Psychotherapie – Zart besaitet (Hochsensibilität)

Heute stelle ich ein weiteres Buch zum Thema Hochsensibilität vor, mit dem ich mich sowohl persönlich als auch im Rahmen meines Arbeitsbereiches Psychotherapie/Beratung beschäftigt habe.

 

Georg Parlow:

zartBesaitet. Selbstverständnis, Selbstachtung und Selbsthilfe für hochsensible Menschen.

Wien 2003

Der Autor

Georg Johann Parlow ist Jahrgang 1956 und selbst hochsensibel. Er ist Schriftsteller, Journalist, Ethnobotaniker, Gärtner, Permakulturdesigner und -berater, Seminar- und Gruppenleiter, Gesprächspsychotherapeut, Maler, Grafiker und Webdesigner, außerdem Hausmann und Vater von vier Kindern. Rege Reisetätigkeit, mehrjährige Studienaufenthalte in Kalifornien, Australien und den Fidschi-Inseln. Er lebt mit seiner Frau in Wien.

 

Der Klappentext

Ein befreiendes Buch von, über, aber nicht nur für hochsensible Menschen.

Woran erkennen wir sie? Worin unterscheiden sie sich? Wie kommt es dazu?

Welche Auswirkungen hat es auf…

– ihr allgemeines Wohlbefinden?

– ihr Beziehungsleben?

– ihr Arbeitsleben?

– ihre Gesundheit?

Was ist ihr Platz in der Welt…

– von der Natur vorgesehen?

– von der Kultur zugewiesen?

Welche Folgen hat das…

– für die hochempfindlichen Menschen?

– für die Gesellschaft?

Was können wir tun, um uns in dieser (über-)fordernden Welt wohl zu fühlen?

Hochsensible Menschen haben Wahrnehmungen, Bedürfnisse, Begabungen aber auch Schwächen, die sie vom Großteil der Bevölkerung unterscheiden. Die Hochsensiblen sind in der Minderzahl, aber nicht so wenige, wie viele von ihnen glauben, und beileibe keine Abnormität. Dieses Buch befasst sich detailliert mit den Gemeinsamkeiten und Eigenheiten der Hochsensiblen, bietet erhellende und erleichternde Einsichten, erklärt Zusammenhänge von persönlicher und gesellschaftlicher Relevanz und enthält Ansätze zu einer ´Gebrauchsanweisung` für Betroffene. Das kompetent und persönlich geschriebene Buch ist eine Bereicherung für alle hochsensiblen und interessante Lektüre auch für nicht hochsensible Menschen.“

 

Das Buch

Das Buch ist in acht Kapitel unterteilt:

Freude und Last

Besonderheiten

Mehr Fakten und Vermutungen

Körperliche und seelische Gesundheit

Selbstmanagement für hochempfindliche Menschen

Zwischenmenschlichkeit

Das weite Feld der Arbeit

Reichtum

 

Im ersten Kapitel geht es um die Punkte Minderheit und Mehrheit, den Begriff der „Stimulation“, das unberechtigte Gefühl, „nicht in Ordnung“ zu sein sowie um Gemeinsamkeiten hochsensibler Menschen, Selbstzweifel und Wege der Heilung und Selbstbestimmung.

Ein Zitat, das eine wichtige Aussage des Buches enthält: „Jeder Mensch, egal wie empfindlich, hat eine persönliche Behaglichkeitszone in Hinsicht auf die Menge, Intensität und Dauer von Eindrücken aller Art. Unterhalb der Behaglichkeitszone fühlen wir uns unterfordert oder gelangweilt, Darüber fühlen wir uns gestresst oder überfordert.“

Und: „Viele Schwierigkeiten des Zusammenlebens ergeben sich aus der sehr menschlichen Tendenz, von sich selbst auf andere zu schließen. Im Zusammenspiel mit den eben genannten Punkten über die unterschiedlichen Behaglichkeitszonen ergibt sich eine konfliktträchtige Mischung.“

 

Das zweite Kapitel widmet sich den Eigenheiten in der sinnlichen Wahrnehmung, dem reichhaltigen Innenleben hochsensibler Menschen, der außersinnlichen Wahrnehmung, der tieferen Verarbeitung aller Eindrücke, der ausgeprägten Intuition, der Neigung zu Überstimulation und bestimmter Tendenzen in Verhalten und Eigenschaften.

Eine zentrale Aussage zur tieferen Verarbeitung von Eindrücken: „Hochempfindliche Menschen (…) sammeln unwillkürlich viel höhere Datenmengen, verarbeiten diese Daten tiefer und gründlicher, stellen gleichzeitig Querverbindungen zu bereits Abgelegtem her und versuchen, die Daten möglichst stimmig und für zukünftige Querverbindungen abrufbar (…) zu speichern. Komplexe Datenmengen verursachen daher ein langes `Nachhallen´, um verarbeitet zu werden und dies braucht (…) Zeit und Kapazitäten.“

 

Im dritten Kapitel beschäftigt sich Parlow mit der Geschichte der Forschung zum Thema und dem Krankheitsbegriff, den zwei grundlegenden Reaktionsmustern der Intro- und Extrovertierung, diversen Eigenheiten wie z.B. leichtes Erschrecken und Phasen von Weltschmerz. Er bespricht, dass Hochsensibilität vermutlich angeboren ist, dass hochsensible Menschen tatsächlich eine Klasse für sich sind, diskutiert Licht und Schatten der Hochsensibilität und den Punkt, dass Biochemie nicht alles ist.

Sehr spannend finde ich in diesem Kapitel die Ausführungen zu Ergebnissen der neueren psychologischen Forschung. Diese „spricht von zwei einander entgegengesetzten Systemen im Gehirn, deren Kombination den Grad der Intro- oder Extrovertierung bestimmt. Das eine System, `Verhaltensaktivierung´ oder `Annäherung´ genannt, ist dafür zuständig, uns Dingen (besonders neuen) zu nähern. (…) Sein Gegenstück, das System ´Verhaltenshemmung` oder ´Rückzug` ist im Grunde ein Warnsystem. Es ist ein Reflexionssystem, das uns langsamer macht, auf Gefahren achten und vorsichtig sein lässt.“

Danach lassen sich vier Typen von Menschen unterscheiden:

1. die mit starkem Annäherungs-System und schwachem Rückzugs-System,

die ausschließlich extrovertierten Menschen,

2. die mit starkem Reflexions- und schwachem Annäherungs-System,

die Introvertierten,

3. die mit schwach ausgebildetem Annäherungs- und Reflexions-System,

die langsamen und stillen nicht hochsensiblen Menschen und

4. die, bei denen beide Systeme stark ausgeprägt sind

und bei denen Impulse zur Annäherung und zum Rückzug häufig miteinander in

Konflikt stehen – das sind die extrovertierten hochsensiblen Menschen.

 

Das vierte Kapitel dreht sich um Besonderheiten des hochsensiblen Körpers wie z.B. ein ausgeprägtes Frühwarnsystem, die Thematik der psycho-emotionalen Gesundheit, die seelische Stärke hochsensibler Menschen, Wege zur Heilung alter Wunden und den Umgang mit Ärzten.

Parlow betont in diesem Kapitel, dass hochsensible Personen die besten Anlagen dazu haben, gesund ein hohes Alter zu erreichen. Voraussetzung dafür ist allerdings eine weitgehend stressarme Lebensführung! Dazu brauche es „gute Selbstkenntnis, ein gewisses Know-how in Selbstmanagement, Kreativität und eine Portion glücklicher Fügung.“ Er betont außerdem, dass Hochsensibilität keinesfalls mit Neurose oder Depression gleichzusetzen ist und beleuchtet, warum dennoch ein hoher Prozentsatz der hochsensiblem Menschen unter psychischen Störungen leidet.

 

Im fünften Kapitel geht es um das Präzisionswerkzeug des hochsensiblen Nervenkostüms, um Management-Ziele und -Stile beim Umgang mit dem eigenen empfindsamen Selbst, um das Konzept des Kleinkindkörpers und Phänomene wie Ernährung, Rückzug, Schlaf, ein unterstützendes Umfeld, Das Erweitern der eigenen Grenzen, das Finden von unmittelbarer Erleichterung und dem konkreten Umgang mit Überstimulation. Wichtig ist dabei immer wieder, sich selbst nicht im Stich zu lassen.

Die zentrale Frage dieses Kapitels ist dabei: „Wie viel Gutes können Sie sich und anderen bereiten, wenn Sie mit Ihrem hochempfindlichen Nervensystem ein eingespieltes, harmonisches Team bilden?“

Ein zentrales Selbstmanagement-Ziel wäre daher, unnötigen „und ablenkenden Stress zu reduzieren, um die Gesundheit langfristig zu erhalten oder zu verbessern und um die eigene Rolle und Aufgabe im Leben mit Freude erfüllen zu können.“

Der zielführende Management-Stil wäre, „mit dem eigenen empfindsamen Selbst achtsam und rücksichtsvoll umzugehen, ohne sich andererseits davon zu sehr beherrschen oder isolieren zu lassen.“

Sehr hilfreich finde ich in diesem Kapitel auch die Hinweise zu gutem Schlaf und aufgezeigte Möglichkeiten der Regeneration inklusive einer „Aufladestellung“.

 

Das sechste Kapitel beinhaltet Ausführungen zum sozialen Umfeld, zu Liebe, Begehren, Sexualität und Partnerschaft, Rollenteilung und Elternschaft mit interessanten Überlegungen zum Thema Empfindsamkeit, Temperament und Bindungsstil.

Programmatisch ist der Ausspruch von Albert Schweitzer zu Beginn des Kapitels: „Viel Kälte ist unter den Menschen, weil wir es nicht wagen, uns so herzlich zu geben, wie wir sind.“

Interessant: indische Yogis unterscheiden vier Arten von sexueller Erregung: körperliche, sinnliche, mentale und spirituelle Erregung.

Superspannend sind auch die Ausführungen zu Partnerschaften zwischen hochsensiblen und nicht-hochsensiblen Personen bzw. zwischen zwei hochsensiblen Menschen sowie zum Thema Hochsensibilität und Mutterschaft.

 

Im Mittelpunkt des siebten Kapitels steht das weite Feld von Arbeit, Beruf und Berufung mit Unterpunkten wie Rahmenbedingungen und das soziale Gefüge am Arbeitsplatz, Selbstpräsentation, Strategien gegen Überforderung, die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Arbeit, eigene Motivation, Verantwortungsfähigkeit, Geld, der Platz in der Welt und Mobbing.

Parlow räumt gleich zu Beginn ein, dass diese Punkte für viele schwierige und belastete Themenbereiche sind und es dabei immer um einen Balanceakt zwischen Anpassung und dem Beharren auf unseren Besonderheiten geht.

Sehr schön finde ich in diesem Kapitel das Zitat der Bergsteigerin, Autorin und Tiefenökologin Dolores LaChapelle: „Verantwortung ist keine Last auf meinen Schultern, sondern die Antwort des Herzens auf den Zustand der Welt.“

Hochinteressant sind die Unterkapitel zur Rolle der Hochsensibilität in der Evolution des Menschen. Eine mögliche These ist in diesem Kontext die, dass „Kooperation und Arbeitsteilung für die Evolution mindestens ebenso bedeutende Faktoren seien wie der Wettkampf“. Daraufhin schlägt Parlow dann die Brücke zum Unterpunkt Hochsensible in modernen Berufen und beleuchtet dabei sowohl konflikthafte als auch erfüllende Aspekte.

 

Das achte und letzte Kapitel schließlich fasst noch einmal das Gesamtpaket der Hochsensibilität mit ihren Stärken und Schwächen zusammen. Parlow unterteilt dabei in die vier Stufen

– Zufall (schöne Dinge, die uns zufallen),

– Reservierung (Genüsse, die wir uns abholen müssen),

– Pflege (Bereicherungen aus der Hochsensibilität, die gepflegt werden müssen) und

– Kultivierung (Genüsse, die der langen Kultivierung bedürfen wie das Erleben der Wonne im Alltag).

 

Meine Meinung

Dieses Buch ist das erste Buch über hochsensible Menschen, das ich überhaupt gelesen habe. Vorausgegangen war die Frage meines Bruders: „Sag mal, ist dir eigentlich klar, dass wir hochsensibel sind?“. Nein, war es nicht. Und es war auch nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Zwar bin ich seiner Buchempfehlung gefolgt, habe das Buch von Parlow gekauft und gelesen. Und ins Regal gestellt und erst einmal völlig vergessen. Ich wollte nicht „anders“ sein. Ich wollte mich nicht mit dieser komplexen Thematik auseinandersetzen. Ganz andere Dinge standen in meinem Leben im Vordergrund. Geraume Zeit später machte es dann irgendwann „Klick!“ und ich merkte überdeutlich: „Ja, ich bin anders – ob ich will oder nicht!“ Das war dann der richtige Zeitpunkt, um mich umfangreich mit der Thematik auseinanderzusetzen und ich fand es schade, dass die „Aufklärung“ nicht schon viel viel früher in meinem Leben statt gefunden hat. Das hätte mir viele Unsicherheiten, viel Leiden und viele Missverständnisse erspart.

Sei´s drum. Ich bin davon überzeugt, dass es so etwas wie den richtigen Zeitpunkt im Leben gibt. Und wenn das jetzt der richtige Zeitpunkt für DICH ist, um dich mit diesem Thema zu beschäftigen, dann ist das hier ein Buch, das dir weiterhelfen könnte. Es enthält das gesamte Spektrum der für den Themenbereich wichtigen Unterpunkte und letzten Endes ist die persönliche Bewertung eines jeden Buches auch immer eine Frage des persönlichen Stils. Ich persönlich stoße mich zum Beispiel an Parlows häufiger Verwendung des Begriffs hochempfindlich, weil der allgemein sehr negativ besetzt ist. Dennoch möchte ich an dieser Stelle nicht in die Diskussion um die Begrifflichkeiten einsteigen und verweise auf die Fachliteratur.

Übrigens gab es hier schon eine Buchbesprechung zum Thema Hochsensibilität und es werden noch weitere folgen. Du kannst mich aber auch einfach anrufen, wenn du gerne Tipps und Empfehlungen hättest und Coaching gibt’s bei mir sowieso.

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Foto: Pixabay

 

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