Was ist Selbstmitgefühl?

Meditation und Achtsamkeit haben in den letzten Jahren immer mehr Einzug in unser westliches Leben gehalten. Gerade auch unter dem Blickwinkel Stressbewältigung, Burnout-Prophylaxe und Prävention von depressiven Phasen. In diesem Zusammenhang fällt jüngst immer häufiger auch der Begriff „Selbstmitgefühl“. Was ist das überhaupt?

Komponenten des Selbstmitgefühls

Dr. Patrizia Collard1 schreibt: „Selbstmitgefühl heißt, auch dann freundlich zu sich zu sein und sich nicht zu verurteilen, wenn etwas schiefgeht. Eine wissenschaftliche Studie (…) kommt zu dem Schluss, dass Selbstmitgefühl für das menschliche Wohlbefinden entscheidend ist. Bisher hatten Sozialwissenschaftler ein gutes Selbstwertgefühl – eine positive Selbsteinschätzung verbunden mit der empfundenen Wertschätzung durch andere – als Voraussetzung für Wohlbefinden gesehen. Doch, nur an sich zu glauben, reicht offenbar nicht aus; erforderlich ist außerdem, sich selbst liebevoll zu behandeln. Selbstmitgefühl besteht aus drei Komponenten: liebevoller Umgang mit sich selbst, Menschlichkeit und achtsame Akzeptanz.

Nicht alle Menschen mit einem guten Selbstwertgefühl bringen auch Mitgefühl für sich auf. Doch ist wohl Selbstmitgefühl und nicht Selbstwertgefühl der Schlüssel zu Belastbarkeit angesichts von Widrigkeiten.“

Collard betont, dass Selbstmitgefühl auch die Basis für emotionale Heilung sein kann:

Nehmen Sie wahr, was in Ihnen aufsteigt, und reagieren Sie auf Herausforderungen so gut Sie können mit Güte, Geduld und Verständnis. Denken Sie daran, das Leben ist Veränderung, und auch der gegenwärtige Augenblick wird vorübergehen.“

Achtsamkeit und Selbstmitgefühl versus Entspannung

Maren Schneider2 weist auf den Unterschied zwischen Achtsamkeit/Selbstmitgefühl und Entspannung hin: „Alle Übungen, die Sie in diesem Programm finden, sind KEINE Entspannungsübungen. Sie dienen lediglich als Mittel, sich selbst zu erforschen und sich darin zu üben, mitfühlender, achtsamer, fürsorglicher und freundlicher mit sich selbst umzugehen. Das kann zwar manchmal durchaus entspannend sein, ist aber eben mitunter auch anstrengend.“

Im Kontext des Selbstmitgefühls betont sie: „Du darfst dir jede Situation, in der du dich befindest, so angenehm wie möglich gestalten, und in dem Maß, wie es gerade möglich ist. Du darfst für dich sorgen. Vielleicht macht es auch sonst keiner für dich. Gib dir selbst das, was du von anderen möchtest (…)“.

Grundlagen des Selbstmitgefühls

Ausgesprochen erhellend finde ich Schneiders Auflistung der acht Grundlagen der selbstmitfühlenden Achtsamkeit:

  1. Wertneutralität

    Selbstmitfühlende Achtsamkeit ist die Position einer neutral beobachtenden Person. Es geht darum, nur zu schauen, auf der Faktenebene, nicht auf der Meinungs- oder Interpretationsebene. Bleib im Kontakt mit dem Geschehen, wende dich weder ab noch zerrede es. Sei wirklich anwesend und präsent.

  2. Geduld

    Erkenne an, dass alles seine Zeit hat. Und gestehe dem, was geschieht, den Raum und die Zeit zu, die es für seine Entfaltung braucht.

  3. Anfängergeist

    Kein Moment gleicht einem anderen im Detail. Jede Situation ist vollkommen neu. „Sich im Anfängergeist zu üben bedeutet, die Welt und alles, was darin geschieht, immer wieder neu und wie zum ersten Mal zu betrachten.“

  4. Vertrauen

    Vertrauen kommt von ´sich vertraut machen`. Damit beginnt es. Nicht jeder ist gleich vertrauensvoll. Manchmal hat das Vertrauen in dich selbst, aber auch in Menschen und die Umgebung durch schmerzhafte Lebenserfahrungen sehr gelitten. Doch du kannst es langsam wieder aufbauen. Yoga, Meditation und Body-Scan werden dir dabei helfen, indem sie dir einen geschützten Rahmen geben, dich bewusst und ungestört mit dir selbst und den Empfindungen und Abläufen in deinem Körper, deinem Geist und mit dem, wie beide zusammenhängen, (wieder) vertraut zu machen. Dadurch wächst mit der Zeit dein Zutrauen in dich selbst.“

  5. Offenheit

    Offenheit ist die Fähigkeit, alles, was geschieht, ganz natürlich kommen und gehen zu lassen, es bewusst wahrzunehmen, jedoch ohne sich darin zu verfangen oder es zu verfestigen oder dich damit zu identifizieren. Jeder Moment ist einzigartig. (…). Übe dich darin, dich immer wieder für den gegenwärtigen Moment zu öffnen, ohne das, was geschieht, festzuhalten. Lass es passieren, nimm bewusst teil und lass es vorüberziehen. So bleibst du immer wieder offen für den jeweiligen neuen gegenwärtigen Moment.“

  6. Akzeptanz

    Akzeptanz bedeutet, die Dinge anzunehmen, wie sie sind, statt mehr daraus zu machen (Drama) noch sie herunterzuspielen oder zu verdrängen (Ignoranz).“ Das ist ein ganz bewusstes, waches Anerkennen von dem, was ist. „Die Dinge anzunehmen, wie sie sind (Akzeptanz) ist die Basis jeglicher Veränderung und Heilung.“

  7. Loslassen

    Etwas oder jemanden loszulassen ist eine bewusste Entscheidung, auf das Festhalten von Gedanken, Menschen oder Situationen zu verzichten. Das ist das Gegenteil von sich verbeißen oder verrennen. Je früher du es bemerkst, desto leichter wird dir das Loslassen fallen und desto kürzer ist deine Leidenszeit.

  8. Liebe und Selbstmitgefühl

    Hier geht es darum, freundlich und gelassen mit dir umzugehen, geduldig mit dir zu sein und eine Haltung des Wohlwollens dir selbst gegenüber zu entwickeln. „Wahrscheinlich ertappst du dich während deiner Übungen immer mal wieder dabei, dass du dich ziemlich hart kritisierst, nörgelnd mit dir redest oder forsch mehr Leistung von dir forderst. Beobachte, was diese Worte und inneren Tonlagen in dir auslösen. Wer hat in deinem Leben mit dir schon so geredet? Vielleicht hörst du dich Sätze sagen, die du von deinen Eltern her kennst. Erlaube dir, neue Formulierungen und Tonlagen zu finden, die sich für dich angenehmer anhören, dich beruhigen und dich fördern statt zu (über-)fordern oder dich abzukanzeln. Das geschieht nicht von heute auf morgen, es ist unter Umständen ein langer, vielleicht sogar lebenslanger Prozess. Doch mit der Zeit wirst du merken, dass sich eine sanftere Haltung in dir auszudrücken beginnt und du auch wohlwollender und verständnisvoller mit anderen umgehst.“

Auch ich bringe in meinen Achtsamkeits-Workshops zunehmend Übungen des Selbstmitgefühls ein. Zum einen, weil diese Aspekte ebenso wichtig für das „wahre Leben“ wie schön und besänftigend zu üben sind. Zum anderen, weil viele Menschen gerade im Hinblick auf Achtsamkeit und Meditation mit ganz vielen Scheren im Kopf in Form von blockierenden und Druck aufbauenden Glaubensmustern und Vorurteilen kommen. Zum Beispiel: „Ich darf nicht mehr denken“, „Ich muss ganz ruhig werden“, „Ich will alles richtig machen“ und so weiter. Die meisten sind extrem erleichtert, wenn ich zu Anfang klarstelle, dass es keineswegs um „sollen“, „müssen“ oder „wollen“ geht, sondern ganz im Gegenteil um Zeit und Raum und Liebe für dich selbst.

In diesem Sinne: Sei achtsam! Und vor allem: Sei lieb mit dir selbst!

Falls du dir ein bisschen Unterstützung dabei wünschst, melde dich gerne bei mir! 🙂

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1Patrizia Collard: Sei achtsam mit dir, München 2014

2Maren Schneider: Ein Kurs in Selbstmitgefühl. München 2016

Foto:Pixabay

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