Let´s talk about sex, baby (IV) oder: Wann ist man ein Mann und wann ist frau eine Frau?

Sex ist die schönste Nebensache der Welt, heißt es. In privaten und beruflichen Gesprächen taucht er gelegentlich bis regelmäßig auf. Dabei entsteht allerdings eher der Eindruck, dass es sich um die am meisten missverstandene Sache der Welt handeln könnte. Ganz ehrlich: Ich bin regelmäßig konsterniert, was ich so zu hören bekomme. Und auch davon, was ich noch in mir für alte Gespenster herumgeistern sehe. Deshalb, und weil ich mich schon seit sehr langer Zeit auf den verschiedensten Ebenen mit dem Thema beschäftige, jetzt mal wieder ein Blog von mir darüber.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist das Kapitel „Den inneren Mann und die innere Frau in Harmonie bringen“ aus einem Buch* über Neo-Tantra, in dem es v.a. um die Heilung in der Liebe, mehr Freude im Leben und die Transformation von Sexualität geht. Der Autorin geht es um die Verbindung der Lust des Körpers, der Freude des Herzens und der Ekstase des Geistes. Sie definiert Tantra als eine alte östliche Wissenschaft von der spirituellen Erleuchtung; als einen mystischen Weg, der Sexualität als Tor zur Ekstase und Erleuchtung mit einbezieht.

Im Kapitel über den inneren Mann und die innere Frau schreibt sie: „Warum verlieren so viele Menschen in einer Kultur, die dermaßen vom Sex gebannt ist, das Interesse daran? Warum verkümmert Sex in Beziehungen, die mit intensiven Erregungsgefühlen beider Partner begonnen haben, so häufig zur gelegentlichen, langweiligen Pflichterfüllung? Das Problem hat solche Ausmaße angenommen, dass der Ausdruck ´mangelndes sexuelles Begehren`, von Psychologen geprägt, zu einem medizinischen Fachbegriff für dieses weit verbreitete Syndrom geworden ist.“

Einschub: Übrigens bezog sich eine der vielen Fragen des Psychiaters während meiner Heilpraktiker-Prüfung auf den Themenkreis sexuelle Funktionsstörungen. Erst dachte ich: „Huch, da fällt mir jetzt gar nicht viel zu ein“, doch als ich erst einmal zu antworten begonnen hatte, kamen immer mehr Aspekte zusammen. Und, bitte beachten: Die Frage bezog sich auf FUNKTIONSstörungen, d.h. körperliche Beeinträchtigungen, bei denen Ärzte keinerlei medizinisch-organische Ursache ausmachen können.

Nun aber weiter zu Margot Anand. Sie glaubt, „dass Menschen sich oft in starren Geschlechterrollen festfahren, mit denen sie sich selbst begrenzen. Infolgedessen ist ihr Liebesspiel fantasielos geworden, denn sie wiederholen dabei mechanisch einen kulturell festgelegten Ablauf und genormte Reaktionen. Also wird Sex langweilig.

Weil unsere gegenwärtige Kultur die Geschlechter strikt in zwei Lager spaltet, glauben Sie vielleicht, dass Sie sich als Mensch, der mit einem Frauenkörper geboren wurde, ausschließlich weiblich verhalten, das heißt, eine Reihe gesellschaftlich vorgefertigter Rollen spielen müssen. So fühlen Sie sich vielleicht in der Beziehung zum Mann verpflichtet, immer nachgiebig, abhängig und fürsorglich zu sein, nur das zu tun, was ihm gefällt, und immer attraktiv aussehen zu müssen, um liebenswert zu sein. Wurden Sie mit einem männlichen Körper geboren, könnten Sie glauben, dass man von Ihnen ein ausschließlich männliches Verhalten erwartet. Sie meinen vielleicht, Sie müssten immer die Führung übernehmen sowie stark und kompetent sein und natürlich ein hohes Bankkonto haben.

Wie vieles von dem, was wir als weiblich und männlich bezeichnen, ein Rollenverhalten darstellt, das von der Gesellschaft beharrlich weitervermittelt und belohnt wird, könnten wir es als Risiko empfinden, die Grenzen dieser Rollen zu überschreiten. Viele Männer stehen unter dem Zwang, ihre weibliche Seite ignorieren zu müssen. Manche befürchten, als homosexuell zu gelten, wenn sie sich in irgendeiner Form weich oder verletzlich zeigen. Andere haben Angst, manipuliert und unterdrückt zu werden, wenn sie mit ihrer Gefährtin zu zärtlich sind. Und ähnlich lassen auch viele Frauen ihre unabhängige, männliche Seite nicht zu. Sie haben Angst, für Männer nicht mehr attraktiv und begehrenswert zu sein, wenn sie die Initiative ergreifen oder offen und ohne Umschweife ihre sexuellen Bedürfnisse äußern. Diese einseitigen Haltungen spiegeln sich dann auch in unserem Liebesspiel wider.“

Die Autorin ist davon überzeugt, dass ein Erweitern der geschlechtlichen Identität erlernt werden kann. Dass Menschen die weiblichen und männlichen Aspekte ihrer Persönlichkeit kennenlernen, mit ihren Liebsten zusammen erforschen und in ihrem Liebesspiel zum Ausdruck bringen können. Aus ihrer Sicht „ist kein Mann einfach nur Mann und keine Frau einfach nur Frau. Jeder Mann ist sowohl männlich als auch weiblich. Und jede Frau hat weibliche und männliche Seiten.“ Ihren Ansatz nach lässt sich in jedem Menschen ein dominierender und ein sekundärer Pol erkennen: „Beim Mann ist die dominierende Seite männlich und die sekundäre weiblich. Bei der Frau dominiert die feminine Seite, und die sekundäre ist männlich. Aus dieser Sicht erfordert eine stabile, glückliche Beziehung zwischen Mann und Frau das Verständnis, dass in jedem von uns eine Balance, eine innere Partnerschaft zwischen den männlichen und weiblichen Aspekten unseres Wesens hergestellt werden muss. Jeder von uns hat einen inneren Mann, der für unsere dynamische, aktive Energie steht, für das Setzen und Erreichen von Zielen und dafür, Dinge in Bewegung zu bringen. Diese Seite nennen die Taoisten den Yang-Aspekt unseres Wesens – das tätige, nicht-kontemplative Ich. Und jeder von uns hat auch eine innere Frau, nämlich die natürliche Fähigkeit, Dinge geschehen zu lassen, mit dem Fluss des Lebens mitzugehen, ohne sich Ziele zu setzen, sich zu entspannen und verspielt zu sein. Das ist es, was die Taoisten als Yin-Aspekt unseres Wesens bezeichnen – das kontemplative, intuitive, sozial orientierte Ich.

Die Vorstellung von einer Kombination männlicher und weiblicher Energie in jedem Individuum hat eine biologische Basis. Wissenschaftler haben erforscht, was sie die grundlegende Bipolarität unseres Wesens aufgrund der Koexistenz von männlichen und weiblichen Hormonen in jedem Mann und jeder Frau nennen. Hormone regulieren das Wachstum, das Geschlecht und die Entwicklung unserer sexuellen Energie. Aus tantrischer Sicht ist dem Mann durch die Existenz weiblicher Hormone in seinem Körper die Möglichkeit gegeben, das Weibliche in sich zu spüren und zu erfahren. Und ebenso steht es der Frau aufgrund der männlichen Hormone in ihrem Körper offen, ihre männliche Seite zu erleben.

Dieser biologischen Realität entspricht eine psychische. C.G. Jung studierte das Zusammenspiel von männlichen und weiblichen Komponenten in der Psyche des Individuums. Er erkannte ein feminines Element im Mann, das er die ´Anima` – das lateinische Wort für ´Seele` – nannte, und fand heraus, dass diese weitgehend unbewusst bliebe. Er mutmaßte jedoch, dass die kreativsten Tätigkeiten des Mannes von seiner Anima gespeist werden – seine Träume, Visionen, Einsichten sowie seine Inspiration und Intuition. Und ebenso postulierte Jung die Existenz einer männlichen Seele, eines ´Animus`, in der Frau und zog daraus den Schluss, dass es sowohl für Männer als auch Frauen von großem Nutzen sei, ihre Gegenseite bewusst zu entwickeln.“

Auf der Basis dieser Sichtweise können Menschen danach streben, für diese innere Polarität wacher zu werden und beide Seiten miteinander zu verbinden. Zu diesem Zweck kann die Frau den männlichen Aspekt erkennen, wenn er sich als Bestimmtheit, Ehrgeiz, intellektuelle Zielstrebigkeit und Forschungsgeist manifestiert. Um sich mit ihrem inneren Mann zu verbinden, kann sie sich in diesen männlichen Eigenschaften üben, die die patriarchalische Gesellschaft in Frauen üblicherweise unterdrückt. Auf gleiche Weise kann der Mann weibliche Eigenschaften wie Fürsorglichkeit, Anteilnahme, sinnliche Hingabe und Empfänglichkeit entwickeln, die in ihm ebenfalls als unmännlich unterdrückt werden.

Werden diese weiblichen und männlichen Eigenschaften bewusst entwickelt und verstanden, kann in einer liebevollen Beziehung in jedem der beiden Partner eine Verbindung dieser beiden Pole stattfinden.“ Das Ziel kann dabei ein Bewusstseinszustand sein, „der beide Geschlechter in einem Körper umfasst und sich über diese innere Dualität hinaus auf einen Zustand des Eins-Seins zubewegt.“

Hochinteressant finde ich Anands Gegenüberstellung einer Frau, „deren innerer Mann noch schläft“ und einer, „deren innerer Mann erwacht ist und die die beiden Pole in sich vereint hat:

Ihr innerer Mann schläft:

Sie sagt niemals oder selten nein. Sie fühlt sich gezwungen, ja zu sagen, weil sie Angst hat, abgelehnt zu werden, wenn sie ihre wirklichen Gefühle zeigt.

Ihr innerer Mann ist erwacht:

Sie riskiert es, nein zu sagen, weil sie sich selbst respektiert, ihre Grenzen kennt und keine Angst hat, diese deutlich zu machen.“

Entsprechend gibt es auch noch eine Gegenüberstellung der beiden männlichen Haltungen zur inneren Frau:

Seine innere Frau schläft:

Er sagt beim Liebesspiel niemals ein Wort. Wenn die Frau sich mitteilen will, erwidert er: ´Sei still, du verdirbst alles.`

Seine innere Frau ist erwacht:

Er hat beim Liebesspiel keinerlei vorgefertigte Vorstellungen, ist jederzeit offen für Veränderungen und bereit, seiner Partnerin zuzuhören.“

 

Soweit Margot Anand mit ihrem Ansatz.

Ja, ich weiß, meine Buchausgabe hier ist von 1989 und mittlerweile sind wir, zumindest theoretisch, von der Unterteilung in zwei Geschlechter abgekommen und sprechen von Frau/Mann/Divers.

Ja, ich weiß, einige von Anands Ausführungen klingen reichlich pauschal schwarzweiß und in bestimmten Kreisen sind wir heute schon viel, viel weiter. In bestimmten Kreisen! Wenn du dich allerdings auf der Straße, in öffentlichen Einrichtungen und Verkehrsmitteln, in der kompletten Medienlandschaft und in deinem unmittelbaren Umfeld umschaust, sieht es in der Regel ganz, ganz anders aus als bunt, liberal, modern, offen und tolerant, nicht wahr? Technisch sind wir so weit, dass wir die Welt verändern und zu großen Teilen zerstören können. Demgegenüber sind wir emotional und sozial so weit zurück, dass wir noch immer nicht genug dagegen tun (können), dass eben diese angeblich so fortschrittliche Welt diejenigen kaputt macht, die nicht einem gewissen Bild entsprechen.

Was aber hat all das mit der Praxis EINKLANG-HARBURG zu tun? Nun, wie du bei der Durchsicht meiner Website sehen wirst, bin ich weder Tantrikerin noch Paarberaterin noch Sexualtherapeutin. Wenn du meine Mission liest, wirst du aber feststellen, dass auch ich in meinem Leben oftmals nicht dem erwarteten Bild entsprochen habe, aber daran erstarkt statt zerbrochen bin. Außerdem stelle ich in meiner Arbeit als Heilpraktikerin für Psychotherapie immer wieder fest, dass das Selbstbild bei allen Menschen ein Thema ist, häufig auch in Bezug auf bestimmte Rollenbilder und gesellschaftliche Erwartungen. Diese Irritation und Verunsicherung kommt mal mehr, mal weniger direkt zum Ausdruck und ist doch die Grundlage von vielem, wenn nicht gar allem, was im Leben gut oder eben nicht so gut läuft.

Das Thema Sexualität und sexuelle Identität kommt regelmäßig zur Sprache, doch immer recht verhalten und verschämt, auch bei jungen Menschen. Bei meiner ehrenamtlichen Tätigkeit in einer öffentlichen Beratungsstelle waren Themen wie Fetischismus und das Gefühl, im falschen Körper zu stecken, regelmäßig wiederkehrende Gesprächspunkte. Allerdings fast ausschließlich in der telefonischen, nicht der persönlichen Beratung. Um ein komplexes Thema nur grob zu skizzieren, ist unsere moderne Gesellschaft mitnichten so aufgeklärt und locker unterwegs, wie es scheinen mag. Manchmal scheint es sogar im Gegenteil so zu sein, dass junge Menschen zwar nicht mehr repressiv aufwachsen, aber vor lauter Sex und Rollenvielfalt um sich herum überhaupt nicht wissen, was real und was medial ist, was (für sie) geht und was nicht und wo überhaupt oben und unten ist. Ich nehme da eine riesige Orientierungslosigkeit und Verunsicherung wahr und bin tief bestürzt, was mir besonders Frauen im geschützten Rahmen berichten von sexueller Unlust, Krämpfen, Anorgasmie usw.

Worauf will ich hinaus? Auch wenn ich keine explizite Sexualtherapie anbiete, ist das Thema Sexualität und das eigene Rollenverständnis in meinen Beratungen alles andere als ein Tabu. Vielmehr ist es für mich in den Jahrzehnten, die ich mich mit den Themen Persönlichkeitsentwicklung in Theorie und Praxis beschäftige, immer integraler Bestandteil des Ganzen gewesen. Das ist für mich ein derart wichtiger Teil des Lebens und meiner Ausbildung, dass ich bisher nicht explizit darauf hingewiesen habe. Nun ist mir klargeworden, dass ein deutlicher Hinweis zu mehr Transparenz führen und Unsicherheiten entgegenwirken kann.

Herzliche Einladung:

Wenn du als Frau mit deinem Körper, deinem Frau-Sein und deiner Sinnlichkeit haderst oder immer wieder an eine bestimmte Grenze stößt und nicht darüber hinauskommst, melde dich gerne bei mir. Normalerweise biete ich telefonische Beratungen nur an, wenn wir uns bereits persönlich kennengelernt haben. In diesem Punkt würde ich aber eine Ausnahme machen, falls du sonst nicht über die Hemmschwelle kommst und dich erst einmal vorsichtig an das Thema und meine Arbeitsweise herantasten möchtest. Melde dich per Kontaktformular, Email oder Telefon bei mir und wir besprechen alles Weitere. Sei mutig!

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*Margot Anand: Tantra oder Die Kunst der sexuellen Exstase München 1989

Foto: Pixabay

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