Bedingungen für Vertrauen – Resilienz-Faktoren
Sylvia Wetzel* schreibt: „Wir brauchen Vertrauen ins Leben, damit wir Misserfolge und Enttäuschungen, Krisen und Umbruchzeiten verarbeiten können.
Medizin, Psychotherapie und Sozialarbeit haben lange vor allem auf das geachtet, was nicht funktioniert, schief geht und Leid verursacht. Die moderne Resilienzforschung untersucht nun vor allem die Bedingungen, die uns helfen, schwierige Erfahrungen zu verarbeiten, ohne daran zu zerbrechen oder zu verzweifeln, und dazu gehört auch die Fähigkeit, sich mit einer Situation, für die es keine Lösung gibt, abzufinden. Der Begriff ist abgeleitet von lat. resilio, resiliare, zurückspringen oder abprallen, und weist darauf hin, dass wir mithilfe dieser Resilienz-Faktoren auch nach sehr schwierigen Erfahrungen Körperspannungen, Emotionen und Gedanken regulieren und wieder in einen Zustand relativen Gleichgewichts gelangen können“.
Wetzel hat eine wunderschöne Übung entwickelt, bei der es um kurze Momente des Wohlbefindens geht. Sie hilft dir, kleine Momente am Tag zu entdecken, in denen du dich wohl fühlst – und seien sie auch noch so kurz.
Übung: Sternstunden
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Nimm dir ein paar Minuten Zeit und denke an eine kleine Situation aus den letzten Tagen, in der du dich wohlgefühlt hast – und sei es nur für ein paar Sekunden oder Minuten.
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Erinnere so viele Einzelheiten, wie du brauchst, um das Gefühl des Wohlbefindens wirklich zu spüren.
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Frage dich dann, welche Bedingungen eine Rolle gespielt haben:
– Warst du drinnen oder draußen in der Natur?
– Warst du allein oder mit anderen zusammen?
– Warst du in Ruhe oder in Bewegung?
– Welche Sinne standen im Vordergrund
(Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen)?
– Ging es vor allem um die Freuden der Sinne?
– Spielte Zuneigung zu Menschen eine Rolle?
– Hast du gerade selbstvergessen etwas getan?
– Ging dir ein Licht auf?
– Konntest du eine Erfahrung plötzlich in einem größeren Kontext sehen?
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Frage dich zum Abschluss, was du zukünftig tun kannst, um solche Momente zu fördern oder weniger zu blockieren.
Resilienz-Faktoren
Es gibt viele, auch sehr individuelle, Resilienz-Faktoren. Sylvia Wetzel beschreibt drei Gruppen von Ressourcen genauer, da sie viel mit den drei Dimensionen von Vertrauen zu tun haben: Freude, Beziehung und Sinn.
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Freude
Die Fähigkeit, dich an Sinneserfahrungen, Gefühlen und Gedanken, an Beziehungen und an der Natur erfreuen zu können, ist zentraler Bestandteil von Zuversicht und Selbstvertrauen.
Manchmal bist du jedoch so sehr im Denken und Handeln unterwegs, dass du völlig vergisst, dass du einen Körper hast. Du reagierst eher auf Gedanken und Ansprüche als auf die Signale deines Körpers. Lebensfreude hat aber sehr viel damit zu tun, dass du dich ganz spüren kannst, mit Körper, Geist und Seele.
Übung: Den Körper spüren
Nimm dir 10 bis 30 Minuten Zeit und spüre deinen ganzen Körper, von oben nach unten oder von unten nach oben. Nimm einfach all deine Körperempfindungen freundlich und neugierig zur Kenntnis: Wärme, Kälte, Anspannung, Entspannung, Kribbeln usw.
Freude ist ein einfacher und gut zugänglicher Weg. Sylvia Wetzel benennt unterschiedliche Arten der Freude: Sinnesfreuden wie z.B. durch Naturerlebnisse, ein offenes Herz, Sammlung und Einsicht. Dabei stärken Sinnesfreuden und Sammlung dein Selbstvertrauen, ein offenes Herz erleichtert Beziehungen und damit Vertrauen in andere und tiefes Verstehen (Einsicht) fördert dein Vertrauen in das Leben.
Du kannst gezielt Bedingungen suchen und schaffen, die dein Wohlbefinden fördern. Innehalten ist der Schlüssel dabei, es holt dich aus deinen Routinen und lässt dich für ein paar Momente staunen. Eine Hilfe dabei sind z.B. kleine Körper-Übungen wie ein paar Minuten lang die Arme zu schwingen oder den gesamten Körper durchzuschütteln.
Freude am Tun entsteht, wenn du einen einfachen Ablauf wie Tee trinken, Musik hören oder gehen genießt oder wenn du etwas tust, das tu gerne machst und du daher mit dem Herzen bei der Sache bist.
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Beziehung
Nicht nur der Körper und die Sinne schenken dir Freude, sondern auch ein offenes Herz. Das erlebst du, wenn du mit Menschen zusammen bist, die du kennst und schätzt. Wenn du mit anderen Menschen gemeinsam etwas tust, was du gerne machst, dann öffnet sich dein Herz von ganz alleine.
Außerdem sind tragfähige Beziehungen ein Ausdruck von Vertrauen in andere, und sie wecken und fördern dieses Vertrauen immer und immer wieder. Menschen sind beides, Individuen und soziale Wesen. Wir sind darauf angewiesen und darauf angelegt, mit anderen Menschen zusammen zu leben und zu arbeiten. Dabei ist unser Bedürfnis nach Kontakt jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt. Uns allen gemeinsam ist aber, dass wir unsere individuelle Freiheit genauso benötigen wie ein Gefühl von Zugehörigkeit und Geborgenheit in der Sippe, sorry, Gruppe. Durch das Ausloten der Extreme von Einsamkeit und Gruppenzwang können wir den Mittelweg der für uns passenden dynamischen Balance zwischen Freiheit und Geborgenheit finden.
Sylvia Wetzel erwähnt eine interessante These aus der modernen Soziologie: Menschen fühlen sich nach einem Umzug in eine andere Stadt dann am neuen Ort zu Hause, wenn sie etwa 30 Personen kennen. Und zwar gut genug, dass sie sie wiedererkennen, z.B. Nachbarn, Arbeitskolleginnen, die Verkäuferin im Supermarkt oder der Kassierer an der Tankstelle.
Und sie schreibt: „Mir scheint, die Unsicherheit und fehlende Zuversicht vieler Menschen heute hat mit einem tiefen Mangel an langfristigen und tragenden Beziehungen zu tun. Wenn wir unser Selbstvertrauen vor allem auf das bauen, was wir können, wissen und besitzen, wird es nie stabil. Wir brauchen den Glanz in den Augen von anderen, die sich über unser Dasein freuen. Wir wollen gesehen, anerkannt und verstanden werden, und wir möchten Zuneigung geben und erhalten.“
Und: „Wenn wir tief verstehen, dass wir andere Menschen als Spiegel und Inspiration brauchen, fällt es uns leichter, Rücksicht zu nehmen und Kompromisse zu schließen. Zum Selber-denken müssen wir allein sein. Wenn wir aber das, was wir gedacht haben, nicht mit anderen austauschen, verlieren wir über kurz oder lang die Fähigkeit, selber zu denken.
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Sinn
Ein berühmter Satz von Nietzsche lautet:
„Wer ein Warum hat, erträgt fast jedes Wie.“
Und der Begründer der Logotherapie Viktor Frankl geht davon aus, dass ein großer Teil der heutigen psychischen Probleme mit fehlendem Sinn zu tun hat. Dabei geht es ihm nicht um den großen Sinn des Lebens, sondern um die kleinen Dinge, die deinem Alltag Sinn und Bedeutung geben. Geld verdienen, Anerkennung, Konsum und Unterhaltung reichen dafür nicht aus. Menschen brauchen Anliegen, die ihnen etwas bedeuten und Bereiche, in denen sie das tun, was ihnen wirklich am Herzen liegt.
Die Betonung liegt darauf, dass du – allein oder zusammen mit anderen – etwas tust, das du bedeutungsvoll findest. Wenn du etwas tust, an dem dir wirklich etwas liegt, dann erlebst du dich als wertvollen Teil eines größeren Ganzen. Das wiederum fördert dein Selbstvertrauen und das Vertrauen in andere. Und häufig erlebst du im sinnvollen Tun nicht nur Freude, sondern deine scheinbar so stabile Ich-Identität lockert sich ein wenig und eine tiefere Dimension kann aufscheinen: Vertrauen ins Leben.
Prioritäten
Du brauchst ein gewisses Maß an Muße, einer Zeit ohne den Druck äußerer und innerer Zwänge, um zu spüren, wie es dir geht und um herauszufinden, was dir am Herzen liegt. Zu oft tust du Dinge aus Gewohnheit, Angst vor Liebesverlust oder Kritik oder aus innerer Unruhe. Du brauchst Muße, um deutlich zu spüren, was für dich wesentlich ist und was du wirklich für sinnvoll hältst.
Warum tust du so oft nicht die Dinge, die du richtig und wichtig findest?
Ein Grund dafür sind sicher die Ansprüche, die du an dich und dein Leben hast. Wenn du deine Ideale jedoch zu hoch hängst, hast du keine Chance, sie zu realisieren. Hilfreich ist da, die eigenen Ansprüche einmal aufzuschreiben und zu überprüfen, ob sie (noch) zu dir passen. Auch kann ein Gespräch mit einer guten Freundin oder einem guten Freund da Wunder der Ernüchterung und/oder Erleichterung wirken, denn sie kennen deine Stärken und Schwächen.
Manchmal verzettelst du dich auch, weil du womöglich tausend Dinge interessant findest und dir die Entscheidung schwer fällt, was du wirklich tun willst und kannst. Wenn du deine Prioritäten klärst, hast du mehr Energie für das, was dir wirklich wichtig ist.
Übung: Prioritäten klären – 3 Wünsche
Wenn du nicht genau weißt, was du wichtig findest, überlege dir einmal in einem entspannten Moment, was du in diesem Leben noch erleben und lernen oder auch lassen möchtest. Falls du meditierst oder andere meditative Übungen machst, denke am Ende der Übung an deine drei wichtigsten Wünsche. Diese Art des Wünschens in einer möglichst entspannten Verfassung unterstützt dich dabei, deine Energie auszurichten und sie hilft dir, deine Prioritäten zu klären.
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*zusammengefasst nach Sylvia Wetzel: Vertrauen. Finden, was mich wirklich trägt. München 2015
Foto: Pixabay