An dieser Stelle habe ich bereits das Buch von Cordula Roemer* zur vierphasigen Integration einer möglichen Hochsensibilität in das eigene Leben vorgestellt. Im Kapitel zur geistig-emotionalen Integration finden sich am Schluss hochinteressante Ausführungen zum Thema Resilienz, die ich gerne wiedergeben möchte:
„Unter Resilienz wird die Widerstandsfähigkeit oder die innere Stärke, Notlagen zu bewältigen und sich durch sie weiterzuentwickeln, verstanden. Was führt also dazu, dass ein Mensch unter der Bürde einer Krise zusammenbricht und ein anderer in einer vergleichbaren Situation nicht?
Der Begriff Resilienz stammt von dem lateinischen Wort resiliere „abprallen“ ab. Die Resilienzforschung im Bereich Psychologie begann in den 1950er-Jahren, als die amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner eine Studie auf der hawaiianischen Insel Kauai durchführte. Sie beobachtete vier Jahrzehnte lang etwa siebenhundert Jungen und Mädchen, deren Chancen auf ein erfolgreiches Leben durch Armut, Vernachlässigung, und Misshandlung denkbar ungünstig waren. Häufig waren die Ehen der Eltern zerrüttet und viele Väter alkoholsüchtig. Das Ergebnis der Studie überraschte jedoch. Eigentlich war zu erwarten gewesen, dass allen beobachteten Probanden ein schwieriges Leben bevorstünde. Doch ein Drittel der Kinder und Jugendlichen wuchs zu starken, fürsorglichen und leistungsfähigen Persönlichkeiten heran. Es wurde eines deutlich: Diese Kinder hatten etwas, was den anderen fehlte. Es gab in ihrem Leben wenigstens eine liebevolle Bezugsperson, die sich um sie kümmerte. Das konnte die Großmutter, ein Lehrer, die Tante oder ein Nachbar gewesen sein.
Die Resilienzforschung zog aus dieser Studie und weiteren Untersuchungen ihre Schlüsse und stellte sechs Resilienzfaktoren heraus:
1. eine realistische Selbst- und Fremdwahrnehmung,
2. die Fähigkeit, das eigene Verhalten auch unter Stress zu beeinflussen (Selbststeuerung),
3. die Überzeugung, aus eigener Kraft etwas verändern zu können (Selbstwirksamkeit),
4. soziale und kommunikative Kompetenzen,
5. ein konstruktiver Umgang mit Stress,
6. abrufbare Problemlösestrategien.
Zusätzlich bedarf es noch weiterer, innerer Potenziale, um in der Krise selbst zurechtzukommen:
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optimistische Lebenseinstellung,
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Planungskompetenz und Zielorientierung,
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aktive Bewältigungsstrategien und Kreativität, sowohl in Form von künstlerischer Verarbeitung von Erlebnissen als auch durch die Variabilität von Problemlösungen,
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persönliche Ressourcen und Strategien, wie starker Wille, Intelligenz, körperliche Konstitution oder eigene Haltung zum Problem.
Resilienz ist jedoch kein Fixum, sondern kann durch die Veränderung der Umwelt und der eigenen Kompetenzen beeinflusst werden.
Für uns Hochsensible ist dieses Thema durchaus interessant, da wir in der Analyse unserer individuellen Geschichte rückblickend erkennen können, was uns möglicherweise stabilisiert hat. Identifizieren wir die stärkenden Faktoren, können wir diese auch ganz gezielt für unseren aktuellen Integrationsprozess nutzen.
Viele Hochsensible berichten mir von besonderen Menschen, die in ihrer bedrückenden Kindheit für Erleichterung oder Kraft gesorgt haben. Diese Menschen haben heute natürlich meist nicht mehr den Stellenwert wie damals, aber sie mögen ein Hinweis darauf sein, welche Menschen und welche sozialen Bedingungen heute zur Unterstützung unseres Veränderungsprozesses beitragen können. Vielleicht haben Sie im Kindergarten ein bestimmtes Hobby ausgeübt, das Sie über die missliche Lage hinweg getröstet hat. So könnte auch heute dieses Hobby oder generell die Ausübung eines Hobbys Ihnen den Umgang mit schwierigen Situationen erleichtern. Möglicherweise war es aber auch Ihre Kontaktfreude oder intensive Zeiten in der Natur, die Sie die Belastungen ertragen ließ.
Zu erkennen, was Ihnen damals die Kraft zum Überleben gab, ist ein wichtiger Wegweiser, um heutige Krisen zu meistern. Wenn Sie durch Umwälzungen in Ihrem Leben plötzlich ziemlich alleine dastehen, kann das Wissen um Ihre mögliche Kontaktfähigkeit Sie darin ermutigen, wieder auf andere Menschen zuzugehen. Sind Sie hingegen ein Mensch, der meist durch Rückzug und in der Stille wieder zu seinen Kräften findet, können Sie die gut gemeinten Ratschläge Ihrer Freunde nach mehr sozialem Austausch in der Krise gelassen entgegennehmen und sich auf Ihr Wesen und Ihre Stärken konzentrieren.
Ihre individuellen Resilienzfaktoren zu kennen, wird Sie im Integrationsprozess in Ihrer Hochsensibilität stärken und stabilisieren.“
Soweit zu den Ausführungen der Berliner Diplom-Pädagogin Cordula Roemer. In zukünftigen Blogs werden wir in lockerer Folge noch näher auf verschiedene Aspekte von Resilienz eingehen. Dabei wird es vor allem um das Training von Resilienz und um stärkende bzw. schwächende Faktoren gehen.
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*Cordula Roemer: Hurra, ich bin hochsensibel! Und nun? Berlin 2017
Foto: Pixabay