Psychotherapie – Resilienztraining: Gehirn und Körper

In ihrem Buch zum Resilienztraining*, das ich hier schon vorgestellt habe, schreibt Claudia Croos-Müller ein sehr interessantes Kapitel zum Thema „Gehirn und Körper – zwei Kraftwerke“.

 

Schaltzentrale Gehirn

Dein Gehirn ist ein Meisterwerk. Es ist die Schaltzentrale für dein gesamtes Handeln, Denken, Fühlen, aber auch für deine Organe und Lebensabläufe. Dein Gehirn ist deine Person und deine Persönlichkeit. Ohne dein Gehirn wärst du tot. „Es ist das einzige Organ, das nicht transplantiert werden kann. Und selbst das Fehlen kleiner Teile oder Funktionsbereiche bedeutet größere Einbußen der entsprechenden Fähigkeiten. Prothesen wie bei einem fehlenden Arm oder Bein gibt es für das Gehirn nicht.“

Die Ärztin betont: „Ich bin nach so vielen Jahren als Neurologin immer noch voller Bewunderung für das Gehirn eines jeden einzelnen Menschen. Denn jedes Gehirn ist – was seine Erfahrung, sein Wissen, sein Können und seine besonderen Reaktionen betrifft – ein Unikat. Wir wissen trotz der rasanten Entwicklung der Neurowissenschaften bisher nur einen Bruchteil über all die komplexen Zusammenhänge des Gehirns. Und deshalb ist aus meiner Bewunderung sogar Ehrfurcht geworden.“

Zwar ist dein Gehirn nur etwa drei Pfund schwer, „aber diese drei Pfund bestehen aus 100 Milliarden Neuronen. 100 Billionen Synapsen – Nervenverbindungen – sorgen dafür, dass jedes dieser Neuronen direkt oder indirekt mit jedem anderen Neuron“ in deinem Gehirn und deinem Körper verbunden ist. Dein zentrales Nervensystem ist ein absolutes Hochleistungssystem mit einem entsprechend großen Hunger: das Gehirn verlangt 20% des Gesamtenergiebedarfs deines Körpers für sein Wohlergehen, ebenso reichlich Sauerstoff und Kohlenhydrate.

 

Die vier wesentlichen Hirnbereiche

 

Großhirn

Das Großhirn ist „zuständig für Bewegung, Hören, Riechen, Sehen, Rechnen, Sprechen, Zeichnen, Musizieren…“. Hier sitzen deine bewussten Vorgänge, dein Wille, dein logisches Denken, aber auch deine Kreativität. Du hast zwar viel Einfluss auf diesen Hirnbereich, dennoch arbeitet er recht eigenständig – für dich unbewusst – vor sich hin.

 

Zwischenhirn

Das Zwischenhirn liegt zwischen dem Großhirn und dem Hirnstamm. „Hier erfolgt die Verarbeitung zahlreicher Informationen und Signale und deren Weiterleitung. Hier wird auch die Trennung von unbewussten und bewussten Handlungen vorgenommen. Von hier aus werden außerdem Hormone und ihre Produktion, Blutdruck und Schlaf-Wach-Rhythmus gesteuert.“ Das Zwischenhirn macht sein Ding und du hast keinen direkten Einfluss darauf – aber einen indirekten schon.

 

Hirnstamm

Im Hirnstamm „sitzen die Steuerungszentren für Herzschlag, Atmung, Stoffwechsel und verschiedene Reflexe.“ Auch dieser Bereich ist ein „Freiberufler“, auf den du aber durchaus Einfluss nehmen kannst.

 

Kleinhirn

Zum Aufgabenbereich des Kleinhirns gehören „Gleichgewicht und Koordination, aber auch unbewusstes Lernen“. Das Kleinhirn ist teilweise deinem Willen unterworfen, andererseits aber „ebenfalls ein kluger Freiberufler“.

Die Gefühle sitzen hauptsächlich im Zwischenhirn. Eine große Rolle spielt dabei die Amygdala – der sogenannte Mandelkern – für zahlreiche Emotionen, unter anderem die Angst. Ansonsten gibt es offensichtlich auch an vielen anderen Stellen des Gehirns Gefühlsbereiche. Sie sind alle durch Nervenbrücken und -fasern direkt oder indirekt miteinander verbunden.

Croos-Müller spricht im Zusammenhang mit dem Gehirn zwar gern von einem Mega-Computer. Dieses Bild vermittelt aber nur annähernd das Potenzial dieses Organs. In Wirklichkeit ist dein Gehirn viel mehr und kann viel mehr als die künstliche Intelligenz eines Computers. „Das hängt nicht nur mit der neuronalen Plastizität des Gehirns zusammen, sondern auch mit seiner Fähigkeit, Emotionen und Intuition hervorzubringen und mit Handlungen zu verknüpfen. Das schafft keine künstliche Intelligenz.“

Dein Gehirn arbeitet extrem schnell. Das hängt mit seinen vielen Verbindungen und Verschaltungen zusammen. Es arbeitet derart schnell, „dass sogar im Gehirn selbst schon ein elektrischer Impuls zur Bewegung abläuft, bevor“ du diese Bewegung bewusst (!) gedacht, geschweige denn gemacht hast. „Da bekommt die Redewendung `Ich habe das mal angedacht´ eine ganz andere Bedeutung. Selbst der Hauch eines Gedankens reicht bereits, um im Gehirn alle Vorbereitungen für die Umsetzung zu treffen. Enorm viel läuft im Gehirn unbewusst ab und wir geben uns der Illusion hin, wenn wir glauben, im Oberstübchen so gut wie alles unter Kontrolle zu haben.

Genau darauf aber zielen viele Mentaltechniken ab (und schaffen es auch mehr oder weniger gut): Hirnfunktionen bewusst anzusteuern. Bei buddhistischen Mönchen, die besonders geübt in Meditation sind, konnte mithilfe der Kernspintomographie beobachtet werden, wie diese ganz bewusst bestimmte Gehirnbereiche, in denen Gefühle, Herzfrequenz oder Blutdruck lokalisiert waren, anpeilen und in ihrer Aktivität verändern konnten.“ Das kannst du mit ein wenig Übung auch!

In Croos-Müllers Buch geht es darum, durch Körperaktivitäten, Gesten und Haltungen, auf die du willentlich Einfluss nehmen kannst, deine Emotionen, deine Hormonproduktion und auch vegetative Funktionen wie Blutdruck oder Herzfrequenz positiv zu regulieren. „Solch einen psychomentalen Schalter je nach Situation und Bedarf tätigen zu können, bedeutet lebenskompetent und resilient zu sein.“

 

Kraftwerk Körper

Die Neurologin sieht den Körper als „intelligentes Nervenkraftwerk“. Er ist nämlich die Fortsetzung deines Gehirns, „weil ein riesiges Bündel aus Hirn-Nervenfasern im Hirnstamm gesammelt und über das Rückenmark“ in deinem ganzen Körper verteilt wird, „bis in die äußerste Zehenspitze, Fingerspitze, Nasenspitze. Aber nicht nur jeder Quadratmillimeter Haut und jede Muskelfaser sind mit Nervenfasern aus dem Gehirn durchzogen, sondern auch jedes Blutgefäß, jedes Organ“, dein Herz, dein Magen, dein Darm – einfach alles. „Diese dem Gehirn entspringenden Nervenleitungen im ganzen Körper dienen nicht nur dazu, Signale oder Befehle aus dem Gehirn an den Körper zu senden, der sie dann brav ausführt. Diese Nervenverkabelung dient auch dafür, dass umgekehrt der Körper Informationen an das Gehirn weiterleiten kann, aufgrund derer das Gehirn dann überhaupt erste eine Handlungsentscheidung treffen kann.“

Auch wenn dein Gehirn die Schaltzentrale ist – dein Körper ist ebenfalls ein „denkender Organismus“ und in seiner Bedeutung gleichberechtigt. „ein Gehirn ohne Körper erlebt nichts, weiß nichts und kann wenig.“

Dein Gehirn braucht deinen Körper zum Lernen und zum Handeln. Es wird sogar teilweise vom Körper gesteuert. Die Humanbiologie weiß heute, dass der Darm selbst zahlreiche Hormone und Neurotransmitter produziert, wie sie auch vom Gehirn hergestellt werden. Und dass der Darm mit seiner Nervenversorgung viele selbständige Entscheidungen trifft und damit auch das Gehirn beeinflusst. „Gehirn, Körper und Psyche sind eins und die Neurowissenschaftler finde dafür ständig neue Beweise.“

 

Embodiment – ohne Körper kein Bewusstsein

Tatsache ist, dass dein Gehirn „für seine Wahrnehmung und seine Arbeitsweise unbedingt Pläne und Vorstellungen von konkreten Gegenständen“ braucht und dazu auf körperliche Rückmeldungen angewiesen ist. „Die Kognitionswissenschaft beschäftigt sich mit diesem Phänomen und hat dafür den Begriff Embodiment geprägt. Embodiment ist die These, dass unser Bewusstsein unbedingt einen Körper benötigt. Die Ergebnisse der entsprechenden Forschungsrichtung verschaffen vielen körperorientierten Therapiekonzepten zunehmend ein wissenschaftliches Fundament. Dazu einige interessante Beispiele (…):

 

Kauen fördert das Denkvermögen.

Die Kieferbewegungen sorgen für eine bessere Sauerstoffaufnahme des Gehirns, Prüfungsaufgaben lassen sich daher mit einem Kaugummi im Mund besser lösen. Das ist sicher auch der Grund für das Phänomen, dass viele Menschen unter Stress beginnen, etwas zu essen (leider häufig Süßigkeiten).

 

Handbewegungen und lebhaftes Gestikulieren wirken sich positiv auf das Sprachvermögen aus. Menschen mit ausgeprägter Gestik sind intelligenter, bestimmte Bereiche ihres Großhirns sind besser entwickelt. Die Psychologin Susan Goldin-Meadow von der University of Chicago konnte bei Kleinkindern nachweisen, dass diejenigen, die beim Sprechen ihre Hände zu Hilfe nahmen, einige Jahre später einen deutlich größeren Wortschatz hatten als ihre Altersgenossen.

 

Wenn Menschen mit dem Kopf nicken, sind sie empfänglicher für positive Worte, beim Kopfschütteln werden dagegen eher negative Informationen abgespeichert.

 

Beim aufrechten Sitzen oder schwungvollen Gehen ist die Aufmerksamkeit und Konzentration für positive Begriffe besser. Bei zusammengesunkenem Sitzen oder schlurfendem Gehen werden von den Sinnesorganen und dem Gehirn viel mehr negative Worte aufgenommen und gemerkt.

 

Menschen, die schwungvoll gehen, haben eine höhere Lebenserwartung.

 

Wer etwas Warmes in seinen Händen hält, zum Beispiel eine Tasse mit einem warmen Getränk, ist freundlicher zu seinen Mitmenschen. Die von den Fingerspitzen gefühlte Wärme führt zu einer emotionalen ´Warmherzigkeit`.

 

Abschließend schreibt die Autorin: „Ich hoffe, dass Sie spätestens ab jetzt Ihren Körper mit der gleichen Achtsamkeit, Begeisterung und Hochachtung betrachten wie ich (…). Ihr Körper ist viel mehr als eine Maschine, die nur beliebig ein- oder ausgeschaltet werden kann.“ Sie möchte mit ihrem Ansatz auf vielerlei Art vermitteln, wie wir die großartigen Fähigkeiten unseres Körpers auf unser Gehirn segensreich nutzen können.

 

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Dr. med. Claudia Croos-Müller: Kraft. Der neue Weg zu innerer Stärke. Ein Resilienztraining. München 2015

Foto: Pixabay

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