielen Leuten passiert. Sie leben in den Klöstern – alte Mönche, die es sich zum Lebensstil gemacht haben, keine Liebesbeziehung einzugehen. Sie denken, dass Liebe gegen die Meditation sei, und dass die Meditation gegen die Liebe sei – das ist nicht wahr. Meditation ist gegen die unechte Liebe, geht aber voll und ganz mit echter Liebe einher. Irgendwann, wenn du nicht mehr weiter nach innen gehen kannst, kommst du zur Ruhe; du bist am Kern deines Wesens angelangt, am Felsengrund, du bist zentriert. Auf einmal hast du Energie zur Verfügung, aber es gilt nirgendwo hinzugehen. Die Reise nach außen hörte auf, als du anfingst zu meditieren, und jetzt ist auch die Reise nach innen beendet. Du bist gefestigt, du bist zu Hause angekommen, wo alles voller Energie ist wie ein großes Sammelbecken – was sollst du jetzt tun?
Diese Energie fließt jetzt über. Das ist eine ganz andere Art von Bewegung, sie hat eine vollkommen andere Qualität, denn sie kommt nicht aus einer Motivation heraus. Vorher bist du mit einer Motivation auf andere zugegangen; jetzt ist keine Motivation mehr da. Du gehst einfach auf andere Menschen zu, weil du so viel zu teilen hast.
Vorher bist du wie ein Bettler auf andere zugegangen, jetzt kommst du als ein Kaiser. Nicht etwa, dass du ein bisschen Glück bei einem anderen suchst – das hast du schon. Jetzt hast du zu viel Freude. Die Wolke ist so voll, dass sie gerne regnen möchte. Die Blume ist so erfüllt, dass ihr Duft auf den Winden in jede Ecke der Welt dringen möchte. Es ist ein Teilen. Eine neue Art der Beziehung ist zum Leben erwacht. Von Beziehung zu sprechen ist eigentlich nicht richtig, denn es ist jetzt keine Beziehung mehr; es ist vielmehr ein Zustand des Seins. Du liebst nicht – du bist Liebe.“
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Osho: Das orangene Buch. Die Osho Meditationen für das 21. Jahrhundert. Köln 23. Auflage 2020
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