Neulich habe ich schon das Buch „Dynamische Entspannung“ von Peter Bergholz hier vorgestellt und angekündigt, dass eine Vorstellung und Besprechung des „Vorgängers“ folgen wird. Also bespreche ich hier heute noch ein Buch über Biodynamische Übungen!
Gerda Boyesen & Peter Bergholz:
Dein Bauch ist klüger als du. Stress umwandeln. Sex beleben. Ängste lösen. Entspannt schlafen. Täglich Glück empfinden.
Hamburg 2003
Die Autoren
„Peter Bergholz ist Diplompsychologe sowie Familien- und Verhaltenstherapeut. 14 Jahre lang leitete er eine große evangelische Lebens- und Erziehungsberatungsstelle bei Hamburg. Anschließend gründete er 1993 das Zentrum für Stresslösung im Odenwald. ´Mache die Dinge so einfach wie möglich, aber nicht einfacher.` Dieses Zitat von Albert Einstein wurde sein Leitmotiv bei der Suche nach neuen Selbsthilfeansätzen, die auch eher skeptische Menschen ansprechen. Die Entstehungsgeschichte der Dynamischen Entspannung geht bis in die achtziger Jahre zurück, als eine langjährige Zusammenarbeit mit Gerda Boyesen begann. Die Begründerin der Biodynamischen Psychotherapie erkannte sehr früh die Bedeutung der positiven Emotionen für alle Lebensbereiche. Peter Bergholz konnte die Dynamische Entspannung seitdem in vielen Gruppen erproben und weiterentwickeln.“
Der Klappentext
„Gespürt haben wir es schon immer, jetzt weiß es auch die Schulmedizin: Druck, Unruhe, Ängste, chronische Ermüdung, Lustlosigkeit und andere Lebensfeinde entstehen im Bauch. Und nur hier können sie wirksam gelöst werden. Die norwegische Psychotherapeutin Gerda Boyesen hat dies bereits vor 40 Jahren entdeckt, ihre Gedanken und Methoden zur Befreiung der Lebensenergien aus dem Bauch heraus machten sie später weltweit bekannt.
Peter Bergholz, Diplom-Psychologe, traf Gerda Boyesen im Jahre 1981; zusammen verschrieben sie sich dem Ziel, die neue Entspannungsmethode auch außerhalb der Psychotherapie populär zu machen. So entstanden die `Goldenen Fünf´ Übungen der Dynamischen Entspannung, die jetzt erstmalig vorgestellt werden (…)“.
Das Buch
Nach einem Vorwort von Gerda Boyesen und einer Einführung von Peter Bergholz folgen eine Kurzbiographie von Boyesen und einige Ausführungen zu den drei fundamentalen Konzepten der Biodynamischen Psychologie.
Dann folgen die drei Hauptteile des Buches:
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Der erste Teil beschäftigt sich mit der Lebensenergie und enthält Gedanken zu dem Strömen des Lebensglücks, die Lebensenergie beeinträchtigende Faktoren wie Anspannung und Stress, die Bedeutung der Restspannung, das Hören auf die eigenen Bedürfnisse und die Stimme des Bauches und natürliche Heilung durch die wunderbare Kraft der Lebensenergie.
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Der zweite Teil widmet sich dem Thema „Hilf dir selbst – wer sonst kann es tun?“. Er enthält Gedanken zu sechs verschiedenen Szenen aus dem Alltag: 1. mit Kindern Freude haben, 2. lebendig älter werden, 3. Sex voller Spannung und Leben ohne Sex, 4. Schritte aus der Angst, 5. Partnerschaft ohne Ermüdung und 6. Lebenslust statt Depression.
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Im dritten Teil finden sich Übungen zum Leben aus dem Bauch heraus. Dieser Abschnitt ist der Praxisteil des Buches. Er beginnt mit Ausführungen zum Thema: Leben ist Bewegung, Bewegung ist Leben. Es folgt die Vorstellung der sogenannten Winning Moves/Gewinnende Bewegungen zum Erleben von Glück anstelle von nervöser Anspannung im Alltag und dem sogenannten Alpha-Blues (zusammenfließende, sich verselbständigende Bewegungen voller Leichtigkeit und natürlichem Rhythmus) und Psychoperistaltics (Bauchgeräusche werden hörbar und zeigen an, dass auch die inneren Strukturen in gute Bewegungen kommen).
Die folgenden zwei Punkte sind so essentiell, dass ich sie genauer ausführe:
Die vier Phasen der Biodynamischen Übungen
1.
Die erste Phase ist das Anfangen: Raus aus der Passivität und den Gewohnheiten, den inneren Schweinehund überwinden.
Wichtige Strategien dazu sind:
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Regelmäßigkeit
Übe konsequent und regelmäßig ohne nach Lust und Laune zu fragen.
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Unterstützer
Schließe dich mit Gleichgesinnten zusammen.
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Akzeptieren
Nimm deine innere Verfassung mit in die ersten Minuten! Lass Müdigkeit, Schwere und Unlust in die Bewegungen einfließen. Beginne so, wie du dich gerade fühlst. Mit der Zeit wirst du merken, dass es dir leichter fällt, die Bewegungen sich verselbständigen und die Atmung sich vertieft.
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Das Passende finden
Wähle die Art von Bewegung, die dir zusagt. „Je normaler es für uns wird, unseren Körper zu bewegen, desto besser können wir in unseren Körper hineinhorchen und Verspannungen bemerken, um sie zu lösen. Wenn wir uns einfach bewusster machen, dass Bewegung gut für unseren Körper ist, werden wir unseren ganzen Körper, von Kopf bis Fuß, auch tatsächlich häufiger liebevoll und sanft bewegen!“
2.
Die zweite Phase ist das Loslegen, Herausfordern, bis an die Grenzen gehen.
Hier geht es um die Überwindung der Schongrenzen. Damit sind nicht nur körperliche Grenzen gemeint, sondern auch um Ausdrucksgrenzen (leise, beherrschte Stimme; knappe und kontrollierte Bewegungen) und mentale Grenzen (Orientierung am Machbaren und Sichtbaren). Es gibt kein Wachsen und kein Weiterkommen ohne Stimulation und Herausforderung. Boyesen und Bergholz „propagieren die Idee eines bewegten Lebens, das bedeutet vor allem die Pflege der eigenen und vielfältigen Bedürfnisse – sie sind die Antriebskräfte unseres Seins. (…) Das Gegenprogramm ist das verschonte Leben“ ohne Anstrengung und Aufregung.
3.
Die dritte Phase ist das Loslassen: „Die Energieaufnahme hat ihren Höhepunkt erreicht, der Organismus schaltet um und gleitet in den Prozess des Loslassens, der Entspannung. Jetzt transformiert sich die erregte rote Energie in die abfließende, wohltuende blaue Energie. Auf der Ebene des Nervensystems reguliert jetzt der Parasympathikus weitgehend das innere Geschehen.“
4.
Die vierte Phase schließlich besteht im Loswerden – Psychoperistaltik.
„In der Stille passieren die wirklich entscheidenden Dinge!“ Äußerlich passiert hier wenig: Die Teilnehmenden liegen – vorzugsweise auf der linken Seite – oder sitzen weitgehend bewegungslos und in sich versunken. Alle Aktivitäten verlagern sich nach innen, in das körperliche und mentale Verdauungssystem. Die Aktivierung der Psychoperistaltik, der natürlichen Darmgeräusche durch die Darmtätigkeit, löst die Restspannung und die vorhandenen Blockaden und sorgt so für eine Befreiung aus dem Bauch heraus.
Die Goldenen fünf Lebenshelfer
Boyesen und Bergholz stellen am Ende des Buches fünf Varianten der Dynamischen Entspannung vor:
1. Der Angstfresser
Bei dieser Übung geht es darum, Ängste, Schuldgefühle, Panikattacken und Sorgen aus eigener Kraft zu besiegen. Nach dem Autorenteam wird Angst im Kopf gedacht und beginnt dann im Bauch.
Die erste Phase ist eine Form sehr langsamen Laufens.
Die zweite Phase im Liegen besteht aus Arm- und Beinbewegungen.
Die dritte Phase ist die Erholungsphase zum Verschnaufen.
Falls wieder Ängste aufsteigen sollten, wird noch eine weitere Bewegungsphase eingelegt.
Die vierte Phase dient schließlich dem Loslassen und der Erholung mit kleinen Bewegungen im Liegen, Sitzen oder Stehen. Sie endet mit dem Loswerden beim Liegen auf der linken Seite.
2. Der Stresslöser
Die vier Phasen des Stresslösers aktivieren und harmonisieren und bringen dich in Kontakt mit deinen Flow-Fähigkeiten. Der Zustand des Flows, des inneren Fließens, „ist die Basis für Begeisterung, Erfolg, Inspiration, Ausstrahlung, Freundlichkeit, gute Laune und Mut.“
Die erste Phase ist wieder ein sehr langsames Laufen mit entsprechenden Armbewegungen.
Die zweite Phase besteht aus befreienden Bewegungen im Stehen: aufstampfen, schütteln, ausschlagen, boxen. Es folgt der sogenannte „Stressbogen“ aus der Bioenergetik.
Die dritte Phase ist die des Loslassens im Liegen mit Recken und Strecken.
Sie endet mit dem Loswerden beim Liegen oder Sitzen.
3. Der Lust & Liebe-Turbo
Hierbei geht es um die Aktivierung sexueller Energie bei „lahmen Lenden“. „Auch und gerade Sex hat mit Strömen zu tun, anatomisch, psychologisch, energetisch, mental. Und auch hier lässt sich die Logik der Natur nicht aushebeln. Kein Kribbeln im Leben – kein Prickeln im Bett.“ Der Lust & Liebe-Turbo soll ein Gegenprogramm sein und wieder den Kontakt zu der Lustströmung herstellen.
Die erste Phase besteht aus einem Durchschütteln des Körpers und der Stimme sowie aus Beckenkreisen.
Die zweite Phase beinhaltet Beckenbewegungen im Liegen und Beckenbodentraining. Die dritte Phase besteht aus Recken und Strecken in Rückenlage und langsamen Kniebewegungen im Rhythmus mit Kiefer, Lippen und Zunge, sogenannte Let-Go-Bewegungen.
Danach folgt wieder die letzte Phase der weitgehenden Passivität im Sitzen oder Liegen, bis die Psychoperistaltik hörbar wird.
4. Das ultimative Schlaflied
Dieses Programm ist eine Selbstbehandlungstechnik. Das Autorenteam empfiehlt dafür die Anschaffung eines elektrischen Stethoskops.
Bei der erste Phase liegst du im Bett und kannst nicht einschlafen oder bist zu früh aufgewacht. Du nimmst jetzt das bereitliegende Stethoskop und befestigst es unterhalb des Bauchnabels.
Nun gehen die beiden Phasen des Loslegens und Loslassens ineinander über: Du bewegst ganz leicht die Finger, Hände oder Füße, z.B. in einem sanften Kreisen. Mit der Zeit merkst du, dass bestimmte Bewegungen deine Psychoperistaltik hörbar machen. Das bedeutet, dass sich Spannung im Bauch löst und Entspannung durch alle Zellen strömt. Das sind deine individuellen Schlüsselbewegungen.
Die übliche Phase des Loswerdens entfällt, weil du eingeschlafen bist!
5. Die Glücksspirale: Tägliche Lebensfreude
Die Glücksspirale ist eine Bewegungsmeditation zu Musik.
Sie beginnt mit einem zehnminütigen Antraben, einem ganz langsamen „Joggeln“ durch den Raum oder auf der Stelle.
Es folgen 3 – 5 Minuten Loslegen/in die Kraft laufen: du strengst dich etwas an, erhöhst das Lauftempo und hebst dabei die Knie stärker an.
Lege dann eine ein- bis zweiminütige Erholungsphase ein, bevor du zum Loslassen aus dem Bauch heraus übergehst. Dabei stehst du zehn Minuten fest auf dem Boden und drehst deinen Oberkörper um die eigene Achse. Strecke dabei die Arme aus. Dieses Schwingen ist wunderbar entspannend und leicht.
In der vierten Phase sitzt du für dich allein und aufrecht oder mit einer anderen Person Rücken an Rücken, summst mit der Musik und versetzt dich in leichte Schwingungen.
Zum Abschluss legst du dich zehn Minuten hin und lauschst den Tönen in deinem Bauch. Stelle dir vor, wie sich jetzt die tiefsten Anspannungen lösen.
Die Video-CD zum Buch
Dem Buch liegt eine Video-CD bei. Bei den Filmen handelt es sich um kommentierte Mitschnitte aus Seminar- und Trainingssituationen.
Auf der Video-CD siehst du fünf verschiedene Einheiten:
1.
Gerda Boyesen leitet eine Biodynamische Schönheitsbehandlung an.
Mit einer sehr einfachen biodynamischen Selbstbehandlung wird gestaute Energie im Bindegewebe der Gesichtshaut aufgelöst.
2.
Gerda Boyesen leitet eine Biodynamische Energie-Selbstbehandlung an.
„Wenn die Lebensenergie strömt, dann wächst die eigene Ausstrahlung. (…) Hier geht es darum, durch Selbstmassage oder andere einfache Behandlungen die Schlüssel zum Auflösen der Stauungen zu finden. Die Bauchgeräusche zeigen den Erfolg an.“
3.
Kennenlernen der Gewinnenden Bewegungen – Die sieben Starter:
Diese Starter kannst du anwenden, wenn du dich müde, schwach oder freudlos fühlst.
Atempumpe:
„Mit dem Atem steigt das Leben hoch! Die Atempumpe kann überall unbemerkt angewendet werden, auch im Angesicht eines wütenden Chefs und in der stickigsten Konferenz.“
Der freie Kopf:
„Hier genügen sanfte Bewegungen und die Gedanken fangen an, sich zu verändern.“
Bewegte Kiefer:
„Vor schwierigen Situationen besonders zu empfehlen, hier wird häufig festgehalten, was uns lebendig und ausdrucksstark macht.“
Vitale Schultern:
„Der wirksame Schutz gegen die schleichende Lust, es sich schwer zu machen.“
Tanzende Arme:
„Nur bewegliche Arme handeln zielgerichtet.“
Kraftvolles Becken:
„Im Laufe der Jahre werden viele Becken steif. Power, Lust und Liebe schwinden dahin…“
Lebendige Beine sind starke Beine:
Eine Einladung, etwas über dein eigenes Bewegungsmuster herauszufinden.
4.
Gerda Boyesen leitet an: Gewinnende Bewegungen
Vitale Schultern – Tanzende Arme – Kraftvolles Becken – Lebendige Beine
Hier ist auch der Einsatz eines Stethoskops zu beobachten.
5.
Der Übergang zum AlphaBlues
AlphaBlues „ist ein Kunstwort für (…) die Bewegung aus der Bewegung heraus. Es ist das Gegenprogramm zur Anpassung und falsch verstandener Selbstkontrolle; immer individuell und jedes Mal ein Unikat.“
Auf dem Video sind drei kleine Tänze zu sehen, die das Ziel verfolgen, Anspannungen loszuwerden und das Leben (wieder) zu spüren.
Meine Meinung
Insgesamt bin ich zu wenig mit der Thematik vertraut, um das Buch fachlich einordnen zu können. Unbestritten ist, dass Gerda Boyesen auf ihrem Gebiet mit der Verbindung von Psychotherapie und Körperarbeit eine wichtige Pionierarbeit geleistet hat. Auch macht es Sinn, diese Arbeit weiter zu führen und die Entspannungsmethode auch außerhalb von psychotherapeutischen Settings zu verbreiten, was sich Peter Bergholz auf die Fahnen geschrieben hat.
Was mir gefällt, sind die einfachen, aber effektiven Übungen wie die goldenen fünf Lebenshelfer. Auch finde ich die ausführlichen Gedankengänge zu der Bedeutung von Ver- und Entspannung, die Stimme des Bauches und das darin zum Ausdruck kommende Vertrauen in die Kraft der Lebensenergie und die dem Menschen innewohnenden Selbstheilungskräfte ganz wunderbar.
Schwierig finde ich die Unübersichtlichkeit des Buches – alleine schon das dreiseitige Inhaltsverzeichnis finde ich erschlagend. Auch wenn Boyesen und Bergholz durch verschiedene Schriften deutlich machen, welche Gedanken von wem stammen, wirkt das Buch unangenehm bruchstückhaft und fragmentiert. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein solcher Werkstattcharakter in der praktischen Arbeit mit Gruppen lebendig und bereichernd ist. In einem Buch finde ich das störend, weil es den Lesefluss und das Mitdenken extrem erschwert. Da hätte ich mir ein großes Ganzes, eine runde Sache gewünscht.
Dennoch würde ich aufgrund der formalen Einschränkungen nicht von der Lektüre abraten, da die Inhalte unbedingt bedenkens- und empfehlenswert sind!
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Foto: Pixabay